Ein sehr menschlicher Fehlschluss sind die sogenannten „Sunk Costs“ oder versunkenen Kosten, auch Concorde Fallacy genannt.
Dabei geht es darum, dass man bei der Betrachtung eines Projektes nicht darauf abstellt, was man noch gewinnen kann und wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, sondern lediglich darauf, was man bereits investiert hat.
Aus der Wikipedia:
Sunk costs (deutsch: versunkene Kosten, oft auch als irreversible Kosten bezeichnet), sind Kosten, die bereits entstanden sind und nicht (beispielsweise durch Verkauf) rückgängig gemacht werden können.
Darin sind sowohl Kosten enthalten, die bereits zu Auszahlungen geführt haben, als auch solche zukünftigen Kosten, die unwiderruflich anfallen werden. Ihr zentrales Merkmal ist, dass sie in der Gegenwart und in der Zukunft nicht mehr beeinflusst werden können – daher die Bezeichnung „versunken“. Vergleiche dazu den Begriff der sogenannten EDA-Kosten.
Da versunkene Kosten unabhängig davon bestehen, welche Option ein Entscheidungsträger wählt, dürfen sie bei einer rationalen Entscheidung zwischen Handlungsalternativen keine Berücksichtigung finden und stellen somit entscheidungsirrelevante Kosten dar.
Ein einfaches Beispiel ist eine in einem Krieg häufig anzutreffende Argumenation:
Für diese Sache sind bereits 1.000.000 unserer Leute gestorben, ihr Tod darf nicht umsonst gewesen sein!
Tatsächlich ist es egal, wie viele Soldaten bereits für eine Sache gestorben sind, wenn ein weiterer Versuch oder eine Fortsetzung des Kampfes lediglich dazu führt, dass mehr Soldaten sterben, dann bringt eine Fortsetzung der Kampfhandlungen nichts. Wenn hingegen durch den weiteren Einsatz ein Sieg sehr wahrscheinlich ist, dann ist dieser Weg eine mögliche Strategie, unabhängig davon, ob bereits so viele dafür gestorben sind. Die Anzahl der gefallenen Soldaten macht auf einer logischen Ebene keinen entscheidungsrelevanten Unterschied.
Sie macht allerdings einen Unterschied auf der Basis des menschlichen Denkens: Wir neigen dazu, diese eigentlich irrelevanten Kosten mit einzubeziehen, sei es bei Glücksspielen („ich habe so viel verloren, ich kann jetzt nicht aufhören“) oder bei Investitionsentscheidungen („ich habe schon so viel in dieses Bauvorhaben gesteckt, jetzt muss ich es fertig machen“).
Ich vermute mal, dass sich dieser Mechanismus entwickeln konnte, da ein solches Beharren für soziale Prozesse ein Selektionsvorteil gewesen sein kann, schlicht weil der Handelnde als konsequent und willensstark wahrgenommen werden kann und das auch die Kosten eines Handelns gegen ihn erhöhen kann und die Bereitschaft mit ihnen an bestimmten Projekten zusammen zu arbeiten („wenn man sich mit ihm einlässt, dann macht er es auch zu Ende“). Solange die Vorteile eines solchen Handelns in sozialer Hinsicht größer waren als die Nachteile aufgrund weiterer Verluste kann sich auch eine solche fehlerhafte Berechnung festsetzen, die sich ja nur bei tatsächlichen „versunkenen Kosten“ auswirkt. Wenn ein Beharren die investierten Kosten retten kann, dann ist ein weiteres Vorgehen sinnvoll und es kann eine Niederlage in einen Sieg verwandeln. Es wäre also eine Frage der Glaubwürdigkeit und des Standes in der Gesellschaft und auch eine Folge davon, dass wir kein sehr gutes Modul dafür haben, versunkene Kosten von solchen zu unterscheiden, die man noch retten kann. Dies wiederum mag daran liegen, dass es günstiger sein kann von rettbaren Kosten auszugehen, weil ein Irrtum in die andere Richtung teurer sein kann als noch etwas mehr in eine solche Situation zu stecken, da man einen potentiell hohen Gewinn verschenkt.
