Systemische Zusammenhänge

LoMi  nennt drei aus seiner Sicht wesentliche Probleme von “Evolutionisten”

Das Problem der Evolutionisten scheint mir zu sein:
– sie mögen keine systemischen Zusammenhänge
– sie bevorzugen Linearität, nichtlineare Dynamiken sind ihnen suspekt
– Sie meiden Kontingenz wie die Pest

Nachdem ich bereits Kontingenz aufgegriffen habe hier etwas zu den „Systemischen Zusammenhängen“.

Ich habe mich dabei erst einmal auf die Suche nach einer Definition gemacht und folgendes gefunden:

Jeder systemische Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass man sich nicht auf den Problemträger konzentriert, sondern ein ganzes System in den Blick nimmt. Der Einzelne wird nur in soweit als Individuum betrachtet, wie er als Element auf das System wirkt und wie er dessen Wirkungsfeld ausgesetzt ist. So sieht die systemische Beratung und Therapie in jedem Individuum auch einen „Symptomträger“ und berücksichtigt damit, dass die Problematik, die sich am Individuum zeigt, nicht dessen ureigene und isoliert zu betrachtende Sympto­matik sein muss. Aus systemischer Sicht manifestiert sich am Problemträger eine Störung, die ihre Ursache im Gesamt­system in einem gestörten Ablauf hat. Ebenso ist natürlich der Erfolg eines Individuums zugleich der Fort­schritt eines lebendigen, lernenden Systems.

(…)

Von einer „systemischen“ Betrachtungs­weise sprechen wir dann, wenn wir die Dinge als System betrachten, wenn wir also einzelne Teile im Zusammenhang mit dem größeren Ganzen sehen, dem sie angehören, und die Ursachen für Probleme nicht bei den Teilen, sondern im Zustand des Systems sehen.

Dann weiter auf der Wikipedia:

Der soziologische Systembegriff geht auf Talcott Parsons zurück. Parsons betrachtet dabei Handlungen als konstitutive Elemente sozialer Systeme. Er prägte den Begriff der strukturell-funktionalen Systemtheorie. Der Begriff Struktur bezieht sich dabei auf diejenigen Systemelemente, die von kurzfristigen Schwankungen im System-Umwelt-Verhältnis unabhängig sind. Funktion dagegen bezeichnet den dynamischen Aspekt eines sozialen Systems, also diejenigen sozialen Prozesse, die die Stabilität der Systemstrukturen in einer sich ändernden Umwelt gewährleisten sollen. Die strukturell-funktionale Theorie beschreibt also den Rahmen, der Handlungsprozesse steuert. Ist die Struktur eines Systems bekannt, kann in funktionalen Analysen angegeben werden, welche Handlungen für die Systemstabilisierung funktional oder dysfunktional sind. Handlungen werden also nicht isoliert betrachtet, sondern im Kontext der strukturellen und funktionalen Aspekte des jeweiligen Sozialsystems.

Zur strukturellen und funktionalen Analyse sozialer Systeme entwickelte Parsons das AGIL-Schema, das die für die Strukturerhaltung notwendigen Funktionen systematisiert. Demnach müssen alle Systeme vier elementare Funktionen erfüllen:

  1. Adaptation (Anpassung),
  2. Goal Attainment (Zielerreichung),
  3. Integration (Integration) und
  4. Latency (Strukturerhaltung)

Einzelne Handlungen werden also nicht isoliert, sondern im Rahmen eines strukturellen und funktionalen Systemzusammenhanges betrachtet. Handlungen sind dabei Resultate eben jenes Systemzusammenhanges, der durch diese Handlungen gestiftet wird (handlungstheoretische Systemtheorie). Parsons beschreibt den Zusammenhang zwischen System und Systemelementen also als rekursiv und berücksichtigt damit wechselseitige Ermöglichungs-, Verstärkungs- und Rückkopplungsbedingungen.

Niklas Luhmann erweitert die Theorie Parsons und verwendet nicht mehr den Handlungsbegriff, sondern den sehr viel allgemeineren Begriff der Operation. Systeme entstehen, wenn Operationen aneinander anschließen.[2] Die Operation, in der soziale Systeme entstehen, ist Kommunikation. Wenn eine Kommunikation an eine Kommunikation anschließt (sich auf diese zurückbezieht und sie zugleich weiter führt), entsteht ein sich selbst beobachtendes soziales System. Kommunikation wird durch Sprache und durch symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien (Geld, Wahrheit, Macht, Liebe) wahrscheinlich gemacht.

