Gerade zeigen zwei interessante Fälle in interessanter Weise zu welchen paradoxen Denkweisen die feministischen und intersektionellen Theorien führen.
Diese stellen darauf ab, dass es zwischen bestimmten Gruppen Machtverhältnisse gibt, die zu einer Unterdrückung der einen Gruppe durch die Andere bzw. die Privilegierung der einen Gruppe führen. Da die privilegierte Gruppe die Macht hat, kann sie nicht diskrimiert werden, egal welche sonstigen Nachteile sie so erlebt. Vielmehr werden Vorteile einer Gruppe dann einfach in einen „wohlwollenden Sexismus“ umgedeutet, der sie auch wieder benachteiligt, weil er sie in die Rolle drängt.
Einer dieser Fälle ist der „Kartoffelfall“. Dabei geht es darum, dass in einem Mädchenmannschaftartikel Weiße durchgängig als Kartoffel bezeichnet worden sind. Es folgte ein Artikel, der das erklärt:
Was in den Debatten um vermeintlich einfache, unbedeutende Worte tatsächlich “zum Ausdruck” kommt, sind strukturelle Machtverhältnisse, die sich in die tiefsten, persönlichen Ebenen verzweigen. Die mentale Gymnastik, die kognitive Dissonanz, die zur Schau gestellt werden, wenn einerseits zum Beispiel N* als “nur ein Wort” verteidigt oder abgetan wird, und gleichzeitig Wut und Ungläubigkeit herrscht, tatsächlich als “Hete” bezeichnet zu werden in Debatten um Heterosexismus und Heteronormativität, ist das Anschauungsmaterial für jene. Das Wort gehört zum Machtverhältnis. Es ist nicht der einzige, aber ein bedeutsamer Teil dessen. Das Wort spiegelt das Machtverhältnis wider. Das Wort reproduziert das Machtverhältnis. Und die Empörung, nicht als “Kartoffel” oder “Hete” bezeichnet werden zu wollen – und zwar von niemandem, nirgendwo, niemals – illustriert, um wen (und was) es in solchen Auseinandersetzungen wirklich geht.
Insofern stellen sie hier darauf ab, dass es quasi eine Sichtbarmachung und Spiegelung des unangenehmen Gefühl der Minderheit ist, welches man der Mehrheit geradezu zumuten sollte, damit sie sich auch mal schlecht fühlt und man ihr daran einmal zeigen kann, wie es den anderen geht und zudem, wie sehr sie sich an ihre Privilegien klammern. Dieses klammern wird dadurch deutlich, dass ja gewisse Leute auch für das Recht eintreten das „N-Wort“ in Kinderbüchern stehen zu lassen (ich nehme an, es geht zb um Pippi Langstrumpf, deren Vater im Original eben ein „Negerkönig“ ist (als Weißer).
Der Gedanke, dass man es den Weißen als Gruppe so eben richtig zeigen kann macht auch bereits die Grenzen des Gruppengedankens deutlich: Besser wäre es schlicht, wenn beide sich nicht mit beleidigenden Äußerungen im normalen Sprachgebrauch bedenken. Denn viele Leute aus der Gruppe der Weißen würden eben auch einen Schwarzen nie als Neger bezeichnen und sind daher zurecht verwundert, wenn ein Kampfbegriff wie Kartoffel geschaffen wird.
Hier wird aber aufgrund des vermuteten Machtverhältnisses noch nicht einmal gemerkt, dass man selbst Gruppenidentitäten verschärft und künstlich hervorhebt und das niemals zum Abbau von Rassismus beitragen kann, sondern allenfalls dazu, dass der andere sich dann auch eher das Recht herausnimmt, abfällig über den anderen zu reden.
Der zweite Vorfall ist das „Fappygate“, bei dem es darum ging, dass die Feministin Yasmina Banaszczuk meinte, man habe Texte von ihr geklaut und bei einer Diskussion über Twitter mit Sascha Pallenberg hochprofessionell schnappte:
„fappst du dir eigentlich die ganze Zeit einen drauf mich vergeblich zu dissen oder bist du einfach so ein nervender Zeitgenosse?“
Als Sascha schließlich im weiteren Fortgang meinte:
„ich gebe zu Ich habs getan aber nur damit @Frau Dingens das auch mal erlebt hat“
wurde versucht einen Shitstrom zu starten, da dies natürlich quasi schon sexuelle Gewalt gegen Frau Dingens war, die es auch mal erleben sollte, dass einer auf sie Fappt.
