Wie stark der Einfluss der Biologie auf unser Verhalten ist, ist aus meiner Sicht auch eine Frage, welchen Ausschnitt der potentiellen Handlungsmöglichkeiten man betrachtet.
Das die Perspektive häufig eine Rolle spielt und die eigene dabei sehr eng sein kann ist dabei denke ich jedem bewusst, kann aber auch noch einmal einfach verdeutlicht werden:
Es fällt leicht, sich eine Landschaft vorzustellen, weil sie unserer typischen Erlebniswelt entspricht, sich etwas so großes wie einen Supercluster oder Superhaufen vorzustellen übersteigt unsere Fantasie deutlich, weil es keine Struktur ist, die wir kennen oder in unser tägliches Leben einbauen können.
Genauso erscheinen uns Handlungsweisen, die nicht unserer Natur entsprechen außerhalb unserer Wahrnehmung zu liegen, so dass sich die Wahrnehmung auf den kleinen Ausschnitt konzentriert, der uns als logisches menschliches Handeln erscheint. Der Ausschnitt, innerhalb dessen wir uns für eine Option entscheiden können, erscheint uns dementsprechend groß.
Betrachtet man ihn aus der „Superhaufen-Perspektive“, also unter Wahrnehmung aller unabhängig von unserer Spezies bestehenden Handlungsoptionen, dann erscheint das Verhalten von Menschen im Schnitt eher auf einen kleinen Fleck, sozusagen die konkrete Landschaft beschränkt.
Wir würden eben eine Familie, die bei schlechter Ernährungslage ihre Kinder aufisst, nicht für normal halten, auch wenn das in anderen Tierarten durchaus vorkommt. Dem Sozialleben eines Insekts können wir wenig abgewinnen. Andere Paarungsrituale von anderen Tieren kommen uns bizarr vor und wir nehmen teilweise die eigenen Verhaltensweisen nicht mehr als solches wahr.
Disney ist damit reich geworden, Tiere als Menschen darzustellen und ihnen menschliche Züge zu geben und sie nach menschlichen Verhalten handeln zu lassen, gerade weil wir dann ihre Motive als logisch nachempfinden können.
Wie unverständlich uns das Verhalten dieser Fische tatsächlich wäre zeigt sich zB hier:
We touched on this topic briefly before, ignorant of the implications — but sometimes ignorance is bliss. You see, a clownfish colony — which doesn’t stray far from its anemone host — is dominated by one male and one female. These two are the only ones who are trading fluids in the entire group. Why? Because all clownfish are born male. Why? Because Mother Nature is one crazy broad
Naturally, the next question is „Where did that male clownfish get his woman bits from?“ Well, clownfish are sequential hermaphrodites, meaning that the male can transform himself into an intoxicating lady quicker than Wesley Snipes in To Wong Foo, Thanks for Everything! Julie Newmar
So what does this mean for Finding Nemo? Well, when the female in the colony dies or disappears, the dominant male will change into the dominant female, and the fish who was waiting in line behind him takes over as the new top guy.
Remember that Nemo’s mom became fish food in the first act, along with all of Nemo’s brothers. This makes Marlin the dominant male, and Nemo the second-most dominant. Are you starting to pick up what we’re putting down, preferably while wearing latex gloves?
You know that tiny fish egg that Marlin nurtured, cared for, and almost died for? Yup, he was totally just trying to get his son home so they could repopulate their colony.
Wie anders unser Verhalten und unsere Gesellschaft wäre, wenn wir ähnliche Strukturen hätten und dennoch eine entsprechende Intelligenz entwickelt hätten, um diese dann kulturell auszuformen, ist schlichtweg nicht vorstellbar.
Nimmt man unsere Biologie raus und ersetzt sie durch vulkanisch-sachliche Logik, dann wäre ein Großteil unseres Verhaltens schlicht unnötig. Hätten wir keine Triebe und keine Liebe mehr, keinen Wunsch nach Anerkennung in der Gemeinschaft, keinen Wunsch Status aufzubauen oder uns als möglichst begehrenswerte Partner darzustellen, keine Gefühle wie Rache oder Eifersucht mehr, dann bliebe nichts an unserer Gesellschaft gleich.
Eine künstliche Intelligenz, von Menschen geschaffen, könnte niemals menschlich denken, wenn man ihr diese Grundregeln ebenfalls einprogrammiert. Sie würde uns wahrscheinlich extrem kalt und berechnend vorkommen, unverständlich, fremd.