Die Besonderheit in der Sichtweise Luhmanns besteht darin, dass Kommunikation – als die Operation sozialer Systeme – nicht als Handeln gesehen wird, das durch einzelne Menschen vollzogen wird. Im Besonderen geht es nicht um Einwirkungen von Mensch zu Mensch, die ein Beobachter als Kausalität (Monokausalität, Multikausalität oder Kausalkette) feststellen kann. Ebenso wenig geht es um Informationsübertragung, die als Metapher aufgefasst werden kann. Der Begriff Kommunikation beschreibt eine Operation, in dersoziale Systeme entstehen. Kommunikation kann nur an Kommunikation anschließen, und auf diese Weise verlaufen diese Operationen simultan und parallel zu den Operationen anderer Systeme (z. B. den Gedanken als Operationen psychischer Systeme, synonym Bewusstseinssysteme). Auch Personen bestehen nicht als Handelnde, sondern als von der Kommunikation konstruierte Einheiten („Identifikationspunkte“).[3]

Luhmann unterscheidet drei Typen sozialer Systeme:

Gesellschaft ist das umfassende System, das sich in Funktionssysteme ausdifferenziert. Auf diese Weise entstehen unter anderem das Recht, die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Politik, die Religion als funktional ausdifferenzierte Systeme. Diese Systeme – nicht die Menschen – beobachten unter Verwendung spezifischer Unterscheidungen (Recht/Unrecht im Rechtssystem, wahr/falsch im Wissenschaftssystem, Allokation/Nichtallokation im Wirtschaftssystem, Immanenz/Transzendenz im Religionssystem oder Regierung/Opposition im politischen System). Diese Unterscheidungen oder Codes bilden den Rahmen, innerhalb dessen das Teilsystem Formen ausbilden kann. Der Code sorgt für die operative Schließung des Systems. Für die Offenheit des Systems sorgen Programme, nach denen für die eine oder andere Seite einer Entscheidung optiert wird. Als Beispiel für ein Systemprogramm können etwa Theorien in der Wissenschaft genannt werden, die über eine Zuordnung zu einer der beiden Seiten wahr/falsch entscheiden.

Und weiter aus einem Artikel über Luhmanns Systemtheorie:

Differenz von System und Umwelt statt Differenz von Teil und Ganzem
Verbreitete Vorstellungen von Systemen betreffen Einzelteile, die zu einem Ganzen verbunden werden oder sich selbst zu einem Ganzen verbinden. Eine Gesellschaft besteht nach diesen (nicht von Luhmann vertretenen) Vorstellungen aus einzelnen Menschen und ihren Beziehungen. Diese Ideen stammen teilweise aus der Antike. Gesellschaftliche Prozesse wie die Entstehung oder Organisation wurden mit sozialen oder göttlichen Mächten erklärt.[24]

Für Luhmann hingegen ist erstes Kriterium die von ihm behauptete Tatsache, dass ein System sich prinzipiell gegen seine Umwelt abgrenzt. Es gibt also immer etwas, was zum System gehört, und etwas, was nicht dazu gehört (Umwelt). Diese Differenz System/Umweltliegt der gesamten Systemtheorie zugrunde.

Autopoiesis
Eine weitere wesentliche Voraussetzung für das Vorhandensein eines Systems ist die Fähigkeit, sich selbst (wieder-)herzustellen, also die Autopoiesis. Der Merksatz im Luhmannschen Sinne lautet: Wenn es sich nicht selbst macht, ist es kein System. Dabei bezog sich Luhmann auf das Konzept der chilenischen Neurobiologen Humberto Maturana und Francisco Varela. Diese wendeten das Konzept der Autopoiesis auf organische Prozesse an und meinten damit, dass Systeme sich mit Hilfe ihrer eigenen Elemente selbst herstellen. Lebewesen sind die ursprünglichen Beispiele für autopoietische Systeme. Für den Beobachter ereignet sich Leben von selbst, ohne dass ein äußerer herstellender Prozess eingreift. Luhmann überträgt dieses Konzept nicht nur auf biologische Systeme, sondern auch auf psychische Systeme und insbesondere soziale Systeme. Auch diese reproduzieren sich selbst mit Hilfe ihrer systemeigenen Operationen (zur weiteren Erklärung dieser Operationen: siehe unten).

