Kritik an Intersektionalität

Dies ist ein Gastartikel von Maddes8cht. Der Artikel nimmt Bezug auf eine Diskussion mit einem anderen Kommentator, Lightyear2000, der feministische Positionen vertritt. 

Mein perönliches Problem und meine Hauptkritik am Konzept der Intersektionalität, so, wie sie überall beschrieben wird, liegt in der Annahme, dass Diskriminierungen hierarchisch angeordnet sind, und dass diese Hierarchie in einer bestimmten Gesellschaft gewissermaßen fest gegeben ist.

Mit pseudowissenschaftlichem Eifer arbeiten sich Leute daran ab, welche Kategorien in dieses Hierarchiesystem noch hineingehören, welche wichtiger und welche weniger wichtig sind, aber immer scheint dabei klar sein zu müssen, welche Seite die diskriminierte und welche die privilegierte ist.

Das Problem mit Dogmen ist meistens, dass das Dogma selbst gar nicht bewusst ist.

Es wird alles mögliche daraus abgeleitet, in Frage gestellt, umgeordnet. Allein das Dogma selbst nicht.
Es wird nicht deshalb nicht in Frage gestellt, weil das jemand verbietet, sondern weil man gar nicht mehr wahrnimmt, dass es in Frage gestellt werden könnte, dass es angreifbar ist.

Für Feministen scheint lediglich die Richtung angreifbar zu sein. Das sieht man übrigens wunderschön an LJ2k, er nimmt an, wir möchten Frauen die Position als Diskriminierte streitig machen und sie als die privilegierten betrachten. Dass man es auch so sehen könnte, dass es keine in allen Punkten eindeutig gültige Diskriminierungshierarchie gibt, und Frauen in bestimmten Dingen diskriminiert, in anderen aber privilegiert sein könnten, hat in der Intersektionalität keinen Platz.

Das Denken ist so stark von diesem Gedanken besetzt, dass es offenbar nur ein entweder – oder geben kann. Und damit ist der Gedanke unausweichlich, dass Männerrechtler an dieser Stelle die Polarität wohl umkehren wollen und sich selbst als die diskriminierteren sehen oder darstellen „wollen“.

LJ2k gibt zwar an, dass auch in seinem Weltbild Männer zu Opfern werden können – aber nur im Rahmen des intersektionalen Glaubensbildes:
Aufgrund der Diskriminierung durch andere Faktoren, wie Soziale Klasse, Hautfarbe, sexulelle Orientierung, Behinderung, etc.
Niemals aber ALS MANN.
Das erlaubt LJ2k, zu behaupten, dass er auch Männer als Opfer und Frauen als Täter sehen kann.
Es ändert nichts daran, dass in seinem Bild Männer IMMER das grundsätzliche Privileg als Mann haben und Frauen IMMER als Frau diskriminiert sind.

Der Gedanke, dass Männer ALS MÄNNER diskriminiert sein können wäre im Gedankengebäude der Intersektionalität gleichbedeutend damit, Frauen ihre originäre Diskriminierung ALS FRAU abzusprechen. In diesem System gibt es keinen Platz für die Vorstellung, dass in einer Kategorie von Diskriminierung die Diskriminierung Situationsabhängig mal in die eine, mal in die andere Richtungen wirken kann. Diskriminierung für die „privilegierte“ Position gibt es nur durch einen Anteil an einer anderen Diskriminierungskategorie.

Die ganze Vorstellung einer festen Hierarchie ist aber Quatsch.
Sie mag an gewissen Stellen halbwegs stimmen, aber nicht grundlegend.
Wer als Weißer in Harlem in einen Laden geht, kann dort durchaus als weißer diskriminiert werden. Wer als bekannter Hetero in eine Schwulenbar geht, kann erleben, dass er als Hetero diskriminiert wird.
Und wer als Mann unter Feminstinnen oder auch in einen Frauenzirkel gerät (z.B. als Vater unter Müttern auf dem Spielplatz) kann als Mann diskriminiert werden.
Dies alles sind keine Ausnahmen, denn auch die umgekehrte (in dem Fall also die „gewohnte“, vom Intersektionalismus als Norm behauptete ) Diskriminierung ist meist Situativ. Weil Diskriminierung an sich eine individuelle und situative Erfahrung ist.

Intersektionalität könnte ich erst akzeptieren, wenn dieses hierarchische Denken beendet wird.
Diskriminierungserfahrungen können immer in beide Richtungen wirken. Es mag Kategorien geben, in denen es eine deutliche Gewichtung gibt und eine Seite sehr deutlich diskriminiert wird, die andere dagegen nur in Ausnahmefällen.
Aber Möglich sind immer beide Richtungen. Selbst Schwerstbehinderte können sich zu einer Ingroup solidarisieren, innerhalb derer sie nichtbehinderte diskriminieren.
Es wäre wichtig, dass Intersektionalität diesen Umstand anerkennt, die eigentlich eine Binsenweisheit sein sollte.
Denn erst dann wäre sie auch offen für die Möglichkeit, dass in bestimmten Kategorien sogar recht gleichgewichtig in beide Richtungen Diskriminiert wird.
Oder sich das Gewicht in einer Diskriminierungskategorie langsam verschiebt.
Oder am erstaunlichsten: Zu erreichen, dass Diskriminierung langsam verschwinden und sich auflösen kann.
Denn bei aller emotionaler Kampfrethorik im angeblichen Kampf „gegen“ Diskriminierung scheint genau das innerhalb des Gedankengebäudes „Intersektionalität“ gar nicht möglich zu sein.

