„Wie der Poststrukturalismus die Biologie losgeworden ist“

DJAdmoros macht sich in den Kommentaren bei Schoppe Gedanken dazu, wie der Poststrukturalismus die Biologie losgeworden ist:

Weil ich mich gerade an der Fragestellung abarbeite, wie der Poststrukturalismus eigentlich die Biologie losgeworden ist:

(1) Der ursprüngliche Strukturalismus, insbesondere in Person von Claude Lévi-Strauss, hatte das Bedürfnis, die Sozialwissenschaften als »strenge Wissenschaften« zu etablieren, also als Gesetzeswissenschaften analog zu den Naturwissenschaften (frz. Objektivismus der Durkheim-Schule).

(2) Aufgrund von Ferdinand de Saussures Untersuchungen der menschlichen Sprache (dem »Urtext« des Strukturalismus) schien es, als könne man in der menschlichen Sprache Gesetzmäßigkeiten finden, die nicht aus naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten abgeleitet sind (ein Gedanke, der auch von Noam Chomsky aufgegriffen wurde). Lévi-Strauss überträgt diese Idee auf die Anthropologie (konkret: auf das Studium der Verwandtschaftsverhältnisse) und zeigt, dass Verwandtschaftssysteme eine Logik aufweisen, die sich nicht auf Zufall oder individuelle Strategien (oder, mit Seitenblick auf Christian, auf biologische Gesetzmäßigkeiten sexueller Atraktivität) reduzieren lassen.

(3) Fortan (insbesondere: 50er und 60er Jahre des 20. Jhdts.) gilt Lévi-Strauss’ Werk als Inbegriff einer »kulturwissenschaftlichen strengen Wissenschaft«.

(4) Hierauf aufbauend bildet die Psychoanalyse von Jacques Lacan eine wichtige Brücke zum Poststrukturalismus: Lacan stellt (gleichwohl beanspruchend, den »ursprünglichen« Freud gegen die anglogermanische Hauptströmung der Psychoanalyse wiederherzustellen) die Psychoanalyse von triebtheoretischen auf anerkennungstheoretische Grundbegriffe um und klammert damit genau jenen Teil Freuds aus (Freud selbst, als Neurologe und Mediziner, hat die Psychoanalyse tatsächlich als eine Art verhinderte Naturwissenschaft gesehen), der eine neurophysiologische Rehabilitierung der Psychoanalyse ermöglichen würde (wie sie von Eric Kandel verfochten wird) – und an modernen Konzepten der Hirnforschung zeigen könnte, dass naturwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Zugänge zum Menschen sich nicht ausschließen müssen, sondern ergänzen können.

(5) Mit der Weichenstellung Lacans, die Psychoanalyse mit strukturalistischen Mitteln zu einer »strengen Wissenschaft« zu erklären, die keiner Biologie mehr bedarf, wird eine wissenschaftsgeschichtliche Amnesie in Kraft gesetzt: während in der deutschen »hermeneutischen« Debatte die biologischen Grundlagen der Psychoanalyse (insbesondere Habermas) immerhin noch als »Positivismus«bekämpft werden, werden sie in der französischen Tradition schlicht vergessen.

(6) Wenn nun jemand wie Judith Butler wesentlich in der poststrukturalistischen Tradition akademisch sozialisiert worden ist, dann entsteht die Paradoxie, dass, um sich auf den biologischen Geschlechtsunterschied und seine kulturellen Folgen einen Reim zu machen, die Biologie überhaupt nicht mehr im legitimen Horizont der Fragestellung zur Verfügung steht. Wenn alle Realität durch symbolische Strukturen mit eigener Gesetzmäßigkeit zustandekommt und ein Element dieser Gesetzmäßigkeit die Konstruktion von binären Oppositionen ist, dann verfällt man eben auf den Gedanken, dass dies auch oder gerade für das biologische Geschlecht gilt.

(7) Dass damit eine Aporie des Poststrukturalismus erreicht ist und seine Prämissen ad absurdum geführt werden, lässt sich von innerhalb dieser Denktradition aber nicht mehr erfassen. Man kann nur, wie zum Beispiel Camille Paglia, seiner Intuition folgen und den Poststrukturalismus als »french rot« zurückweisen.

(8) Das eigentliche Problem besteht – meiner Meinung nach – nun aber darin, nicht erneut der binären Logik einer wechselseitigen Ausschließung von Biologie und Soziologie zu erliegen und mit fliegenden Fahnen ins Lager der Evolutionspsychologie überzulaufen, die die heutige Form eines naiven »Positivismus« und Psychologismus verkörpert. Das allerdings ist ein anderes Thema.

Meiner Meinung nach ist es schicht ein Verharren im „Blank Slate“ zur Sicherung der „versunkenen Kosten“, die es stark erschweren, wirklich zu wechseln, weil man plötzlich anfangen müsste, ganz erhebliche Änderungen vorzunehmen. Macht man die Tür einmal auf, dann muss man das Thema an Fachleute an einem anderen Gebiet abgeben und mehr oder weniger daneben sitzen. Man ist nicht mehr Herr im bisher eigenen Haus. Insofern geht auch DJ Admoros Satz ins Leere, denn diese Binärität wird in der Evolutionspsychologie gar nicht vertreten, sie geht von einem integrierten Modell aus,