„Call out Culture“ im Feminismus

Im Missy-Magazine berichtet eine der Chefredakteurinnen, wie sie eine andere Feministin aufgrund deren Introvertiertheit nicht dazu bewegen konnte, sich mit ihr zu einem Interview zu treffen. Sie versucht es immer wieder und lässt nicht locker, dann schreibt sie einen Artikel darüber, der die Feministin durchaus positiv darstellt, abgesehen von ihrer Introvertiertheit. Der gefällt es nicht, sie beschwert sich, dass ihr „Nein“ nicht akzeptiert wurde und es bricht ein kleiner Shitstorm los. Die Chefredakteurin, Chris Köver, berichtet dann in einem Nachtrag, wie sie den Feminismus erlebt:

Ich schätze Kritik an meiner Arbeit und versuche sie mit so offenen Ohren wie möglich zu hören, einzuarbeiten, darauf zu reagieren. Das ist sehr viel schwieriger für mich geworden, seit sich in unseren aktivistischen Zirkeln eine “call out culture” etabliert hat, die sehr schnell zu sehr hohen Wellen von Entrüstung und persönlichen Angriffen gegen diejenigen führt, die aus Ignoranz oder Achtlosigkeit Regeln missachtet, einen falschen Ausdruck verwendet, oder sich anderer “Vergehen schuldig” machen.

Diese Dynamik verbreitet Angst innerhalb unserer eigenen Community, weil jede fürchten muss, für irgendeine unbeabsichtigte Ignoranz als nächste im Auge des Sturms zu landen und sozial geächtet zu werden. Zu unreflektiert, zu wenig radikal, keine “gute” Feministin. Ich habe verfolgt wie sich das in der Vergangenheit in anderen Fällen hochgeschaukelt hat und das war der Grund weswegen ich die Kritik nicht in Echtzeit öffentlich auf Twitter und anderswo im Netz diskutieren wollte.

Katrin Rönicke hatte einmal ähnliches dargestellt:

Das ist die neue Netzhygiene: Ich lasse niemanden in mein kleines Flauschi-Paradies, der meine Inhalte infrage stellt. Es ist auch völlig unmöglich, zumindest mancher-internet-orts, noch irgendeinen inhaltlichen Disput zu führen. Die Moralkeule hängt gleich drüber und *boing* hat‘se dich. Denn es gibt mittlerweile ganz schön viele etablierte Tabus. Blabla-ismen überall!

Wenn man jetzt noch verstehen würde, dass diese „Call out Culture“ direkt aus der feministischen Theorie stammt und sich nicht zufällig entwickelt hat, sondern eine Folge davon ist, dass man eine strikte Opferhierarchie eingeführt hat, indem die Anklage gleichzeitig der Schuldspruch ist, dann könnte man das für eine interne Revolution nutzen. Ich vermute aber, dass Chris daran gar nicht wirklich interessiert ist, sie versucht ja gleichzeitig selbst die Opferschiene verbunden mit dem Hinweis, dass sie doch eigentlich eine Gute ist, der nur ein Versehen passiert ist. Und die insoweit um Nachsicht und Rücksicht bittet.

Es spricht gegen ihre Kenntnis der feministischen Theorien, wenn sie meint, damit durchzukommen: Das man etwas aus versehen gemacht hat oder nicht bewusst, dass ist schlicht kein Argument, welches einen entlastet. Es ist eher ein Zeichen, dass man sich noch nicht genug hinterfragt. und Rücksicht nehmen auf den Täter (hier: in Form der Täterin) geht auch nicht, denn damit stützt man ja indirekt diesen und solidarisiert sich nicht bedingungslos mit dem Opfer, wie es IDPOL erfordert.

Oder um es mit einem Beitrag von Aplusranting zu sagen:

meine wutwelle und mein allgemeiner weltschmerz kamen im real life nicht unbedingt gut an….eh klar, immerhin hing und hängt meine wut mit strukturen zusammen, von denen der großteil meiner damaligen bezugspersonen im alltag mächtig profitierte.

wie oft wurde ich aufgefordert doch weniger agressiv und unbequem zu sein, wie oft wurd ich gebeten, meine politischen statements aus freund_innenschaften herauszuhalten. im gegenzug aber anhaltende diskriminierungen zu dulden – es war ja nicht böse gemeint…hm. ja,nee is klar. also wer tatsächlich denkt, dass ungleiche machtverhältnisse und unterdrückungsmechanismen in freund_innenschaftsstrukturen nicht auch vorhanden sind, hat etwas ziemlich wichtiges nicht gecheckt. kackscheiße bleibt kackscheiße, so lieb sie auch formuliert wird und auch wenn alle lachen.

Eben. Kackscheiße bleibt kackscheiße. Da darf man keine Rücksicht nehmen. Folgerichtig hat Tofutastisch auch gleich erklärt, dass sie deswegen das Missy Magazin nicht mehr lesen werde:

Das sind exakt das Verhalten und die Rhetorik, das/die z.B. “Nice Guys” an den Tag legen: ein “Nein” wird nicht einfach akzeptiert, sondern hinterfragt, die angegeben Gründe werden auch nicht angenommen, die Gefühle der fordernden Person in den Vordergrund gestellt. Nichts, was ich von einem feministischem Medium lesen will.

So schlimm, wie ein Nice Guy. Hinterfragen, einer der größten feministischen Vorwürfe. Harte Anklagen. Antje Schrupp sieht hier selbst im Feminismus das Patriarchat am Werke:

Die übliche Reaktion auf Kritik ist, die Schuld der Gegenseite zuzuweisen, entrüstet zu tun, die Muskeln spielen zu lassen. Erst mal sehen, wer der Stärkere ist.

Auch wir Feministinnen sind von dieser Kultur geprägt, auch wir haben die Regeln der herrschenden symbolischen Ordnung internalisiert, sie ist auch ein Teil unserer Routine.

Doch diese Ordnung, diese Kultur ist schlecht. Sie verhindert, dass Menschen etwas dazu lernen. Sie verhindert, dass neue Ideen sich verbreiten, selbst wenn sie gut sind. Sie führt dazu, dass Kritik allzu häufig eine Spirale aus Rechtfertigungen und Schuldzuweisungen auslöst, die sich immer weiter aufschaukelt.

Und das ist eben schmerzhaft. Weil wir die Regeln der alten Ordnung nicht mehr akzeptieren, aber noch keine neuen haben, die uns in Fleisch und Blut übergegangen wären. Ich fürchte, da müssen wir durch.

Da erkennt sie leider nicht, dass es keine Ausprägung der bestehenden (männlichen) Ordnung ist, sondern eine Ausprägung der feministischen Ordnung, eine Folge davon, dass es nicht zuviel Kritik oder zuviel Beharren auf einen Standpunkt gibt, sondern es überhaupt keinen Umgang mit Kritik, sondern nur ein gegenseitiges Vorwerfen gibt und bei dem Nachgeben als Stütze des Systems gilt. Das es ein immanenter Fehler dieser Art von Feminismus ist und nicht das „herrschende System“ kann aber in diesem Gedankengängen wohl gar nicht vorkommen. Man sieht hier auch schön, wie beliebig der Vorwurf ist: Bei Tofutastisch stützt man das System, wenn man seine Wut über solche Aussagen nicht rauslässt, bei Antje Schrupp stützt man das System, wenn man sie rauslässt.

So oder so: Die Männer sind schuld. Selbst in einer innerfeministischen Debatte unter Feministinnen.

Darin besteht immerhin eine gewisse Einigkeit.