Ich wurde auf einen interessanten Artikel in der Süddeutschen Zeitung hingewiesen, der Josef (also quasi der „soziale Vater“ von Jesus als Thema hat.
In dem Artikel heißt es:
Seit Jahrhunderten steht dieser Mann wie überflüssig herum. In vielen Darstellungen hält er eine Laterne in der Hand, auf dass er zu irgendetwas nütze sei. Er beleuchtet die Krippe, in der das Kind liegt. Er ist ja nicht dessen biologischer Vater, sondern dessen Nähr- und Ziehvater; der rechtliche und soziale Vater, wie man das heute nennt. Die Evangelisten erklären dazu: Maria ist schwanger vom Heiligen Geist. Aber von dem hört und sieht man im Stall zu Bethlehem nichts. Und so kommt Josef zur besten Nebenrolle der Welt: Weil er ein so gutmütiger Kerl ist, darf er mit hinein in den göttlichen Stall.
Die Rolle des Josefs ist aus väterrechtlicher Sicht ja durchaus interessant. Er ist nicht der Vater, diese Rolle ist Gott/dem heiligen Geist zugewiesen, wobei das Konzept der genauen Empfängnis da ja auch etwas unklar bleibt, wenn man den (auf einer falschen Übersetzung beruhenden) Jungfrauenkult mitnimmt. Die Abstammung von Jesus zu David erfolgt aber gleichzeitig wieder über den Vater.
Zu Maria gibt es einen großen Kult, gerade in der katholischen Kirche hat sie eine sehr bedeutende Stellung erlangt. Um Josef bleibt es hingegen eher ruhig, man kann ihn nicht so stark ausleuchten, weil man sonst das Göttliche bezüglich Jesus ja wiederum etwas zurücknehmen würde.
Aber weil niemand auf die Idee kommen soll, Josef könnte vielleicht doch der biologische Vater sein, hat man ihn beizeiten zum alten Mann gemacht. Das ist Unfug, nach den biblischen Texten war er ziemlich viril, denn Jesus hat einen Haufen Brüder und Schwestern gehabt (siehe Matthäus 13,55 ff). Weil Maria aber in der katholischen Dogmatik ewige Jungfrau ist, macht die Exegese lustige Verrenkungen, sie zu „Vettern und Basen“ zu erklären. Josef widersetzt sich nicht der Rollenbeschreibung, die ihn zum Opa macht: In der ganzen Bibel redet er nichts; kein einziges Wort aus seinem Mund ist überliefert. Er gilt daher als ein wenig trottelig, als gutmütiger Tropf, als heiliger Adabei. Das ist falsch. Es ist Zeit für die Rehabilitierung des heiligen Josef.
Hier ist es mal wieder erstaunlich, dass Sexualität so etwas negatives hat. Schon bei der Frage, ob Jesus verheiratet war, tendieren die heutigen Auslegungen ja dazu, ihn geradezu asexuell zu halten, weil Sex und Gott in dieser Vorstellung nicht zusammenpassen. Das ein Gott eine Frau begehrt, dass er sie verführt, dass er geradezu animalischen Sex mit ihr will, dass ist bei den alten Griechen und Römern Alltag, im Christentum aber würde es wohl gegen Reinheitsgedanken verstoßen.
Josef ist von Beruf Zimmermann, und ein mutiger Mann ist er nicht nur deswegen, weil er zupackend ist und die Mutter und ihr Kind schützt – erst vor dem Gesetz, das mit der Steinigung der ungetreuen Frau drohte; dann vor König Herodes und seinen Todesschwadronen, die das Neugeborene umbringen wollten. Josef floh deswegen mit Maria und dem Kind nach Ägypten. So steht es in der Bibel. Die Evangelien legen Wert darauf, ihn als beherzten Mann zu zeigen. Deswegen ist Josef ein Held des Alltags.
Auch diese Szenen kommen zumindest in meiner Erinnerung der Bibel reichlich kurz. Die Stelle de guten Vaters und Hirten ist in der Bibel eben schon besetzt: Mit Gott und Jesus, wenn auch in eher unbiologischer Weise
Die Kirchenlehrer haben die Geschichte von der Jungfrauengeburt fast zwei Jahrtausende lang missbraucht, um die Sexualität zu verdammen, um Jungfräulichkeit und sexuelle Enthaltsamkeit als das große Ideal zu preisen. Die Kirchenlehrer haben aus der Jungfrauengeburt eine Sexuallehre, ein sexuelles Dogma gemacht, sie haben so getan, als sei die Lehre von der Jungfrauengeburt ein Spezialgebiet der Sexualkunde. Geschlechtsakt und Zeugung werden aus dieser Sicht zu einem Akt der Befleckung, nur Maria darf als die „Unbefleckte“ beschrieben werden. Das ist ein Missverständnis.
