Gestern wurde in den Kommentaren auf einen Artikel von Heng auf „Teariffic“ hingewiesen, in der diese sich über ihr „White Passing“ und die daraus folgenden Schwierigkeiten für sie als „Person of color“ beklagt.
Auf Twitter findet man folgendes Foto von ihr:
Hier war bisher das Profilbild von Heng bei Twitter, auf Wunsch von ihr entfernt (weitere Bilder: 1, 2)
Also mich wundert ihr „White Passing“ da jetzt nicht so.
Aber es ist vielleicht ein guter Anlass sich mal mit dem Begriff der „Person of Color“ zu beschäftigen. Die englische Wikipedia hat dazu das Folgende:
Person of color (plural: people of color, persons of color) is a term used primarily in the United States to describe any person who is not white. The term encompasses all non-white groups, emphasizing common experiences of racism. The term is not equivalent in use to „colored“, previously used in the US as a term for African Americans only.
People of color was introduced as a preferable replacement to both non-white and minority, which are also inclusive, because it frames the subject positively; non-white defines people in terms of what they are not (white), and minority frequently carries a subordinateconnotation.[1] Style guides for writing from American Heritage,[2] the Stanford Graduate School of Business,[3] Mount Holyoke College,[4] recommend the term over these alternatives. It may also be used with other collective categories of people such as students of color, men of color and women of color. Person of color typically refers to individuals of non-European heritage.[5]
The untranslated English term has also seen some limited usage among Germans of color, especially when stressing the postcolonial perspective,[6] but so far has not found entrance into general German language and is not necessarily known by the general populace.
In der deutschen Wikipedia heißt es:
Person of color (Plural: people of color) ist ein Begriff aus dem anglo-amerikanischen Raum für Menschen, die gegenüber der amerikanischen Mehrheitsgesellschaft als nicht-weiß gelten und sich wegen ethnischer Zuschreibungen („Sichtbarkeit“) alltäglichen, institutionellen und anderen Formen des Rassismus ausgesetzt fühlen
Damit wäre die Definition eigentlich recht dehnbar, gerade durch das „fühlen“. „Non-White“ würde eigentlich Heng schon eher wieder aus den „People of Color“ rausnehmen, auch wenn sie als aufgrund ihrer Herkunft aus dem Iran einen gewissen „ethnischen Hintergrund“ hat. Sie selbst beschreibt sich als “ White-passing Hard Femme of Colour, queer, Studentin.„
(Exkurs: Nach dieser Betrachtung bin ich dann mit einer PoC zusammen, Südland ist ja auch eine „ethnische Herkunft“. Gelegentlich werde ich auch mal als „Non-White“ gelesen, Norditaliener gar oder bei bestem Urlaubsbart auch als Nordgrieche, oder was südosteuropäisches, ich scheine da auf einige etwas unbestimmt zu wirken, auch wenn mich die allermeisten „Weiß“ lesen. In einem Französisch-Kurs an der Uni sollten wir beispielsweise jeder als einen der ersten Sätze angeben, welche Nationalität wir haben, demnach sagte ich, als ich an der Reihe war „je suis allemand“ und brachte die Lehrerin zur Verzweifelung, weil ich auf ihren Vorhalt, dass es falsch sei, es immer wieder mit besserer Betonung versuchte. Bis sie mir dann offenbarte, dass ich doch gar nicht aus Deutschland kommen würde und (endlich) mein richtiges Land einsetzen solle. Naja, anscheinend bin ich auch ein PoC. Exkurs Ende)
Jetzt hätte ich etwas naiv gesagt, dass in diesem Gedankenmodell ja ein „white passing“ eine gute Seite sein muss, denn es eröffnet einem den Zugang zu allen Privilegien: Die Privilegien werden ja nach dem Erscheinungsbild zugewiesen und sie wird damit als privilegiert gelesen.
Bei Heng klingt es dennoch düster:
Zwei coole Middle-Eastern Queens steigt am Hermannplatz ein, die beiden Freundinnen sitzen in einem Viererblock mit mir und einer anderen Person, die ich als Middle-Eastern Mädchen lese. Die beiden Freundinnen unterhalten sich miteinander, die eine hat einen knallroten Lippenstift und lockiges Haar, die andere ein sehr schmales Gesicht und goldene Kreolen. Sie nehmen viel Raum ein, unterhalten sich laut, reclaimen sich den von weißen Yuppies gefüllten Space namens U-Bahnabteil. Ab und zu lächeln sie der vierten Person auf den Sitzbänken zu, es ist keine große Kontaktaufnahme, nur ein Zeichen von “Ich sehe, dass du da bist, Schwester!” Ich beobachte die beiden, bewundere sie. Sie wirken auf mich sehr selbstbewusst und erinnern mich an Töchter von Bekannten. Ich versuchte, nicht starrend auszusehen, also schaute ich immer nur für ein paar Sekunden hin und senkte meinen Blick schnell wieder. Ich lächelte, hätte ihnen gern zugelächelt. Hätte gerne auch ein “Ich sehe, dass ihr da seid und ich bewundere euch, Schwestern!”-Zeichen ausgesandt. Wie ich es oft auf der Straße versuche, wenn ich Muslimas und nicht-weißen Personen über den Weg laufe. Aber ich werde häufig nicht erkannt.
