Bei MundD hat only me eine interessante Theorie aufgestellt, bei der es darum geht, dass im Feminismus deswegen mit „Akkordeon-Definitionen“ von Wörtern gearbeitet wird, weil es gar nicht auf die Worte, sondern auf deren Wirkung, also quasi das damit transportierte Gefühl ankommt.
Wenn du davon ausgehst, dass ein Wort eine Bedeutung hat, dann ist es naheliegend und kaum zu verweigern, irgendeine Art von Definition oder wenigstens Eingrenzung zu geben.
Das ist aber nicht der Fall. Feminismus begrenzt keine Begriffe, gibt keine Kriterien, was gemeint ist und was nicht.
Ich habe seit heute die Arbeitshypothese, dass das damit erklärbar wäre, dass “Bedeutung” für einen Feministen nicht wichtig ist. Es geht nicht um Bedeutung, Definition, Kriterium. Das sind alles irrelevante, nicht mal wahrgenommene Dimensionen eines Wortes.
Relevant ist stattdessen die Wirkung.
Beerdigt Wittgenstein, hoch lebe Searle. Sprechakt ist alles, Bedeutung ist nichts.
Das zusammen mit Konstruktivismus, dass es keine objektive Realität und damit keine objektive Interpretation des (Sprech-)Aktes gibt, scheint mir den kompletten feministischen Umgang mit Sprache zu erklären.
Ein Wort meint das, was es bei MIR auslöst.
Patriarchat = Ich habe das Gefühl, durch mein Frausein ungerecht behandelt zu werden.
Vergewaltigung = Ich habe, auch nachträglich, das Gefühl, dass ich das nicht wollte.
Wage Gap = Ich und meine Freundinnen hätten gern mehr Geld und wir haben das Gefühl, die Männer unserer Umgebung haben mehr Geld.Geh weg mit Kriterien; geh weg mit Definitionen; geh weg mit Objektifizierungsversuchen. Das einzig Reale ist das Subjektive und da vor allem die Empfindung.
Vergiss “bedeutet”, Hallo “löst aus”
Das würde zumindest die Unschärfe in vielen Bereichen erklären, bei der man Begriffe beliebig ausdehnen kann, wenn es einem besser gefällt, wenn man sie also gefühlsmäßig so erweitern möchte.
In dem Buch „Professing Feminism“ beschäftigen sich die Autorinnen auch mit dieser Unschärfe, eben unter dem bereits verwendeten Begriff des Akkordeonprinzips (Alles kann ausgezogen oder zusammengeschoben werden, wie es gerade passt). Dort wird das folgende Beispiel genannt:
The game of Accordion Concepts gets under way when academic feminists “theorize” the slogan. An example is Adrienne Rich’s redefinition, noted in an earlier chapter, of lesbian to include all women who put energy into, or who identify with, the life projects of other women, regardless of whom they happen to sleep with or be in love with. On this redefinition, Catharine MacKinnon, the radical feminist legal theorist who has appeared in newspaper photos arm in arm with her fiance, Jeffrey Masson, becomes a prototypical lesbian because of her intense political commitments to the cause of women. To be sure, Rich’s essay is more subtle than this, because she at least introduces a continuum, permitting the drawing of some distinctions. If taken literally, however—which it often is in Women’s Studies courses—her extension-by-definition of lesbian rules out the possibility of conceiving either of a nonfeminist lesbian or of a nonlesbian feminist. Such semantic sorcery benefits neither the lesbian rights movement nor the cause of feminism.
Hier wird der Begriff der „Lesbe“ stark ausgeweitet, um ein In-Grouping durchführen zu können. Es ist ausreichend, dass sie sich irgendwie (aber dann wahrscheinlich doch wieder auf die richtige Weise) mit Frauenanliegen beschäftigen. So kann man dann auch den Slogan retten „das alle Frauen Lesben sind“ und insofern den Bereich der Zwangsheterosexualität gleichsetzen mit der Unterdrückung der Frau.
Mir scheint hier auch zugleich ein Spiel mit „Feld und Festung“ vorzuliegen: Wenn man bei dem Begriff „Patriarchat“ in die enge gedrängt wird, dann wird dieser von der „Herrschaft der Männer“ eben zur „allgemeinen Unterdrückung der Frauen durch gesellschaftliche Strukturen“. Von da aus kann man dann mit ein paar Verallgemeinerungen („die Strukturen sind auch alle von Männern/der hegenomialen Männlichkeit geschaffen“) wieder auf den Ausgangspunkt zurückkehren: Das einzig Feste scheint insofern tatsächliche die Wirkung und die gefühlsmäßige Botschaft zu sein, die richtige gefühlsmäßige Botschaft, die Wahrung de Gruppenidentität als Opfer. Die eigentliche Begründung und die Aufschlüsselung dieser mit genauen Definitionen spielt dann eine untergeordnete Rolle.
In das Konzept scheint mir auch der Begriff der „Truthiness“ von Colbert:
In der ersten Sendung wurde truthiness vorgestellt. Das Wort beschreibt den Umstand, etwas aus dem Bauch heraus zu wissen, ohne auf Beweise oder Vernunft abzustellen. Gemeint ist eine „Wahrheit“, die dadurch entstehe, dass sie sich intuitiv wahr anfühle, nicht jedoch den wirklichen Gegebenheiten entsprechen müsse. Die New York Times zählte truthiness zu den neun Wörtern, die den Zeitgeist des Jahres 2005 am besten wiedergaben. Die American Dialect Society wählte truthiness zum Wort des Jahres 2005.
Ein Video dazu, in dem Colbert das Wort erklärt, findet sich hier.
Es geht auch in die Richtung, dass die Begründung eigentlich nicht wichtig ist, sondern, dass es sich richtig anfühlt.
Ähnliche Konzepte sieht man auch in „Whitepassing ist kein Privileg„, indem deutlich wird, dass der Begriff der „Person of Color“ eigentlich keine „Color“ mehr benötigt und auch bei sehr weißen Personen angewendet werden kann, wenn sie sich nur hinreichend unterdrückt fühlen können. Da wird dann mit Begriffen wie „BPoC (Black People of Color)“ teilweise wieder eine Unterkategorie geschaffen, weil der Begriff sich für Schwarze nicht mehr speziell genug anfühlt und gleichzeitig wieder als Oberbegriff von „WPoCs (spasshaft in den Kommentaren des Beitrags für „White Person of Color“) verwendet, weil sie sich in der Kategorie befinden wollen.
Letztendlich ist es in vielen Fällen schlicht auch eine Frage der Identität: Das Patriarchat, das ist die Outgroup, die Männer, die Mitmacherfrauen, die schlechten Allys, alle die irgendwie gerade nicht passen, zur Not eben auch die Mädchenmannschaft. Die InGroup, dass sind alle, die zur eigenen Identität gehören sollen, seien das Lesben, PoCs, Frauen oder wer auch immer. Welcher Oberbegriff bezüglich dieser Identität verwendet wird, ist dann egal.
Diese Identität ist dann auch auf Begriffe und Konzepte wie Vergewaltigung/Rape übertragbar: Dessen Identität ist das böse, dass irgendwie den Willen umgeht oder zu schlechten Gefühlen führt, die man nicht abwehren kann. Alles, was diese Wirkung hat, kann dann auch wieder Vergewaltigung sein. Damit ist auch alles ein Anzeichen für die Rape Culture.