Die Verdammung der Sexualität ist wohl einfach die Folge einer Betonung der Langzeitstrategie, also der Paarbildung. Der Kampf gegen die Triebe wird übertrieben und ausgeblendet, dass auch diese eine Teil der Langzeitstrategie sind und auch in dieser wichtig sind. Unsexuelle Motive erscheinen uns denke ich daher „rein“, weil die Kurzzeitstrategie so sexuell geprägt ist. Sie werden daher eher mit ihr in Verbindung gebracht. Solange Herrscher und Könige noch ungestört mit diversen Frauen schlafen könnten, sei es über Sklaven, Kriege oder Vielehe, war dieser Gedanke schwerer abzuwerten.
Jungfrauengeburt meint etwas ganz anderes, nichts Biologisches, sondern etwas Geistliches. Die Wahrheit über diese Jungfräulichkeit findet man nicht bei einer gynäkologischen Untersuchung. Die Evangelisten, die von der Jungfrauengeburt schreiben, sind Theologen, keine Sexologen. Sie sprechen nicht von der menschlichen Fortpflanzung, sondern vom Fortschritt des Menschlichen. Die Jungfrauengeburt ist Chiffre für die emanzipatorische Idee, sie ist ein Freiheitsbegriff. Die Sprache der Bibel und des Credos ist hier eine mythische, keine historische oder naturwissenschaftliche.
Der Fortschritt der Menschen, das „mehr an Zivilisation“ ist eben auch ein Bestandteil des Ausblendens von Trieben. Weg vom Tierhaften, triebhaften, der Biologie, hoch zur Seelenverwandtschaft (die nicht weniger biologisch ist, aber uns weniger so erscheint).
Jungfrauengeburt“ soll besagen, dass etwas ganz Neues zur Welt kommt, das nicht männlicher Macht entspringt. Die Weihnachtsgeschichte beginnt mit dem Abschied vom Patriarchat. Das Neue kommt ohne Zutun männlicher Potenz zur Welt – durch die Kraft des Geistes. „Geist“ ist in der hebräischen Bibel feminin, eine Die, eine schöpferische, weibliche, pfingstliche Kraft: sie reformiert, sie revolutioniert, sie macht neu. Daher heißt es im Magnifikat, im Lobgesang Marias: „Gott stürzt die Mächtigen vom Thron“.
Es verwundert nicht, dass ein Zurückdrängen der Sexualität und eine Betonung der Langzeitstrategie eher mit „Männlichkeit“ verbunden wird. Für (Alpha-)Männer lohnt sich aufgrund der niedrigeren (Fix-)Kosten des Sex eben, wenn sie erfolgreich umgesetzt wird, im noch höheren Maße als für Frauen und kann, da die Kosten der Schwangerschaft auf die Frau verlagert werden können, auch relativ problemlos umgesetzt werden, zumindest von den Mächtigen und Erfolgreichen. Übersehen wird dabei, dass die Langzeitstrategie ebenso Vorteile bietet und insoweit „männlich“ (und weiblich) ist. Es betont nur einen anderen Aspekt, den der Paarbindung, der Versorgung und Förderung des Nachwuchses, die Übernahme von Verantwortung für diesen. Es ist insofern in gewisser Weise eine Strategie, die eher dem „Beta“ zugeordnet wird, weil eben die Langzeitstrategie so vorteilhaft für die an der Spitze sein kann.
In dieser Hinsicht scheint mir auch das „Zurückdrängen der Mächtigen“ zu verstehen zu sein: Es betont Kooperation und nicht Wettbewerb, und auch dies ist kein Zurückdrängen des Männlichen, sondern lediglich eine andere Ausrichtung einer Gesellschaft hin zu einem Zurückdrängen intrasexueller Konkurrenz. Der sich aus einer starken Konkurrenz ergebende „Herrschaftsanspruch“ ist es wohl, den man am ehesten mit einer patriarchischen Gesellschaft in Verbindung bringt.
Die Legende von der Jungfrauengeburt legt also die Axt ans Stammbaum-Denken und die klassischen Machtstrukturen. Die Geschichte, dass alles vorbestimmt ist durch die Abstammung, und dass es nur einen Vater geben kann, ist zu Ende. Die Weihnachtsgeschichte ist also auch eine tröstliche Geschichte für all die Menschen, die in komplexen Familienstrukturen leben. Schon für das Kind in der Krippe sind die Verhältnisse kompliziert. Aber es wird dort nicht, wie heute so oft, um die Rangordnung von Vätern und die richtige Zuordnung von Kindern gestritten: Ist es derjenige, der mit der Mutter verehelicht ist? Ist es der, der es zeugt oder der, der es wickelt? Man kann erschrecken über das Gezerre, das vor den Gerichten stattfindet, wenn es darum geht, ein Kind aus dem Kreidekreis der Begehrlichkeiten auf eine Seite zu ziehen.
Die Bedeutung der Vaterschaft war wahrhaftig nicht mit der „Jungfrauengeburt“ zu Ende. Ganz im Gegenteil: Mate Guarding, Vatersicherheit, der Einsatz für ein Kind, bei dem man sich sicher war, dass es von einem selbst abstammt, das Alles hat nach wie vor eine hohe Bedeutung.