Geschlossenheit der Operationen
Luhmann versteht unter Operation die Reproduktion eines Elements eines autopoietischen Systems mit Hilfe der Elemente desselben Systems.[25] Ein System entsteht und erhält sich dadurch, dass Operationen aneinander anschließen.[26] Wenn organische Prozesse als Operationen aneinander anschließen, entsteht ein organisches System. Wenn Gedanken als Operationen aneinander anschließen, entsteht ein psychisches System (auch: „Bewusstseinssystem“). Wenn Kommunikationen als Operationen aneinander anschließen, entsteht ein soziales System (auch: „Kommunikationssystem“).

Ein System besteht so lange, wie Operationen jeweils nächste gleichartige Operation ermöglichen. Operationen müssen anschlussfähig sein. Wie eine Operation abläuft, hängt von der jeweils vorangegangenen Operation ab. Deshalb werden diese Systeme als operational geschlossen aufgefasst. So schließt z.B. im psychischen System stets Bewusstsein an Bewusstsein an: Bewusstsein ist der Operationsmodus psychischer Systeme. Systemfremde Operationen wie Kommunikationen können daran nicht anschließen. Entsprechend können Bewusstseinsinhalte auch nicht an organische Operationen angeschlossen werden oder umgekehrt. „So wenig wie ein Organismus jenseits seiner Haut weiterleben…“ oder „ein Auge Nervenkontakt mit dem, was es sieht, herstellen kann“, so wenig kann „ein psychisches System sein Bewußtsein operativ in die Welt hinein verlängern“[27]. Dieser Ausschluss gilt sogar für die Umwelt des eigenen Körpers. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass jedes dieser Systeme unabhängig voneinander existieren könnte. „Selbstreferentielle Geschlossenheit ist (…) nur in einer Umwelt, ist nur unter ökologischen Bedingungen möglich.“[28] Aufgabe der Systemtheorie ist es also, zu erklären wie es möglich ist, dass alle diese Systemtypen trotz irreduzibler Geschlossenheit zusammenhängen und in Kontakt stehen.

Ziel scheint es also zu sein, verschiedene Systeme zu erkennen, die in sich geschlossen sind, deren Input und Output zu betrachten und dann die Zusammenhänge mit anderen Systemen zu zeigen. Der Mensch selbst ist in diesem System relativ unwichtig, sind insoweit nur Kommunikationsempfänger oder -sender bzw. treten eher in ihrer Funktion auf.

Bestimmte Systeme innerhalb der Gesellschaft zeigt beispielsweise diese Grafik aus der Wikipedia auf:

Funktionssysteme

Funktionssysteme

Der Vorteil in dieser Betrachtung ist sicherlich, dass man bestimmte Vereinfachungen macht und diese dann mit anderen Vereinfachungen in Bezug setzen kann. Wenn die Wirtschaft ein System der Verteilung ist mit Geld als Medium der Gestaltung, und gleichzeitig die Politik ein System der Kontrolle, dann ergibt sich eine eine gegenseitige Beeinflussung, indem entweder die Politik die Verteilung beeinflusst um die Kontrolle zu halten oder die Wirtschaft die Politik beeinflusst, um eine für einzelne günstigere Verteilung zu erreichen etc.

Meiner Meinung ist der Vorteil dieser Systeme, den Menschen zum Teil auszublenden und statt dessen die Systeme zu betrachten, aber gleichzeitig ein entscheidender Nachteil der Betrachtung. Denn es geht dadurch auch einiges an Zusammenhängen verloren.

Nehmen wir beispielsweise eine evolutionäre Betrachtung, die den Menschen als ein auf die Weitergabe der Gene ausgerichtetes Vehikel der Gene sieht, bei dem verschiedenste Selektionen stattgefunden haben, die bestimmte verschiedene Bereiche betreffen: Partnersuche, soziale Eingebundenheit, Kooperation und Absicherung vor Ausnutzung etv aber auch grundlegende Bedürfnisse wie Schlaf, Ernährung, Sex, Sicherheit, körperliches Wohlbefinden. All das könnte man natürlich als „biologische Systeme“ ausgliedern, die dann in einen Zusammenhang gebracht werden.