Erst einmal ist es natürlich interessant, dass man hier die Raumeinnahme nicht als Mackerhaft ansieht, sondern als toll, als „Raum zurückerobern“. Da würde sie gerne mitmachen, aber sie ist eben in der Hinsicht nicht privilegiert, kein Opfer, sondern muss Zurückhaltung zeigen. Warum sie sie nicht als Frauen, die hier anscheinend gegen die Männer Raum einnehmen, toll finden kann, erzählt sie leider nicht.
Neuer Raum, neues Glück. Um mich herum unterhalten sich weiße Queers. Sie reden über Feiertage, ihre Großeltern, deutsche Küche, Familienurlaub. Identifikationspotenzial: Null. Ich langweile mich. Einmal versuche ich mich ins Gespräch einzubringen und mache einen Scherz. Über deutsche Küche und seinen mangelnden Geschmack. “Ohne Kurkuma, ohne mich”, lache ich. Außer mir lacht keine_r. “Einmal habe ich Kurkuma über meinen Reis gemacht, das hat voll komisch geschmeckt”, sagt eine Person, die ich kaum kenne, aber sofort scheiße finde. Irgendwann wollen Leute wissen, wie genau mein Name nochmal geschrieben wird. Und woher er kommt. Ach so, Iran, wie exotisch!
Das sind Struggles als Person of Color mit white-passing-Privileg
Da nehmen die sie auch einfach nicht als Person of Color war und ihr kleiner Versuch, dass zu retten, indem sie über die deutsche Küche herzieht, scheitert auch noch. Die stimmen ihr nicht vorbehaltlos zu, sondern widersprechen sogar! Haben einen anderen Geschmack als sie! Widerlich, kein Wunder, dass sie sie nicht mag. Die Beachten eben ihren Opferstatus nicht genug, behandeln sie einfach als weißprivilegierte Person, der man sagen kann, dass einen persönlich Kurkuma nicht schmeckt, ohne dass sie dabei merken, dass das rassistisch ist. Ich kann die arme Heng verstehen. Interessanterweise hätte sie natürlich eine Person, die ihr zustimmt, dass Kurkuma auf Reis das beste ist, auch rassistisch finden können, denn die eignet sich dann ja deren Kultur an, was auch nicht geht. Insofern hätte man wohl allenfalls sagen dürfen, dass andere Küchen eben viel besser sind als die inländische und sie anbetend anschauen können.
In separatistischen BPOC-Räumen (Räume, die nicht für weiße Personen offen sind), fühle ich mich manchmal unwohl. Ich habe Angst, dass die anderen Personen denken, ich eigne mir ihre Struggles an und gehöre nicht dahin. Ich habe Angst, Raum einzunehmen, der mir nicht zusteht. Ich hinterfrage jede meiner Handlungen, bin verunsichert, weiß nicht, was angemessen ist. “Eigentlich sehe ich doch aus, wie eine random Person aus dem Middle-East. Wie aus dem Iran oder aus Israel oder der Türkei. Da sehen doch auch nicht alle gleich aus! Get over yourself!”, denke ich dann immer.
Wenn Menschen mich in diesen Räumen anschauen, werde ich sofort nervös. In Moscheen habe ich ein solches Gefühl nicht, sondern eher in politischen Räumen. In solchen Momenten verfalle ich in problematische Denkmuster wie: Ich wünschte, ich würde iranischer aussehen. Ich wünschte, ich würde mehr wie mein Vater aussehen. Warum wird meine Schwester immer richtig gelesen, wir sehen uns doch total ähnlich?
„BPOC“ sind übrigens „Black People of Color“. Da frage ich mich wirklich, warum sie da meint reingehen zu können. Sie ist eben nicht „Black“. Anscheinend ist sie sich ihrer Privilegierung nicht hinreichend bewußt.
Ich finde es insoweit schon faszinierend, dass sie erst die rassistischen Probleme darstellt und sich dann beklagt, dass sie weiß gelesen wird.
Ihre ganze Angst macht insofern aus meiner Sicht eher deutlich, dass sie insbesondere zur Gruppe dazugehören möchte, eine von den guten sein möchte, keine Weiße, die ihre Privilegien hinterfragen muss, sondern eine PoC, die voller Stolz sagen kann, dass sie diskriminiert wird und deswegen dazu gehört.
Wenn ich dann mit Menschen spreche und meine Daseinsberechtigung innerhalb diesen Raums nicht hinterfragt wird, entspanne ich mich ein bisschen. Weniges empowert mich so sehr, wie von anderen Personen of Color eine Art Anerkennung oder Zugehörigkeitsgefühl vermittelt zu bekommen. Ich kann es nicht richtig formulieren, aber ich fühle mich einfach sichtbar.
