Warum sollen behinderte Frauen und Mädchen eher gefördert werden als behinderte Jungs und Männer?

Im Rahmen der Diskussion gestern ging es auch um Quoten für Behinderte. Dabei fällt auf, dass in § 71 SGB IX behinderte Frauen eine Sonderstellung zu haben scheinen:

§ 71 Pflicht der Arbeitgeber zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen

(1) Private und öffentliche Arbeitgeber (Arbeitgeber) mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen im Sinne des § 73 haben auf wenigstens 5 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Dabei sind schwerbehinderte Frauen besonders zu berücksichtigen. Abweichend von Satz 1 haben Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich weniger als 40 Arbeitsplätzen jahresdurchschnittlich je Monat einen schwerbehinderten Menschen, Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich weniger als 60 Arbeitsplätzen jahresdurchschnittlich je Monat zwei schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen.
(2) (weggefallen)
(3) …..

Wiederholt wurde hier in den Kommentaren auch bereits auf § 44 SGB IX hingewiesen:

§ 44 Ergänzende Leistungen

(1) Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben der in § 6Abs. 1 Nr. 1 bis 5 genannten Rehabilitationsträger werden ergänzt durch

1. Krankengeld, Versorgungskrankengeld, Verletztengeld, Übergangsgeld, Ausbildungsgeld oder Unterhaltsbeihilfe,
2. Beiträge und Beitragszuschüsse
a) zur Krankenversicherung nach Maßgabe des Fünften Buches, des Zweiten Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte sowie desKünstlersozialversicherungsgesetzes,
b) zur Unfallversicherung nach Maßgabe des Siebten Buches,
c) zur Rentenversicherung nach Maßgabe des Sechsten Buches sowie desKünstlersozialversicherungsgesetzes,
d) zur Bundesagentur für Arbeit nach Maßgabe des Dritten Buches,
e) zur Pflegeversicherung nach Maßgabe des Elften Buches,
3. ärztlich verordneten Rehabilitationssport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung und Überwachung, einschließlich Übungen für behinderte oder von Behinderung bedrohte Frauen und Mädchen, die der Stärkung des Selbstbewusstseins dienen,
4. ärztlich verordnetes Funktionstraining in Gruppen unter fachkundiger Anleitung und Überwachung,
5. Reisekosten,
6. Betriebs- oder Haushaltshilfe und Kinderbetreuungskosten.

(2) Ist der Schutz behinderter Menschen bei Krankheit oder Pflege während der Teilnahme an Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nicht anderweitig sichergestellt, können die Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung ohne Anspruch auf Krankengeld und zur Pflegeversicherung bei einem Träger der gesetzlichen Kranken- oder Pflegeversicherung oder, wenn dort im Einzelfall ein Schutz nicht gewährleistet ist, die Beiträge zu einem privaten Krankenversicherungsunternehmen erbracht werden. Arbeitslose Teilnehmer an Leistungen zur medizinischen Rehabilitation können für die Dauer des Bezuges von Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld einen Zuschuss zu ihrem Beitrag für eine private Versicherung gegen Krankheit oder für die Pflegeversicherung erhalten. Der Zuschuss wird nach § 174 Absatz 2 des Dritten Buches berechnet.

Also auch hier eine Sonderbehandlung von Mädchen und Frauen, nur bei diesen ist ausdrücklich klar gestellt, dass Übungen, die der Stärkung des Selbstbewußtseins dienen bezahlt werden. Das erscheint mir relativ unverständlich: Männer und Jungs, die behindert sind, werden ebenso Probleme mit dem Selbstbewußtsein haben und daher von einem solchen Training profitieren können.

In einer Mitteilung des Bundesministeriums heißt es dazu:

4.4 Schwerbehinderte Frauen oder diesen gleichgestellte behinderte Frauen

(1) Ziel des SGB IX ist es, die Selbstbestimmung und Gleichberechtigung behinderter Beschäftigter zu fördern. Dabei ist den Bedürfnissen behinderter Frauen in besonderer Weise Rechnung zu tragen, da sie häufig – beispielsweise aufgrund von Erziehungsaufgaben und anderen Familienpflichten – zusätzlich belastet sind (§ 1 Satz 2 SGB IX).

(2) Der Anteil an der Arbeitslosigkeit ist bei schwerbehinderten Frauen besonders hoch. Nach § 83 Abs. 2 Satz 2 SGB IX sind daher bei der Personalplanung besondere Regelungen zur Beschäftigung eines angemessenen Anteils von schwerbehinderten Frauen vorzusehen. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 2 SGB IX sind schwerbehinderte Frauen bei der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen besonders zu berücksichtigen. Bei der Bewilligung von Telearbeit und flexiblen Arbeitszeiten sind die besonderen Belange schwerbehinderter Frauen zu berücksichtigen.

(3) Im Bundesgleichstellungsgesetz wird gemäß § 1 Abs. 1 Satz 4 den besonderen Belangen behinderter und von Behinderung bedrohter Frauen Rechnung getragen. 

(4) Bei allen Maßnahmen fördert die Dienststelle nach den Maßgaben des Bundesgleichstellungsgesetzes auch die Gleichstellung schwerbehinderter Frauen.

Es erscheint mir eigentlich recht einfach zu sein, so etwas geschlechtsneutral zu formulieren: „Wenn jemand als Behinderter durch Erziehungsaufgaben und andere Familienpflichten besonders belastet ist, dann ist seinen Bedürfnissen besonders Rechnung zu tragen“. Allerdings würde dieses Argument schon bei den Mädchen, die Selbstbewusstseinstraining erhalten, die Jungs hingegen nicht, kaum greifen. Es wäre auch die Frage, warum jemand, der sich um die Familie kümmert, per se mehr Selbstbewußtseinstraining braucht als jemand, der arbeitet. Auch dort kann es genug Angriffe geben.

Zur Arbeitslosigkeit hatte David auf einen Vorhalt von Maren ausgeführt:

Die Arbeitslosenquote von Schwerbehinderten beträgt in Deutschland gerade einmal 14%, das ist vorbildlich. Für Frauen im Allgemeinen liegt die Quote bei unter 5%, das ist sogar etwas geringer als bei Männern.

Da würden mich genaue Zahlen mit Quellen interessieren. Ich könnte mir vorstellen, dass mehr behinderte Frauen keine Arbeit haben, weil sie dann eben „Erziehungsaufgaben und Familienpflichten“ übernehmen, also Hausfrauen sind und weil ein Mann eine Frau eben eher freistellt als dies umgekehrt der Fall ist. Das würde dann aber nicht bedeuten, dass sie deswegen  mehr gefördert werden müssen.