In dem Roman „Die schöne Welt der Affen“ wacht die Hauptfigur in einer Schimpansengesellschaft auf und leidet unter der Geisteskrankheit, kein Schimpanse (sondern ein Mensch) zu sein:
Für die dortigen Personen ist es ganz klar, dass man mal wieder mit dem Boss kopulieren sollte, es wäre unhöflich die mit ihm als ranghohem Männchen nicht zu machen, genauso wie es von ihm unhöflich wäre, sie abzuweisen.
Daß Schimpansen ihrer Sinnlichkeit hemmungslos und burschikos frönen, hätte der Leser auch begriffen, wenn Self die erotische Affenliebe weniger detailliert gezeichnet hätte. Gekonnt eingesetzt sind die erotischen Szenen allerdings dort, wo die politisch korrekten Vorgaben der Menschenwelt mit tiefschwarzem Humor auf den Kopf gestellt werden. Mißbrauchte Schimpansenkinder sind diejenigen, die von ihren Eltern sexuell vernachlässigt werden; junge Weibchen messen ihre Attraktivität an der Anzahl der „schnellen Nummern“, die sie zwischen U-Bahn und Büro absolvieren, ein kehliges „HoooGrah“, den triumphalen Keuchruf der Schimpansen auf den fleischigen Lippen. Der Leser legt Will Selfs zweiten Roman still aus der Hand. Kein Laut ertönt. Aber unwillkürlich fährt er sich mit der Hand durch die Nackenhaare. Dort, wo gern die Läuse sitzen.
(ich fand das Buch übrigens nicht so berauschend, wenn es auch eine interessante Perspektive bietet).
Und das sind noch relativ nahe Verwandte. Was außerirdisches Leben für bizarre Konstellationen und Rituale bietet ist insofern schwer vorstellbar, da gerade sexuelle Selektion die merkwürdigsten Ergebnisse bringen kann. Zwar würden wir sicherlich einige Rituale als Signale der Partnerwahl und der eigenen Stärke zuordnen können und die Wahrscheinlichkeit, dass auch Außerirdische nur zwei Geschlechter haben, ist aus meiner Sicht recht hoch, da gerade sexuelle Selektion sehr gut eine deutliche Steigerung von Intelligenz bewirken kann und mehr als zwei Geschlechter zu teuer sind, aber was sich daraus dann im Rahmen der dortigen Selektion ergibt, ist kaum vorherzusagen.
Von oben betrachtet lässt sich einiges an unserem Verhalten in deutliche Regeln einordnen, auch wenn das Verhalten einzelner Menschen im konkreten Augenblick nicht vorherzusagen ist. Uns erscheint insofern der Handlungsrahmen innerhalb dieser Regeln teilweise als sehr groß, weil wir eben lediglich den Handlungsrahmen sehen und nicht die weit entfernt außerhalb dieses liegenden anderen Möglichkeiten zu handeln. Bereits wenn dieser Handlungsrahmen an den Rändern ausgeweitet wird, finden wir das unverständlich, etwa wenn Psychopathen unter Auslassung dieser Regeln handeln und schlicht lösungsorientiert vorgehen (und deswegen zB einen Menschen töten) oder Autisten die Regeln des sozialen Zusammenseins nicht aufnehmen können. Ein objektophiler Mensch erscheint uns verrückt, dabei erhält er untechnisch gesprochen nur durch andere Sachen als eine bestimmte Art Mensch ein Glücksgefühl, also eine Ausschüttung von Hormonen, was auf der Basis einer sehr entfernten Betrachtung kein großer Unterschied wäre und er seine Fortpflanzung ja dennoch abstrakter gestalten könnte.
Wir sagen so etwas wie „Natürlich muss er sein Kind unterstützen, es ist sein Kind“ und sind uns der Unlogik dieses Punktes nicht bewusst. Wir finden es logisch, dass man nicht so einfach aufgibt, wenn man bereits viel investiert hat, obwohl es logischer wäre nicht darauf abzustellen, was man bereits investiert hat, sondern darauf, wie hoch die Erfolgsaussichten und der zu erwartende Gewinn ist, was man bereits investiert hat, ist dabei eigentlich irrelevant. Bereits Sex ist etwas vollkommen bizarres und außerhalb der Biologie wohl nicht zu verstehen.
Es fällt uns nur nicht mehr auf, weil es normal ist. Uns kommt gar nicht in den Sinn, dass man sich anders verhalten könnte.