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Tag: 18. Oktober 2014
Lernen, Blank Slate und Einwirkungen der Biologie auf menschliches Verhalten
Hier ein paar Probleme, die bei Vorstellungen von einem „Blank Slate“ oder Theorien, die an diesen nahe dran sind bzw. bei Argumentationen gegen biologische Grundlagen menschlichen Verhaltens gerne übersehen werden.
1.Was ist für „Lernen“ erforderlich und wie komplex ist eine „Lern-Software“
Was mich immer wieder erstaunt sind Aussagen wie „das ist für eine biologische Begründung viel zu kompliziert, dass muss erlernt sein“. Sicherlich ist das bei der Annahme eines „Geistes“ oder einer „Seele“, also eines übernatürlichen Konzeptes noch vertretbar, aber ansonsten scheinen sich die Leute nicht bewußt zu machen, dass „Erlernen“ ein überaus komplexer Vorgang ist.
Einfache biologische Regelungen wie „Auf Lichteinfall hin bestimmte Schwimmbewegungen durchführen“ wie bei einer Qualle sind relativ simpel im Vergleich zu dem gleichen Vorgang, wenn er erlernt werden soll.
Denn das Erlernen bedeutet zunächst, dass man bestimmte Signale auswerten muss, etwa Lichteinfall auswerten und zu einem Bild zusammensetzen, ebenso bei Schallwellen etc. Dann müssen daraus bestimmte Aussagen oder Regeln logisch hergeleitet werden und diese müssen in eine speicherbare Form gebracht werden, vergleichbar damit, dass ein geschriebener Text in einem Computer als Nullen und Einsen abgelegt wird. Diese einmal erkannte Regel muss dann bei einem Auftreten einer neuerlichen Situation als für diese Situation zutreffend erkannt werden, abgerufen werden und auf die konkrete Situation angewendet werden.
Wer einen heutigen Maschinenhersteller vor die Aufgabe stellt, entweder einen Roboter zu programmieren, der eine Tasse greift und an einen bestimmten Ort stellt oder aber einen Roboter zu programmieren, der sich ein Video anschaut, in dem ein Objekt gegriffen wird und dann an einem bestimmten Ort stellt, der kann sicher sein, und ihn fragt, was er eher umsetzen kann, der wird wenig erstaunt sein, wenn der Hersteller Option 1 wählt. Die Programmierung lernfähriger Roboter stellt uns immer noch vor sehr große Probleme.
Die Zerlegung des Lernprozesses kann dabei noch in viel kleinere Schritte erfolgen, etwa indem man die Einzelnen Stationen immer weiter unterteilt und die dortigen Schwierigkeiten behandelt, etwa die Umsetzung eines abstrakten Gedankens in die „Nullen und Einsen“ unseres Gehirns. Wenn man zB eine soziale Regel wie „wer eine besonders hohe soziale Position hat muss mit Respekt behandelt werden“ als erlernte Regel abspeichert muss dies eben in eine speicherbare Form bringen, die ein Ablegen im biologischen Gedächtnis erlaubt und diese Regel dann mit verschiedensten Positionen zum Thema „was ist eine soziale Position“ „wie erkennt man eine soziale Position“ und „was ist respektvolles Verhalten“ anreichern, die ihrerseits alle wieder biologisch abgespeichert und verknüpft werden müssen. Der dazu notwendige“Rechenschritt“ wird in diesen Betrachtungen schlicht mit „das hat er gelernt“ abgehandelt. Damit wird ein ungeheuer komplizierter Vorgang, den wir bis heute nicht hinbekommen, vorausgesetzt. Solche Vorgänge, die modernste Computer überfordern, gelingen allerdings Babys mit einer überaus hohen Rate: Sie können bereits nach der Geburt beispielsweise das Herausstrecken einer Zunge erkennen und die dabei eingehenden Signale als etwas verarbeiten, was sie ebenfalls können und spiegeln sollten. Sie können bereits die Stimme ihrer Mutter oder andere Bezugspersonen erkennen und zuordnen. Sie können sogar grundlegende physikalische Regeln voraussetzen (etwa bei der Bewegung von Bällen) oder ähnliches. Sie können auch später eine Sprache erlernen, ein Vorgang der unglaublich komplex ist und dennoch von Kindern in einem bestimmten Alter problemlos durchgeführt wird, während Erwachsene an der gleichen Aufgabe regelmäßig scheitern und weitaus mehr Unterstützung benötigen (etwa einen Grammatikunterricht etc).
Mitunter scheint die Gleichung da in ihrer Einfachheit dem gnomischen Geschäftmodell zu entsprechen:
1. Soziale Regeln wirken ein
2. ?
3. Erlernt
Auch Gegenargumente scheinen mir teilweise so zu laufen: „Das kann biologisch nicht gehen, weil so etwas biologisch nicht möglich ist, es muss also erlernt sein“. Eine Auseinandersetzung damit, was „erlernt“ dabei überhaupt bedeutet erfolgt dann aber nicht. Insbesondere wird nicht behandelt, warum die Regel zwar nachdem sie erlernt worden ist, abgespeichert und später einem Problem zugeordnet werden kann, das Abrufen einer aufgrund biologischer Selektion entstandenen Regel aber gleichzeitig nicht möglich sein soll. Selbst wenn man argumentieren würde, dass so etwas eben nicht durch Selektion entstehen kann, dann müsste man ja gleichzeitig erklären, wie dann die kompliziertere Lernsoftware durch Selektion entstehen konnte.
