Die Vorteile der Einsicht, dass wir biologische Grundlagen haben

Noch eine interessante Stelle von dem Buch „Genome: The Autobiography of a Species in 23 Chapters“ (PDF) (S. 160). Diesmal deutlich kürzer:

Meanwhile, the discovery that personality has a strong genetic component can be used in some very non-genetic therapy. When naturally shy baby monkeys are fostered to confident monkey mothers, they quickly outgrow their shyness. It is almost certainly the same with people – the right kind of parenting can alter an innate personality. Curiously, understanding that it is innate seems to help to cure it. One trio of therapists, reading about the new  results emerging from genetics, switched from trying to treat their clients‘ shyness to trying to make them content with whatever their innate predispositions were. They found that it worked. The clients felt relieved to be told that their personality was a real, innate part of them and not just a bad habit they had got into. ‚Paradoxically,depathologising people’s fundamental inclinations and giving group members permission to be the way they are seemed to constitute the best insurance that their self-esteem and interpersonal effectiveness would improve.‘ In other words, telling them they were naturally shy helped them overcome that shyness. Marriage counsellors, too, report good results from encouraging their clients to accept that they cannot change their partners‘ irritating habits – because they are probably innate – but must find ways to live with them. The parents of a homosexual are generally more accepting when they believe that homosexuality is an immutable part of nature rather than a result of some aspect of their parenting. Far from being a sentence, the realisation of innate personality is often a release.

Danach ist es also für viele Leute eine Erleichterung und gut für ihr Selbstbewußtsein, wenn sie sich oder andere so akzeptieren können, wie sie sind und dies als Grundlage eröffnet ihnen dann gleichzeitig die Möglichkeit, auch an sich zu arbeiten und so etwas wie Schüchternheit eher zu verbessern. Weil es einem eine Grundlage bietet und auch eine Erklärung: Man muss sich keine Vorwürfe mehr machen und kann daher leichter mit der Sache umgehen.

Ein ähnliches Phänomen hatte ich schon einmal bezüglich der Geschlechterrollen dargestellt:

Eine interessante Beobachtung machte Trautner bei Längsschnittstudien mit anfangs auffällig streng einteilenden Kindern: Wer als Kleinkind seine Welt besonders klar in männlich/weiblich aufteilte, konnte später lockerer mit den Kategorien umgehen. Das entspricht der Alltagswahrnehmung. Männer und Frauen, die früh in eine sichere Geschlechtsrolle gefunden haben, müssen sich nicht mehr ständig ihrer sexuellen Identität durch präpotentes oder püppchenhaftes Gebaren versichern. Sie können sich auch vom Rollenklischee abweichendes Verhalten erlauben.

Die klare Vorstellung von der Geschlechterdifferenz und der eigenen Zugehörigkeit ist offenbar eine gute Basis für einen späteren freien Umgang mit Stereotypen. Man kann sich dann Interesse und sogar Freude und Spaß an der Differenz leisten. Und man kann dann auch Unterschiede ertragen. Denn Differenz, darauf weist der Sozialwissenschaftler Amendt hin, macht eben nicht nur stolz. Sie erzeugt auch Neid. Penisneid ist da bloß ein Beispiel. Nur starke Menschen halten die Unterschiede zwischen den Geschlechtern aus.

Auch hier sind also Menschen, die meinen, sich selbst gefunden zu haben, sicherer. Und auch dabei kann einem dann vielleicht das Wissen, dass man eben auf eine bestimmte Weise ist, helfen.

Ich vermute, dass es auch durchaus Nachteile geben kann, wenn man ohne Grund annimmt, wegen bestimmter angeblich bestehender Geschlechterunterschiede etwas nicht zu können, zB eine Frau, die meint, sie kann keine Bohrmaschine bedienen oder ein Mann, der meint, dass er nicht kochen kann. Allerdings wären das eben auch Vorstellungen, die sehr essentialistisch sind und den Rahmen der Biologie stark überziehen.

Des weiteren vermute ich, dass genau dieser Umstand, dass man sich gern in einer Rolle sicher ist, bestimmte Leute, die in die normalen Rollen und Muster nicht passen, eher motiviert, sich mit Queertheorie und Genderfeminismus zu beschäftigen. Denn dort ist man eben auch plötzlich „richtig“, alle anderen sind falsch. Ich vermute allerdings, dass dort des häufigeren die kognitiven Dissonanzen größer werden, weil man dort ja darauf achten muss, dass man nicht doch ein falsches verhalten, etwas zu stereotyp, zeigt. Da bieten aus meiner Sicht die biologischen Theorien, wenn sie richtig verstanden werden, mehr halt.