Da wird dieses In-Group-Gefühl noch einmal von ihr sehr deutlich ausformuliert. Sie möchte dazugehören, was bei jemanden, der einer Identitätspolitik, die Weißsein stark abwertet, angehört, ja durchaus verständlich ist. Es muss ein schrecklichers Gefühl sein, wenn die anderen einem dem Unterdrücker zuordnen
Die Erleichterung tritt auch ein, weil ich es total nachvollziehen kann, warum Menschen mich in diesen Räumen nicht haben wollen. Weil ich ganz andere Erfahrungen habe als sie, weil ich sehr leicht zu tokenisieren bin. (Aber auch: Alle Personen of Color haben unterschiedliche Erfahrungen. Und komplett andere Erfahrungen als Schwarze Personen. Ich behaupte auch nie, die Oppression Olympia zu gewinnen. Und wenn Personen als Tokens genutzt werden, dann sind die priviligierten Tokenizer das Hauptproblem. Es ist zwar auch eine Entscheidung, Quoten-Whatever zu sein. Aber eine Entscheidung, die mit vielen Faktoren zusammenhängt – im Zweifelsfall mit der Existenz.)
Tokenisierung ist übrigens etwas, bei dem man denjenigen als Vertreter seiner Gruppe sieht und nicht mehr als Individuum. Man sieht also etwa eine Frau, die sich in einem sonst überwiegend männlich besetzen Bereich aufhält, nicht mehr als individuelle Person, sondern lädt die Vorurteile bezüglich dieser Gruppe bei ihr ab und behandelt sie als Vertreter dieser Gruppe. Ob sie damit meint, dass sie dann als „Araberin“ tokenisiert wird bleibt mir etwas unklar. Wobei ich vermute, dass sie nicht als Weiße tokenisiert werden kann, denn das können nur in diesen Theorien üblicherweise nur Minderheiten (weswegen es auch okay ist, einen Mann als Vertreter der Männlichkeit oder der Männer zu sehen und damit im Feminismus nur das schlimmste von ihm zu denken, ohne sich den Vorwurf der Tokenisierung einzuhandeln).
Interessieren würde mich auch, ob der Satz “ Ich behaupte auch nie, die Oppression Olympia zu gewinnen“ nicht eigentlich angesichts ihrer Privilegien gegenüber BPOCs eine Leugnung ihrer Privilegierung ist.
Erst vor kurzem war ich in einer sehr merkwürdigen Situation. Meine Mutter und Schwester sagten am Tisch zu mir, ich sähe gar nicht iranisch aus. Das ist ein unsinniger Kommentar, wie sehen denn auch iranische Personen aus? (…) Ich wusste, dass es Kackscheisze war, die sie sagten. Aber es verletzte mich sehr, von meiner eigenen Familie geothert zu werden. Nicht mal in diesem Raum zu genügen. Nirgendwo reinzupassen.
Das typische Migrantengefühl, dass man nirgendwo reinpasst, kann ich nachvollziehen. Bei ihr kann ich auch nachvollziehen, dass es sie sehr ärgern muss, dass man sie aus der PoC-Kategorie aussortiert. „Othern“ als Unterdrücker. Dabei will sie doch selbst „Othern“, die PoC und nicht Nicht-PoCs, die Weißen.
Ich möchte mich mit diesem Text nicht als Special Snowflake inszenieren. Es sind einfach Gedanken, die in den letzten Monaten sehr aufdringlich in meinem Kopf herumspukten und die mich sehr beschäftigen. Es ist so vieles, bei dem ich mich zwischen zwei Stühlen fühle: Nicht dünn, nicht fett, sondern dick. Nicht cis, nicht binärtrans, sondern nicht-binär weiblich. Auch mit queerfemininer Performance wird eins aufgrund von Lookismus oft falsch gelesen. Community-Räume versetzen mich in Stress und Ängste, weil ich in wenigen das Gefühl habe, wirklich willkommen zu sein. Konkretes Beispiel: Wenn ich in einem Club “ganz natürlich tanze”, hab ich einerseits Anxiety davor, dass Menschen meine Performance für Aneignung halten, und andererseits (in weißen Räumen), dass ich dafür exotisiert_fetischisiert werde. Egal, was ich mache, es könnte problematisch enden. Es ist ein großer Identitätsstruggle, der mit Angst vor Aneignung, unangebrachter Raumeinnahme und Selbstzweifel verbunden ist.
Mit dem Feminismus und dem intersektionalen Feminismus wird alles besser. Jeder ist überall willkommen und keiner wird mehr ausgebremst. Man kann sich einfach verhalten wie man will, ganz ohne Angst davor, nicht akzeptiert zu werden. Alles ist abgeschafft und Gruppendenken, nein Gruppendenken gibt es nicht mehr. Es ist eine gemütliche Welt ohne Abschottung und ohne Grenzen.
Wie könnte man jemals etwas anderes denken?