Ich war neulich auf einer beruflichen Fortbildung und stand mit einem mir bisher unbekannten Seminarteilnehmer, bei dem ich auf eine türkische Abstammung tippte, in einer Pause mit einer Tasse Kaffee an einem der Stehtische. Da wir nun einmal zusammen standen erfolgte der übliche Smalltalk. Er fragte also, wo ich herkommen würde, ich nannte ihm die Stadt, er war schon mal da gewesen, wir plauderten kurz über die Stadt. Daraufhin fragte ich, wo er herkomme und er meinte
„Von der Familie her aus der Türkei, aber ich bin in Essen geboren und wohne auch dort“.
Natürlich kam mir hier gleich alles, was man so aus dem intersektionalen Feminismus kennt in den Sinn: Jemanden fragen, wo er herkommt, ist Rassismus etc. Er hätte es mir auch gar nicht nicht sagen müssen, ich fand es recht offensichtlich, dass er türkischer Abstammung ist. Ich ärgerte mich fast etwas, dass er mir das gesagt hatte, also anscheinend annahm, dass ich das meinte. Andererseits ist es vielleicht bei ihm einfach etwas, was er gewohnt war. Denn es ist ja ein ganz klassischer Punkt, den viele mit „Migrationshintergrund“ häufig anführen: „Die fragen mich, wo ich herkommen, ich sage „Bochum“ und die sagen „nein, ich meine welches Land“ und dann sage ich „Deutschland“ und die gucken irritiert“
Ich kann verstehen, dass es einen nervt. Ich kann auch verstehen, wenn man den Weg des Kollegen nimmt und des umgekehrt so schnell wie möglich aus der Welt schafft. Es ist etwas wie der offensichtliche Witz für eine Situation, der einem sofort einfällt, aber eben hundert Anderen vor einem auch schon. Etwa an der Kasse, wenn der Artikel nicht durch den Scanner geht ein „ich nehm ihn auch umsonst“, was selbst sehr höfliche Kassierer nur noch zu einem sehr gequälten Lächeln bringt.
Ich glaube aber, dass es für die meisten Leute auch eine Frage der Art der Unterhaltung ist. Denn eine Herkunft aus einem anderen Land, und sei es nur über die Familie, ist natürlich ein interessanter Faktor an einer Person, der auch gut zu Smalltalk taugt und auch dazu, dass man zeigt, dass man diese Herkunft akzeptiert und gut und interessant findet. Es bietet sich insofern an, damit Interesse an der Person zu zeigen und ein gemeinsames Gesprächsthema zu haben. Auch hier vergisst man schnell, dass der andere schon tausendmal von dem Land, aus dem seine Eltern kommen, erzählt hat und die Geschichten für ihn etwas austauschbarer sind und so ein Gespräch schnell langweilig werden kann.
Da ich ja bekanntlich mit Südländerin zusammen bin erlebe ich solche Gespräche natürlich auch häufig. Bei Südländerin ist es noch etwas anderes, weil sie dort ja tatsächlich geboren ist und die Frage insofern als nicht problematisch ansieht. Sie spricht gern über Südland, dass warme Wetter und das gute Essen, es ist eben ihre alte Heimat und nicht nur ein Land des Urlaubs.
Natürlich erlebt man dennoch Formen von Rassismus. Als wir zusammenziehen wollten beispielsweise hatte ich mich zu einem Besichtigungstermin verspätet, weil etwas berufliches dazwischen kam und kam dazu, als die Maklerin Südländerin die Wohnung schon gezeigt hatte. Sie führte mich auch noch einmal rum, man tauschte die Daten aus und wir gingen wieder. Am Auto angekommen meinte ich zu Südländerin, dass die Maklerin doch sehr nett gewesen sei, warum sie denn so böse gekuckt habe. Südländerin meinte, dass sie bei ihr erst reichlich abfällig gewesen wäre, man müsse mal sehen, die Wohnung sei vielleicht schon vergeben, es sei alles etwas ungewiss. Kaum sei ich dazu gekommen, im Anzug, da ich von der Arbeit kam, wäre sie plötzlich eitel Sonnenschein gewesen und von einer fast vergebenen Wohnung sei keine Rede mehr gewesen. Wir haben dann die Wohnung aus Prinzip nicht genommen.
