Wenn man biologische Begründungen vertritt, insbesondere evolutionsbiologische, was bestimmte menschliche Umstände angeht, dann verstehen diese häufig gerade „Betroffene“ als Angriff auf sich selbst oder die Gruppe, der sie sich zuordnen, weil sie der Auffassung sind, dass man sie damit als krank, fehlerhaft oder „Irrtum der Natur“ oder etwas in dieser Art darstellt und ihnen dadurch einen Minderwert zuweist.
Dieses aus meiner Sicht falsche Argument wird wiederum auch tatsächlich von verschiedenen Anhängern biologischer Begründungen in wertender Hinsicht gebraucht, was sehr schade ist.
1. Erklärung am Beispiel der Homosexualität und der Asexualität
Homosexualität wird den biologischen Theorien nach so erklärt, dass aufgrund bestimmter Hormonstände, insbesondere Testosteron nicht das eigentlich für das körperliche Geschlecht vorgesehene Programm ausgeführt wird und daher die Attraktivitätsmerkmale angelegt werden, die eigentlich für das andere Geschlecht greifen. Demnach stehen Homosexuelle auf Personen, mit denen sie keine Kinder bekommen können. Da aber Evolution über die Weitergabe von Genen erfolgt, ist dies erst einmal bei der direkten Weitergabe von Genen ein evolutionärer Nachteil. Das schließt indirekte Vorteile für eine Anreicherung von Genen allerdings nicht aus, die demnach auch in diesem Zusammenhang diskutiert werden, sowohl darüber, dass Geschwister des anderen Geschlechts Vorteile durch diese Gene haben, etwa weil sie die Fruchtbarkeit erhöhen oder weil die Mutter dadurch ihre Fruchtbarkeit schützt. Auch andere Theorien werden diskutiert, nach denen Homosexuelle eine zusätzliche Unterstützung für ihre Familie darstellen und insoweit Grundsätze der Verwandtenselektion greifen. Lässt man diese zusätzlichen Unterstützung weg, dann sind allerdings in der Tat die Homosexuellen eher nur Folge eines anderen Prozesses, dessen Vorteil sie in biologischer Hinsicht nicht darstellen.
Bei Asexualität ist dies vielleicht sogar noch gravierender, denn hier werden meines Wissens nach keine Vorteile diskutiert, was auch erklärt, warum Asexualität deutlich seltener vorkommt. Hier wird je nach den verschiedenen Abstufungen als Ursache diskutiert, dass die Attraktivitätsmerkmale überhaupt nicht ausgestaltet worden sind und daher eben Sexualität und sexuelle Anziehung und der ganze Zirkus drum herum, der von der Gesellschaft gemacht wird, nicht verstanden werden kann. Insofern dürfte die Fortpflanzungsrate bei Asexuellen auch eher geringer sein, so dass dies einen evolutionären Nachteil darstellt.
2. Folgen daraus über den „Wert“ von Homosexuellen und Asexuellen oder anderen Sonderfällen
Die Wertung, dass das Erfüllen einer Funktion innerhalb der biologischen Theorien, einen „gut“ oder „Besser“ macht oder etwas über den sonstigen Wert als Mensch aussagt, ist ein klassischer naturalistischer Fehlschluss.
Denn diese Theorien enthalten keine Wertung, sie sagen nicht, was besser oder schlechter ist. Sie sind wertneutral, weil es um eine Anreihung bestimmter Gene gibt, die insofern auch keinen Wert zuweisen können. Es gibt keinen übergeordneten Sinn des Lebens, innerhalb dessen man einen biologischen Auftrag zu erfülle hat, die Metapher vom egoistischen Gen ist eben nur eine Metapher, Gene können nicht fühlen und nicht denken und sind nicht traurig, wenn sie nicht in die nächste Generation kommen.
Genauso kann es dem Menschen um einen herum egal sein, ob man Asexuell oder Homosexuell ist, denn auch das fügt ihnen keine Nachteile zu.
Sein Wert als Mensch ist durch diese Theorien insofern nicht betroffen.
Krankheit erfordert aus meiner Sicht einen gewissen Leidensdruck – der muss aber aus meiner Sicht weder bei Homosexualität noch bei Asexualität oder anderen Konstellationen bestehen.
3. Ausweitung der Theorien
Wer sich darauf beruft, dass mit diesen biologischen Theorien eine Abwertung verbunden ist, der muss sich allerdings auch bewusst machen, das er diese Argumentation dann auch auf viele andere Fälle anwenden muss:
Sind alle Leute mit dann unzweifelhaften Gendefekten weniger wert? Sind Leute, die behindert zur Welt kommen weniger wert? Das müsste dann hier ebenso gelten. Wer sich hier also über eine Abwertung beschwert, der wertet gleichzeitig andere Leute ebenso ab.