Wichtiger aber finde ich, dass bei einer Betrachtung des Menschen viele Zusammenhänge erst deutlich werden, wenn man mit einbezieht, warum wir uns gerade so verhalten.

Politik und Wirtschaft beispielsweise folgen sowohl ihren eigenen Regeln der Kontrolle und der Verteilung, stellen aber auch gleichzeitig Statussysteme dar, in denen der einzelne Aufsteigen kann. Ein Politiker kann insofern mehr daran gelegen sein, diesen Status zu erlangen, um den Status wegen und nicht, weil er etwas damit regeln möchte. Und ein Wirtschaftsmensch kann auch das Geld in einen solchen Zusammenhang einordnen: Es stellt nur ein Möglichkeit für ihn dar, seinen Status darzustellen, und das in einem System, in dem der Vergleich mit der Umgebung maßgeblich ist: Der Brocker, der eine Million im Monat verdient kann sich dann trotz des Umstandes, dass er faktisch ausgesorgt hat, schlecht fühlen und neidisch sein auf denjenigen, der 2 Millionen verdient. Und auch Sport und die damit verbundene Begeisterung wird nicht unbedingt in dem System selbst über den dortigen Erfolg verständlich, sondern viel eher unter dem Gesichtspunkt eines Stellvertreter-Wettbewerbs und Konzepte der Gruppenzugehörigkeit.

Die Analyse der jeweiligen Systeme kann damit aus meiner Sicht nicht ohne eine Betrachtung der Natur des Menschen erfolgen, weil man sonst auch die Natur der Systeme nicht erfassen kann. Zwar kann man Wirtschaft einfach unter dem Gesichtspunkt der Verteilung verstehen, aber unseren Wunsch nach sinnlosen Luxusartikeln versteht man weitaus besser, wenn man das damit verbindet, dass man damit über ein Costly Signal gleichzeitig seinen eigenen Wert darstellen kann. Unser Streben nach hohen Positionen versteht man besser, wenn man sie auch als Folge sexueller Selektion begreift und in ein System relativen Status und eines Platzes in der Hierarchie versteht.

Die Systemtheorie scheint mir insoweit das „System Mensch mit seinen Untersystemen“ zu sehr auszublenden. Es sieht die Gesellschaft als eine konstruierte Ansammlung menschlicher Systeme, die scheinbar nebeneinander stehen und interagieren, ohne da eine Hierarchie verschiedener Wünsche und Bedürfnisse zu sehen, die der Konstruktion der Gesellschaft zugrunde liegen.

Insoweit ist die Verwebung der Bedürfnisse des Menschen und deren soziale Umsetzung in Handlungen und Strukturen vielleicht schlicht komplexer als sie auf einfache Systeme zu reduzieren. Und die Darstellung der Systeme erscheint mir auch zu gradlinig, es lässt viele Handlungsmotivationen, die in diese Systeme einfließen und sie mit anderen Bereichen verbinden außer Betracht. Die Komplexität der Verknüpfung ist insoweit eine Illusion, weil die Systeme selbst starke Vereinfachungen sind, die viele tatsächliche Faktoren nicht wiedergeben können. Wahrscheinlich kann man dies durch die Anzahl der Systeme theoretisch erhöhen, aber das Kriterium der Abgeschlossenheit des jeweiligen Systems scheint mir viele Erklärungsansätze schwer einbaubar zu machen. Es verhindert in meinem Verständnis dringend benötigte übergeordnete menschliche Komponenten.

Insofern könnte man sagen, dass es in der evolutionären Biologie durchaus systematische Verbindungen und Beeinflussungen gibt und man bis zu einem gewissen Ansatz auch systemische Darstellungen vornehmen könnte, dass aber gleichzeitig der systemische Ansatz – so wie ich ihn verstehe – auch erhebliche Nachteile hat, die eine systemische Darstellung gar nicht unbedingt so vorteilhaft sein lassen.

Natürlich ist allerdings mein Wissen über die Systemtheorie stark begrenzt. Ich lasse mich hier gerne eines besseren belehren.