In einem interessanten Kommentar führt Lucas Schoppe eine interessante mögliche Geschlechtdynamik aus, nämlich den Umstand, dass Männer durchaus bereit sind, Gewalt für Frauen einzusetzen und dann die Gewalt eher als gerechtfertigt ansehen:
Augsburg, wo die Mutter unseres Kindes eine Zeitlang mit ihm lebte, am frühen Nachmittag. Ich gehe allein durch ein Wohngebiet in der Nähe der Innenstadt, durch wenig befahrene Straßen mit drei- bis vierstöckigen Häusern. Plötzlich rennen zwei Jungen Männer in sehr hohem Tempo quer und im Zick-Zack über die Straße, der etwas ältere hinter dem etwas jüngeren her – und gerade zwei Meter vor mir, neben einem Hauseingang, hat er den anderen eingeholt, presst ihn gegen die Hauswand und schlägt auf ihn ein.
Ich sprach ihn sofort an (griff aber nicht körperlich ein, weil ich das Gefühl hatte, das würde die Situation eher eskalieren), versuchte ihn zu beruhigen, sagte ihm, dass er aufhören solle zu schlagen – und er hörte tatsächlich auf, hielt den anderen aber weiter fest und erzählte in etwas gebrochenem Deutsch (ich hielt die beiden für Albaner), was los war. Offensichtlich war der etwas jüngere Mann mit der Schwester des etwas älteren zusammen und hatte sie in irgendeiner Weise schlecht behandelt.
Nun kam ein alter Mann aus dem Haus, in dem die Familie offensichtlich wohnte – er kannte die beiden – und zum Glück beruhigte auch er die Situation, so dass es zumindest nicht mehr danach aussah, dass der eine den anderen zusammenschlagen würde. Dann aber…
…kamen noch zwei Frauen aus dem Haus, und beide verhielten sich ungeheuer aufgeregt. Besonders eine von ihnen, etwas zwanzig Jahre älter als die beiden jüngeren Männer, schrie laut, und es war offensichtlich, dass beide Frauen mit Macht versuchten, die gerade beruhigte Situation wieder zu eskalieren. Ich kann mich noch genau erinnern, wie ich mich über sie ärgerte. —
Natürlich geht es mir hier nicht um die Behauptung, dass etwa Ausländer sich primitiver verhalten würden als Deutsche (die primitivste, nervtötendste Situation, die ich erlebt habe, entstand, als in einem ICE-Großraumwagen einmal eine Gruppe angetrunkener deutscher Männer zufällig auf eine Gruppe angetrunkener deutscher Frauen traf; die Situation war unter anderen sehr übergriffig – nicht von den Männern gegenüber den Frauen, sondern von beiden Gruppen gegen die anderen Passagiere). Wichtig ist aber, dass die Geschlechterrollen in der Augsburger Familie offenbar deutlich traditioneller waren, als die meisten Familien in Deutschland das mittlerweile gewohnt sind.
Es geht mir bei der Geschichte auch nicht darum, dass das alte Klischee von der friedfertigen Frau und dem gewalttätigen Mann einfach umgekehrt werden müsste. Wichtig ist mir aber, dass Männer- und Frauenverhalten, auch im öffentlichen Raum, sehr viel mehr miteinander zu tun hat, als solche Gut-Böse-Gegenüberstellungen suggerieren.
Meine These: Der Eindruck, für schutzlose Frauen zu kämpfen, ist für viele Männer in ganz besonderer Weise gewaltenthemmend. Das heißt nicht, dass die Männer dann schuldlos sind und bloß weibliche Wünsche exekutieren – sie sind ja erwachsen und selbst verantwortlich für das, was sie tun. Aber Männer- und Frauenverhalten spielt eng zusammen und ist nicht unabhängig voneinander zu verstehen.
Das im Blick auf den 2. Weltkrieg formulierte Mitscherlich-Klischee von der „friedfertigen Frau“ macht in diesem Sinne die Welt keineswegs friedfertiger, sondern es reproduziert eher die Geschlechterstrukturen, die es angeblich verändern soll. Gerade im Krieg kann deutlich werden, wie diese Strukturen Verantwortung verwischen. Die männlichen Soldaten im Einsatz müssen sich nicht verantwortlich fühlen, weil sie ja nicht – egoistisch – für sich kämpfen, sondern für sie schutzlosen Frauen und Kinder. Die Frauen wiederum müssen sich nicht verantwortlich fühlen, weil sie ja selbst gar keine Gewalt ausüben.