2. Ab wann haben wir von der Befolgung biologischer Regeln umgeschaltet auf reines Lernen und wie lief dies ab?
Was auch beständig ausgeblendet wird ist unsere evolutionäre Vergangenheit und der Aufbau unseres Gehirns. Unsere Vorfahren waren zweifellos Tiere im klassischen Sinne und bei diesen wird üblicherweise auch von sonstigen Hardcore-Biologiegegnern nicht bestritten, dass ihre Verhaltensweisen einen großen Rückhalt in der Biologie hatten. Wobei mich da eine Stellungnahme interessieren würde, wie sie dies bei unseren nächsten Verwandten, den Primaten sehen, die ja schon eine ziemliche Intelligenz, aber auch recht eindeutige Verhaltensweisen und Geschlechterrollen besitzen. Der Aufbau der Gehirne ist dabei recht gleich, es gibt eigentlich keinen Bereich, den ein sonstiger Primat hat, wir aber nicht. Dennoch scheint man dort der Auffassung zu sein, dass diese kompletten Bereiche, die vorher das geschlechtliche Verhalten geprägt haben, nunmehr aufgrund der gesteigerten Intelligenz des Menschen keine Funktion mehr haben.
Dabei folgen natürlich auch die Primaten nicht einfach schlicht verkabelten biologischen Vorgaben. Schimpansen kämpfen beispielsweise genau wie Männer um Status und dies durchaus mit Intrigen, Bündnissen, sozialen Interaktionen, den Versuch, teile der Gruppe gegen sich einzunehmen und Unterstützer von anderen Konkurrenten abzuwerben. Menschliches Verhalten unterscheidet sich insoweit in bestimmten Taktiken nicht grundsätzlich, es ist lediglich komplexer aufgebaut und gerade heute auf größere Gruppen bezogen.
3. Welche Folgen hätte ein reines Erlernen?
Auch wird selten bedacht, dass ein reines Erlernen bestimmter Regeln und Verhaltensweisen zu einer weitaus stärkeren Zergliederung der Menschen führen würde. Zwar erscheinen uns die verschiedenen Kulturen schon sehr verschieden, wir finden allerdings in den meisten die gleichen Grundelemente und auch die gleichen Geschlechterrollen vor, zumindest entsprechen abweichende Geschlechterrollen den sonstigen biologischen Regeln, wie beispielsweise der, dass hohe Vaterunsicherheit eine geringe Investition in den eigenen Nachwuchs nach sich zieht (und man dann eher auf die Unterstützung der Kinder der Schwester ausweicht).
Auch wird nicht bedacht, dass stark verschiedene soziale Praktiken, die nicht über biologische Regeln eingeschränkt werden, auch eine stark unterschiedliche biologische Selektion zur Folge hätten, wenn sie lange genug andauern. Wenn ein Volk beispielsweise unbeeinflusst durch biologisch abgespeicherte Schönheitsideale alles schön finden würde, beispielsweise einen Damenbart, dann hat das eine Selektion in diesem Volk auf Frauen mit Damenbärten zur Folge (und damit wahrscheinlich auch in Richtung einer niedrigeren Fruchtbarkeit). Das an sich ist nichts schlimmes, allerdings würden sich solche Selektionen eben auch zeigen und wir müssten verschiedene Völker haben, die sich mehr in Richtung Unfruchtbarkeit orientiert haben.
4. Die Unvereinbarkeit von vielen grundsätzlichen Ausschlüssen mit bereits einfachen Zugeständnissen
Grundsätzliche Ausschlüsse von biologischen Einwirkungen auf das Verhalten kranken daran, dass deren Vertreter kaum konkret werden wollen, wenn man sie mit bestimmten Sachverhalten konfrontiert. Das verwundert nicht, denn die meisten Erklärungen dieser Art können kaum Ausnahmen ihres Modells zulassen ohne in sich unstimmig zu werden.
Bereits Punkte wie „ist Homosexualität/Heterosexualität biologisch bedingt und wenn nicht, warum kann man sie dann nicht „verlernen“ bzw. sich umentscheiden“ können innerhalb dieser Theorien nicht gelöst werden: Die meisten werden wohl heute davon ausgehen, dass hier ein starker biologischer Einfluss vorliegt, aber wenn ein biologisches Begehren dazu führt, dass man nur Sex mit Menschen eines bestimmten Geschlechts hat, wenn man es sich aussuchen kann, dann ist dies bereits schwer in das Modell einzubauen.
Andere Punkte wie die Wirkung von Hormonen oder auch Verhaltensveränderungen bei Gehirnverletzungen oder Erkrankungen sind ebenfalls bisher aus meiner Sicht nicht wirklich mit einem Modell, welches nicht auf Biologie zurückgreift erklärbar.
„Wenn dort die Biologie Einfluss auf das Verhalten hat, warum soll es dann in anderen Fällen ausgeschlossen sein“ ist ein Argument, dass bereits viele dieser Theorien nie in ihre Erwägungen einbezogen haben, sie bleiben bei einer rein abstrakten Betrachtung, die sich diese Fragen gar nicht stellt.