Ich kann mir vorstellen, dass vieles von der vehementen Abwehr und Aggressivität der Feministinnen von dieser absurden Hierarchisierungsfantasie des Intersektionalismus herrührt. Viele der Unterstellungen gegen alles aus der modernen Männerbewegung hat in diesem Denken ihre logische Wurzel.
Es gibt da keine Grautöne. Die Illusion von „Differenziertheit“ wird allein durch eine Vielzahl von Diskriminierungskategorien erzeugt. In sich ist die Hierarchie jedoch starr. Die Idee, dass jemand in einer Kategorie in der Position des angeblich „privilegierten“ Diskriminierungserfahrung geltend machen will ist immer gleichbedeutend mit einem Angriff auf die Hierarchie, denn die einzig mögliche Sichtweise im Intersektionalismus ist ja, dass die Hierarchie dann anders herum sein müsste.
Sehr schön zu beobachten ist das regelmäßig an den Unterstellungen gegen Männerrechtler, genau das zu betreiben. Es wird dann behauptet, für Männerrechtler seien „immer die Männer Opfer und die Frauen immer Täter“, also eine Umkehrung dessen, was Feministen behaupten.

Interessanterweise „fordert“ Intersektionalismus zwar für alle Kategorien Gleichberechtigung oder Gleichstellung ein, doch im Grunde ist das Konzept einer erreichten „Gleichberechtigung“ mit der hierarchischen Intersektionalität unvereinbar: Die Hierarchie selbst kann nicht angezweifelt werden, und innerhalb der Hierarche gibt es immer eine klare Zuordnung in privilegierte und diskriminierte.

Das ist praktisch, denn so kann „Gleichberechtigung“ immer nur gefordert, Theorieimmanent jedoch niemals erreicht werden. Ein perfekter Selbstläufer.

Ich finde es bedeutsam, darauf hinzuweisen, dass dabei eine Gleichberechtigung nicht einfach deshalb nie erreicht wird, weil Feminismus „nie genug“ bekommt. Eine Gleichberechtigung kann nicht erreicht werden, weil die Theorie es nicht erlaubt.
Gemäß der Theorie besteht eine 100% einseitige Diskriminierung, solange die Kategorie überhaupt besteht. Da möglicherweise die Auswirkungen der Diskriminierung subtil sind (und subtiler werden, je mehr dagegen angekämpft wird…), muss man eben danach suchen. Und wenn man nach „Diskrimnierungen“ sucht, kann man eigentlich immer was finden, was man so sehen möchte.
Intersektionalismus liefert also die Begründung dafür, immer neue Diskriminierungsformen suchen und finden (oder besser „erfinden“) zu müssen.

Intersektionalität errichtet dabei ein moralisches Kastensystem mit einer nur scheinbar umgekehrten hierarchischen Pyramide.
Angeblich soll der weiße heterosexuelle Mann an der privilegierten Spitze dieser Pyramide stehen.
Betrachtet man jedoch die Zahlenverhältnisse, so ist leicht zu sehen, dass jede weitere Diskriminierungsebene die Anzahl der Betroffenen einschränkt.
Die angebliche „Spitze“ der Hierarchie wird, weil unverdient privilegiert, als der Moralische Abschaum dargestellt.
Die moralische „Königsklasse“, die super-diskriminierte, ist die schwarze, lesbische, dicke, alte und (idealerweise mehrfach, mindestens physisch und psychisch) behinderte Frau.
Sie ist Zahlenmäßig deutlich kleiner als andere Klassen in diesem System, wie zum Beispiel Schwule Männer.
Wie in allen Kastensystemen ist der „Bodensatz“ die Zahlenmäßig größte Gruppe: Die WHM. Die moralische Überlegenheit erlaubt den höheren Kategorien, auf sie herabzusehen und sie zu beschimpfen. Die angemessene Reaktion der Pariahs ist die Demutsgeste, mit der die eigene moralische Unterordnung dokumentiert wird. Die Verneigung vor dem Feminismus und der Überlegenheit der Frau. Wer vom Bodensatz diese Demutssgeste nicht leistet, wird bestraft.

Intersektionalität ist keine „differenzierte“ Sichtweise, wie sie gerne für sich in Anspruch nimmt. Intersektionalität ist schwarz/weiß denken in Reinform. Die Kategorisierung von schwarz/weiß denken. Eine pseudowissenschaftliche Implementierung eines moralischen Kastensystems.

Das absolute Gegenteil von „differenzierter“ Denkweise.