Dieser Aspekt spielt denke ich auch eine Rolle dabei, warum man gerade dann, wenn man sich einer möglichst radikalen Ideologie verschrieben hat, dort häufig schwer wieder rauskommt. Denn gerade bei relativ unplausiblen Theorien besteht das Problem, dass man um sie zu akzeptieren zahlreiche gedankliche Verrenkungen und Ausblendungen vornehmen muss. Zudem verändert sich die gesamte Einstellung zur Welt, wenn man sie unter dem Frame einer besonders radikalen Theorie sieht. Man muss zudem die dort enthaltenden Unlogiken auch hinausdenken und ausblenden, baut also erhebliche Cognitive Dissonanzen auf, mit denen man umzugehen lernt.
All dies sind, wenn die Theorie falsch sind, versunkene Kosten. Denn auch wenn man immer weiter in sie investiert wird die Theorie dadurch nicht wahrer.
Nehmen wir als Beispiel einen radikalen Feminismus (man könnte auch einen radikalen Maskulismus nehmen):
Denkt man sich in diese Sichtweise hinein, dann muss man erhebliche Investitionen tätigen. Man muss zunächst akzeptieren, dass alles unter einem Geschlechteraspekt zu sehen ist und das nahezu alles auch ein Zeichen für die hegemoniale Männlichkeit, das Patriarchat und die Unterdrückung der Frau durch den Mann ist. Man muss alle Vorteile für Frauen oder deren Wünsche, zB mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen ausblenden, man muss lernen peinlich genau darauf zu achten, dass man alle potentiellen Diskriminierungsformen unter intersektioneller Betrachtung meidet, niemand den Opferstatus zu unrecht abspricht oder zu unrecht zuspricht (PoCs, Frauen, Behinderte, Homosexuelle, Nichtnormschöne = gut, heterosexuelle, weiße Männer=schlecht). Man muss alle Unterschiede zwischen Mann und Frau ausblenden. Man muss sowohl ausblenden, dass der eigene Partner eigentlich auch ein weißer, heterosexueller Mann ist und darf das gleichzeitig nicht ausblenden und muss ihn beständig dazu anhalten, sich seiner Privilegien bewußt zu werden.
All diese erheblichen Mühen sind, wenn man zu der Erkenntnis kommt, dass die Theorien falsch sind, versunkene Kosten. Das bedeutet, dass man plötzlich nicht mehr per se Opfer sein darf. Dass man sich anhören muss, dass man, wenn man für mehr Frauen in Führungspostionen ist, lieber Ingenieurswissenschaften hätte studieren sollen statt Gender Studies. Dass Frauen dominante, selbstbewußte Männer vielleicht durchaus attraktiv finden. Das CAH-Frauen männliches Verhalten zeigen und davon auch durch Erziehung nicht abzubringen ist. Das einige wenige Männer vergewaltigen und die Kultur das als höchst problematisch ansieht und zu verhindern sucht und es keineswegs ein Mittel ist um Frauen von dem Schutz der Männer abhängig zu machen und in eine Zwangsheterosexualität zu begeben. Das Frauen in freieren, feministischeren Staaten sogar noch stärker die Geschlechterrollen zeigen. Dass alles, gegen das man gekämpft hat, gar nicht bekämpfenswert war und man Schattenkriege geführt hat, all die Mühe verschwendet. Plötzlich sind nicht mehr die Männer für alles verantwortlich, die Defintionsmacht bricht weg, die moralische Überlegenheit und der sichere Weg zum matriarchalischen Glück auch. Die bisherigen dekonstruierenden Praktiken, die einem immer voller Stolz erfüllt haben, sie waren alle wertlos, eben versunkene Kosten.
(Kurz noch mal ähnliches mit einem radikalen Maskulismus: Die Frauen wollen gar nicht alle die Männer ausbeuten, sie sind tatsächlich zur Liebe fähig, nur einem selbst haben bestimmte Frauen übel mitgespielt, aber vielleicht auch, weil man selbst die falschen Dynamiken hatte und Fehler bei der Partnerwahl gemacht hat. Andere sind glücklich und nicht, weil sie nicht merken, dass sie nur männliches Nutzvieh sind, sondern weil sie eine Einheit mit ihren Partnerinnen bilden und bei ein kooperatives Spiel der gegenseitigen Unterstützung spielen. Plötzlich muss man lieb gewonnene Einstellungen überdenken, vom Richter der in einer Verschwörung mit den Rechtsanwälten zugunsten der Frauen den Männern die Kinder wegnimmt kommt man dazu, dass die Frauen aufgrund der Arbeitsteilung vorher die Kinder betreut haben und viele Männer durchaus der Meinung sind, dass sie dies auch weiterhin machen sollen. Plötzlich lauert nicht mehr hinter jedem Sex eine Falschanzeige, sondern Falschanzeigen sind relativ selten, genau wie umgekehrt Vergewaltigungen)
Wenn jetzt unterbewußt die Überlegung angestellt wird, ob man die bisherige Einstellung aufgeben soll, dann erfolgt dies unter Berücksichtigung dieser „Sunken Cost Fallacy“. Es erfolgt eine Überlegung wie viel man schon investiert hat, um diese Überzeugung aufzubauen und wie viele der eigenen Theorien man umstellen müsste, wenn man sie aufgeben müsste.