Lucas Schoppe hat den Vorfall bereits in einem wie immer brillianten Artikel besprochen, in dem ich einige Punkte besonders interessant fand:
Zunächst bespricht er Frau Schrupps Interpretation des Ganzen, die wie folgt lautete:
„heißt so viel wie ‚Holst du dir darauf einen runter?‘ Der Satz ist also eine Meta-Bemerkung in einer Diskussion. Sie behauptet, dass in einer laufenden Debatte sexistische Muster im Spiel sind und verweist den Angesprochen auf seine Rolle als jemand, der grade dabei ist, männliche Privilegien auszuspielen.“
Lucas merkt dazu sehr treffend an:
Ganz ehrlich: Ohne Frau Schrupp wäre ich nie auf die Idee gekommen, jemanden als „Wichser“ zu beschimpfen und ihm dann zu erklären, dass diese Äußerung lediglich einen Versuch der Meta-Kommunikation darstelle. Mitten in sein blödes, verdutztes Gesicht hinein – super, merk ich mir.Das Problem, so Schrupp, sei jedenfalls lediglich die empfindliche Reaktion von Männern, wenn eine Frau „nicht freundlich genug zu ihnen ist.“ Das ist übrigens ungefähr so, als würde man einen Faustschlag ins Gesicht als „nicht ausreichend zärtliche Berührung“ umschreiben.
Auch das finde ich toll: Ich beschimpfe jemanden heftig, und wenn er sich beschwert, mach ich ihm klar, dass er hier nur sein „ x (passende Bezeichnung bitte selbst einfügen) privilege“ ausspiele und offenbar seinen Herrschaftsanspruch auf beständig freundliche Behandlung geltend mache. Wenn eine Frau einen Mann öffentlich und aus heiterem Himmel als „Wichser“bezeichnet, ist das nämlich und natürlich keine Beleidigung, sondern ein subversiver Akt, nur um das mal festzuhalten.
Da zeigt sich – von Lucas herausgearbeitet – wieder der obige Immunisierungsansatz: Als Mitglied der privilegierten Gruppe Mann kann Sascha nicht beleidigt werden, er darf vielmehr in Umkehrung des bei ihm aufgrund seiner Gruppenzugehörigkeit zu vermutenden eh vorhandenen Sexismus auch auf gleiche Art wie es Angehörige seiner Gruppe machen, zurecht gewiesen werden. Die sexuelle Note ist also in gewisser Weise über dieses Schönreden die Kartoffel aus dem obigen Beitrag: Sie hält nur einen Spiegel vor. Sie macht einem Mitglied der privilegierten Gruppe nur deutlich, dass es sich blöd anfühlt, wenn alles sexuell gehalten wird, ist quasi eine Spiegelung der sonstigen sexuellen Belästigungen die SEINE Gruppe sonst gegen IHRE Gruppe begeht. Und das muss er sich eben gefallen lassen, weil er ein Mann ist und die Macht hat. Erbschuld in ihrer reinsten Form.
Die Rechtfertigung ist hier allen erstens „Stell dich nicht so an, du bist ja ein Mann und ihr seid als Gruppe eh Schweine, dass wird dir hier nur klargemacht“.
Lucas zeigt die Perversität dieser Argumentation ebenfalls noch einmal auf mit der folgenden Passage:
Banaszczuk hingegen hat wohl die Reichweite feministischer Interpretationshoheit überschätzt – ebenso wie Wizorek sie hoffentlich überschätzt hat, wenn sie Pallenbergs re:publica-Ausschluss fordert. Denn im Rahmen feministischer Interpretationen hätte Pallenberg auf Fr.Dingens‘Wichser-Vorwurf überhaupt keine Reaktion mehr zur Verfügung stehen dürfen, da ihre Äußerung schließlich per definitionem nicht sexistisch konnte – jeder Konter eines Mannes aber, der die willkürliche Sexualisierung ihrer Äußerung aufgreift, notwendig sexistisch sein musste. Ich schlag dich, aber du darfst dich nicht wehren.
Natürlich ist die Schlussfolgerung einigermaßen überraschend, dass es sexistisch wäre, auf verbale Übergriffigkeiten von Frauen ebenso zu reagieren wie auf die von Männern. Dies hängt mit dem zweiten großen Nachteil von Schrupps Sexismus-Definition zusammen. Diese Definition führt konkrete, pragmatisch bewertbare Aussagen über Benachteiligungen von Menschen auf diffuse, unüberschaubare Strukturen zurück.Anders formuliert: Sie überführt überprüfbare, rational diskutable Äußerungen in unüberprüfbare Glaubenssätze, die sich gegen Kritik immunisieren