Sicherlich: Heute leben wir eher in Patchworkfamilien und Kinder entwickeln auch Beziehungen zu neuen Partnern und Partnerinnen. Dennoch ist die Zuordnung zum biologischen Vater nach wie vor eine wichtige Frage.
Josef ist der Antityp zum patriarchalen Männerbild. Deswegen belächelte man ihn mitleidig als heiliges Weichei, machte aus ihm einen alten, impotenten Mann. Viele Jahrhunderte lang galt ein strikt antijosefisches Männerbild. Immer war die gekränkte Mannesehre am Werk und die Vorstellung, die Frau gehöre dem Mann – und wenn sie fremdging und schwanger wurde, dann war die Leibesfrucht ein „falsches Früchtchen“, ein fremdes Gut, das weggeworfen gehörte.
Auch hier ist meiner Meinung nach die biologische Betrachtung präziser: Denn ein Mann, der nach einem „fremdgehen“ das fremde Kind betreut, würde wohl auch bei den meisten Frauen als „Weichei“ gelten. Eben weil dieses Festhalten an der „betrügenden“ Frau deutlich macht, dass er sich selbst einen geringen Wert zurechnet, ebenso wie seine Frau dies zu tun scheint, und seine eigenen genetischen Interessen nicht umsetzt. Das dieses Signal verarbeitet wird und sich eher in einer gewissen Geringschätzung ausdrückt ist evolutionär zu erwarten. Beleidigungen und Abwertungen leiten sich häufig aus dem evolutionären Partnerwert und Anzeichen dafür, dass dieser gering ist, ab. Und Handlungen, die die vereinbarte Kooperation „wir beide bringen unsere Gene zusammen in die nächste Generation und konzentrieren unsere gemeinsamen Kräfte darauf“ infrage stellen, werden eben selten positiv aufgenommen. Das ist abzugrenzen, dass man eine neue Partnerschaft mit jemanden eingeht, der schon ein Kind aus einer anderen Beziehung hat, da ist immerhin kein Bruch der gegenseitigen Kooperation vorhanden.
Die Weihnachtsgeschichte ist der Abschied von diesen und anderen klassischen Machtstrukturen; sie lehrt den Auf- und Ausbruch aus den überlieferten Verhaltensweisen, sie lehrt den Neuanfang. Es gab die reformatorischen Neuanfänge, die antipatriarchalen Aufbrüche immer wieder: Franz von Assisi, der sich von seinem reichen Vater lossagte; die Waldenser; Luther, der zuerst, als er Mönch wurde, seinem Vater den Gehorsam aufkündigte und später dann auch noch dem Papst. Es kann einem auch Marie Juchacz einfallen, die vor 95 Jahren als erste Frau im Deutschen Reichstag redete: „Meine Herren und Damen“.
Das Christentum ist eine Religion, die den Abbau von Hierarchien und die Kooperation als Ziele benennt. Natürlich hat man auch auf dieser Basis einiges an Hierarchien geschaffen und Wettbewerb damit gestützt:
Die Kirchen selbst haben Hierarchien aufgestellt und innerhalb dieser Macht ausgeübt, Krieg im Namen von Religionen wurde geführt. Der Aufruf friedfertig zu sein wurde eben häufig lediglich auf die In-Group bezogen, gegenüber der Out-Group hingegen galt er nicht, die musste man eher „bekehren“ oder als Heiden ausrotten. Und auch genug christliche Nationen haben sich energisch bekämpft, teilweise wie man an der Reformation sieht auch gerade wegen der Auslegung der Religion und relativ unbedeutender Einzelheiten.
Natürlich: Mit einer Verringerung des intrasexuellen Wettbewerbes unter Männern oder vielmehr der Verlagerung dieses Wettbewerbs auf wirtschaftliche Fragen und weg vom tatsächlichen Kampf was die In-Group betraf hat man auch die Emanzipation der Frau vorbereitet. Zu dieser beigetragen hat aber weit weniger das Christentum, mit dem man nach wie vor den Mann als (göttlich gewolltes) Oberhaupt der Kirche ansehen konnte, sondern technischer Fortschritt und letztendlich die Verhütung sowie der gehobene Lebensstandard.
Dieser machte es auch erforderlich, dass man allgemein friedlicher miteinander umging und Kooperation erhöhte. Es ist also weniger so, dass eine Botschaft in linearer Weise eine Veränderung bewirkt hat, sondern eine Botschaft konnte Fuß fassen, weil die tatsächlichen Grundlagen vorhanden waren und sich dann immer weiter ausbreiten, weil sie durch gesellschaftliche und technische Umstände begünstigt wurde, wobei in Wechselwirkung dann die Botschaft wieder die gesellschaftlichen und technischen Umstände begünstigte, die ihrer Verbreitung dienlich waren.
Mit einer simplen Abwertung des „Patriarchats“ oder gar des Mannes hat es insofern wenig zu tun. Es werden eher andere Strategien betont, die auch schon immer bestanden.