Das lässt sich so problemlos auf heutige Verhältnisse im Netz übertragen. Die hier fast ausschließlich von Frauen zelebrierte Kultur der Hypersensibilität, der „Trigger Warnings“ und „Safer Spaces“, der extremen Empfindlichkeit noch für de kleinsten Nuancen einer diskriminierenden Sprache – diese Kultur befriedet das Netz nicht, sondern macht es gewaltsamer.
Denn wer dann als Bedrohung identifiziert ist, als Angreifer der Schutzlosen, der hat natürlich keine Rücksicht mehr verdient. Das gilt interessanterweise auch für Frauen selbst, die – sobald sie andere, nämlich feministische Frauen kritisieren – problemlos als „Masturbationsvorlage“ verhöhnt oder gar mit Vergewaltigungen bedroht werden können. (Dazu:http://man-tau.com/2015/10/17/frauenfeindlichkeit-und-feminismus/ ) Eine Frau, die sich als Gegnerin der Schutzlosen geoutet hat, hat sich eben auf die Seite des Feindes geschlagen, ist selber Schuld und dann auch nicht mehr Wert als ein Mann.
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Tweets, auf die der oben zitierte Tweet antwortet. (https://twitter.com/Chriss_m/status/678457006047498240). Brianna Wu berichtet dort von einem Mann, der im öffentlichen Raum grundlos schreit – und sie fordert andere Männer auf, einzugreifen.
Das ware nach meiner Einschätzung – soweit sie die Situation schildert – ganz falsch. Es gibt dort außer Wus Unwohlgefühl keinen dringlichen Grund zum Eingreifen, und es ist überhaupt nicht einzuschätzen, ob dadurch die Situation nicht möglicherweise erheblich schlimmer würde. Wus Aufforderung würde also mit einiger Wahrscheinlichkeit zur Eskalation beitragen, wenn ein Mann ihr Folge leisten würde.
Aber das kann Wu egal sein – sie würde ja nicht selbst eingreifen, sondern nur einen Mann zum Eingreifen bewegen.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass da Zusammenhänge bestehen. Kampf von Männern untereinander ist intrasexuelle Konkurrenz und das Ergebnis intrasexueller Konkurrenz bietet sich für sexuelle Selektion an: Wer sich im Kampf gegen andere Männer durchsetzt gilt als besser, attraktiver, stärker. Dazu kommt, dass eine Frau in einer Gefahrenlage anscheinend einen Beschützer braucht und dies einen guten Einstieg bietet: Man präsentiert sogleich die Fähigkeit, die sie braucht. Und sich einer solchen Aufforderung nicht zu stellen könnte eben auch dazu führen das man als schwach wahrgenommen wird, was ebenso den Partnerwert hinabsenken kann.
Insofern ist eine Selektion darauf, dass man einer solchen Aufforderung nachkommt gut denkbar. Sowohl Konfrontation als auch Frauen und wahrscheinlich auch die direkte Beobachtung von Frauen dürften den Testosteronspiegel erhöhen.
Ich würde Schoppe zustimmen, dass dabei aber zunächst der Mann für seine Taten verantwortlich bleibt und man das nicht auf die Frau abschieben sollte und diese als Anstifter überbewerten sollte. Für einige Männern muss auch gar keine Anstiftung, die über das Vorhandensein einer Frau hinausgeht bestehen, damit sie sich beweisen und für die Frau einsetzen wollen.
Aber es gibt eben auch genug Frauen, die sich durchaus nach dem obigen Schema verhalten. Die Fähigkeit, Männer dazu zu bringen, für sie etwas zu ändern, ist ihnen sehr bewusst und einige sehen das entsprechend als Anspruch an. Gerne wird hier auch mit einer Mischung aus „ein echter Mann würde da einschreiten“ bzw abfälligen Blicken gearbeitet. Und dieses „Shaming“, diese Anspruchshaltung bei „macht mir die Welt gefälligst besser, es gefällt mir so nicht“ könnte auch dazu beigetragen, dass die feministische Forderung die Welt besser zu machen, bei einigen Frauen so unproblematisch als Forderung artikuliert wird.