Das wären sowohl im radikalen Maskulismus als auch im radikalen Feminismus sehr viele. Hinzu kommen auch noch die weiteren Folgekosten einer radikalen Ideengemeinschaft: Wenn in dieser Abweichler und Ungläubige ausgeschlossen werden, dann muss man auch bedenken, dass man sein soziales Umfeld verliert, weil diese auch aufgrund ihrer eigenen versunkenen Kosten und der Tabuisierung einer Diskussion dazu, gerade weil dann zuviele cognitive Dissonanzen niedergekämpft werden, die bisherige Überzeugung nicht aufgeben können. Dies erhöht die Kosten noch einmal zusätzlich um ein neues soziales Umfeld, wobei die Kosten um so höher sind, um so radikaler das Umfeld und um so mehr man ausschließlich innerhalb dieses Umfeldes unterwegs war.
Kommt die unterbewußte Wertung zu dem Ergebnis, dass die Kosten für das Aufgeben der Meinung zu hoch sind, dann bleibt die Meinung bestehen und wird rationalisiert bzw. deren Unstimmigkeiten ausgeblendet.
Etwas ähnliches hat auch Dawkins zum Thema Religion geschrieben:
It takes energy and time to reconfigure the brain to accept information, especially during childhood. This means we could potentially have a sunk cost if later evidence suggests it was a waste of resources. This is where the sunk costs come in.
Since believing in something is to make an investment in cognitive and temporal resources, and moreover that it’s a social investment as well into the local culture, any sign that one is wrong constitutes not just a loss of investment but a social threat. If what one believes is incorrect, then one has been wasting one’s time and mental resources in them. A decision comes up: switch, or stick?
There are many disadvantages to switching. For one thing, the new information has to be calibrated into the mind, and that requires more mental effort than usual. Switching is a dangerous social act; after all, you got your pre-existing beliefs from the people you spent most of your life with anyway (peers, mainly), who constitute your best local chances for reproduction in the majority of situations. And the new expenditure cannot be hastily rushed into. Energy might be wasted chasing after a new idea that turns out to be wrong, and the less information is conveyed, the more the jump becomes one of guesswork and foolhardiness.
Sticking, on the other hand, is more likely to pay off. For one thing, you fit right in with your peers, and the group members enjoy the advantages of internal cohesion that aren’t available to a more divisive group’s members. For another, it constitutes less energy expenditure, and the odds are that the belief is OK enough to be getting on with for your lifetime. A belief about, say, cosmological views or about how the world works is not going to have too much impact on your survival and reproductive strategy for the most part, except to enhance them among fellow believers. And this enhancement is among a social species that evolved language, which according to studies spend most of their time using this language to discuss other people’s good and bad social behaviour (i.e. gossiping). Social benefit is key to understanding the phenomenon.
The sunk cost fallacy comes in when you take a more scientifically-minded and broader view. Obtaining beliefs over time requires expensive mental and neurological commitment. Changing beliefs is painful, as many here (I guess) can attest to long, gradual, and emotional changes from religion to non-religion. Being able to explore and analyze beliefs is not encouraged by intuitive thought processes, and we should by now be familiar with intuition’s unconscious power to lead the way at the expense of more cautious kinds of thinking. Stu
Auch hier kann es evolutionär vorteilhaft sein, auf diese Weise zu entscheiden. Denn wir sind Gruppentiere und es kann günstiger sein, eine falsche Theorie zu teilen, die auch die Gruppe teilt, als mit einer richtigen Theorie Probleme in der Gruppe zu bekommen. Dies gilt insbesondere für soziale Theorien der Gruppe, da sich nach diesen das Zusammenleben gestaltet.
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