In meinem Freundes- und Bekanntenkreis sind einige Leute, deren Familien Wurzeln in anderen Nationen haben. Ich habe als Student durchgängig in sehr gemischten WGs gewohnt und am Anfang meiner Berufstätigkeit auch noch, einfach weil ich WGs mag. Ich habe mit Chinesen, Franzosen, Afrikanern, Norwegern, Japanern, Griechen, Rumänen freundschaftlich zusammengewohnt und ich fand es immer interessant. Gute Freunde von mir sind Halbkoreaner, Halberitrianerinnen, Halbtürken etc. Genug Freundinnen oder Freunde hatten Partner aus allen Herren Ländern bzw. Leute mit den verschiedensten familiären Abstammungen. Aus meiner Sicht macht es das Bild bunter und das allein ist schon ein Grund, dass ich etwas gegen rassistische Abwertungen habe.
Ich glaube auch wegen dieser Erfahrungen, dass der intersektionale Ansatz mit seiner Betonung der Gruppenzugehörigkeit, mit „kultureller Aneignung“ und mit Rassismusvorwürfen, die sich an Kleinigkeiten festmachen, eher Schaden angerichtet wird.
Das beste Mittel ist es aus meiner Sicht in der Tat Rasse und Herkunft einfach auszublenden und den anderen als die normale, individuelle Person zu betrachten, die er ist. Das gelingt ja auch vollkommen unproblematisch, wenn man die Person kennt.
Man merkt auch, wie Leute sich bemühen, nicht rassistisch zu sein. Als ich mit einer Schwarzen in einer WG (mit noch weiteren Mitbewohnern) lebte war es häufig zu merken, dass Leute genau dies als Bezeichnung vermieden. Wenn man beispielsweise unter Namensnennung etwas jemanden erzählte, der nicht zum gemeinsamen Freundeskreis gehörte, eine Anekdote erzählte, in der sie vorkam, dann kam so etwas wie „das war die im ersten Zimmer, wenn man reinkommt, die …also… die mit den dunklen Haaren oder?“. Und wenn man dann sagte „Ja, die Schwarze“, dann haben sie wahrscheinlich genau das gedacht, was ich auf dem Seminar gedacht habe, aber es ist einfach in einer WG mit sonst nur weißen Leuten die recht offensichtliche Beschreibung.
Sie selbst war in dem Bereich übrigens sehr locker, was glaube ich auch dazu beigetragen hat, dass sie nach eigener Angabe kaum mit Rassismus zu tun hatte oder dies jedenfalls nicht bemerkt hat. Man konnte bei ihr genauso einen gutgemeinten Witz wegen der Hautfarbe machen, wie bei einem griechischstämmigen Freund heute über die Griechenlandkrise. Sie gab eben in anderen Bereichen einen Spruch zurück, und man wusste allerseits, dass es nur ein freundschaftliches gegenseitiges Aufziehen war. Das ist denke ich auch eine Wirkung, die im intersektionalen Feminismus unterschätzt wird: Über den anderen Witze machen zu dürfen kann das Gefühl der Freundschaft stärken und Spannungen abbauen. Wer immer politisch korrekt sein muss, der kann sich eben nicht entspannen. Wer hingegen weiß, dass der andere es nicht auf die Goldwaage legt, sondern einen Spruch zurück macht, der kann entspannt mit der Sache umgehen. Einen Tabubruch zu akzeptieren kann eben gerade das Signal sein, dass man sich als Freund versteht.
Neulich erzählte sie allerdings eine andere Geschichte: Sie war mit ihrem Freund, einen weißen, im Urlaub im Osten Deutschlands gewesen. Und hat eine für sie bisher unvorstellbare Feindseligkeit erlebt. Leute, die sie beide böse angeschaut hätten, denen die beiden zusammen gar nicht gefielen, die „so etwas hier nicht wollten“. Sie meinte, dass sie erst dachte, sie hätten etwas falsch gemacht oder einer hätte den Hosenstall nicht zu oder so etwas, bis dann einer einen rassistischen Spruch gemacht hat. Sie hatte ganz vergessen, dass Leute so rassistisch sein könnten. Ein höchst unangenehme Erfahrung. Ich will damit noch nicht mal sagen, dass andere Schwarze das nicht häufiger erleben, Eritreaner sind von Gesichtszügen etc her ja noch vergleichsweise „unafrikanisch“ und relativ hell und dazu ist sie eine Frau, was vielleicht Aggressionen auch noch etwas ausbremst.
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