„Wenn etwas unnatürlich ist, warum brauchen wir dann Gesetze dagegen?“

Ein leider häufig zu lesendes Argument (Ich habe es sowohl bei Butler als auch bei Connell gelesen und ansonsten ein paar Mal gehört) gegen biologische Begründungen zur Heterosexualität oder zum Inzest ist das Argument, dass, wenn Homosexualität oder Inzest „unnatürlich“ wären, es keine Gesetze dagegen brauchen würde.

Das ist allerdings ein Strohmann, der auf einem falschen Verständnis der hierzu vertretenden Theorien beruht:

a) Homosexualität

Hier ist der erste Fehler bereits, dass in der Biologie Homosexualität nicht als unnatürlich angesehen wird, es ist aber eher ein Nebenprodukt, dessen evolutionäre Kosten in Kauf genommen werden müssen, um andere Vorteile zu sichern. Das folgt bereits daraus, dass Homosexualität, zumindest in ihrer reinsten Form, eben nicht zu Nachwuchs führt.

Und auch, wenn Homosexualität damit biologisch gut zu erklären und damit nicht unnatürlich ist, kann eine Gesellschaft diesen natürlichen Vorgang regulieren oder unter Strafe stellen.

Das ist dann so gesehen ein Art naturalistischer Fehlschluß, denn es wird aus einer Häufigkeit und dem Umstand, dass Heterosexualität dazu führt, dass Kinder erzeugt werden, geschlossen, dass das andere Verhalten falsch ist. Was daraus aber schlicht nicht geschlossen werden kann, wenn jemand Attraktivitätsmerkmale abgespeichert hat, die auf Personen des gleichen Geschlechts passen, dann folgt daraus, dass er diesem Attraktivitätsmerkmalen und der daraus entstandenen Begierde folgt, nicht, dass man daraus eine moralische Falschheit dieses Verhaltens herleiten kann.

Der klassische Heterosexuelle wird auch ohne Strafe nicht unbedingt auf die Idee kommen, mit einem Mann zu schlafen. Dennoch kann eine Gesellschaft entscheiden, dass sie homosexuelles Verhalten unter Strafe stellt.

Ob Homosexualität oder Heterosexualität biologisch begründet sind, ist dabei egal. Allenfalls zeigt der Umstand, dass Homosexuelle trotz erheblicher Strafen weiterhin homosexuellen Sex hatten, dass eine Umgestaltung der sexuellen Orientierung durch soziale Regeln in solchen Fällen kaum möglich ist.

b) Inzest

Das Inzesttabu beruht wohl im wesentlichen auf dem Westermarkeffekt, also nicht direkt auf Verwandtschaft, sondern auf Nähe in einem jungen Alter, was aber üblicherweise nahe Verwandte ebenfalls recht zuverlässig ausschließt.

In der Tat kommt es dann auch recht selten vor, dass Geschwister miteinander schlafen wollen und wenn, dann sind sie meist nicht zusammen aufgewachsen. Viele gesetzliche Regelungen zum Beischlaf oder der Heirat unter Verwandten wären insofern in Bezug auf miteinander aufgewachsene Kinder mit relativ geringen Altersunterschied nicht erforderlich. Häufig wird die biologisch bestehende Regel aber kulturell noch weiter ausgebaut, nicht selten wohl aus erbrechtlichen Überlegungen, weil man verhindern will, dass eine Familie beispielsweise zuviel Land in ihren Besitz bringt.

Dessen ungeachtet müssen Gesetze auch gar nicht unbedingt die eigentliche Tat aus moralischen Gründen verhindern wollen – der deutsche Inzestparagraph beispielsweise erlaubt so ziemlich alles an sexuellen Aktivitäten unter Geschwistern, von Oral- bis Analverkehr, aber eben kein PIV. Es kann auch bei nur wenigen Fällen, die so etwas machen, etwa Geschwister, die nicht miteinander aufgewachsen sind, das Gefühl bestehen, dass dies falsch ist und insofern eine Strafvorschrift erlassen werden (im Bereich des Inzest halte ich persönlich die Strafbarkeit heutzutage für falsch, aber das ist eine andere Sache).

c) gesellschaftliche Regeln

Auch unterhalb von Strafvorschriften, auf der Ebene sozialer Regeln, wird das Argument häufig gebracht. „Wenn es tatsächlich nur zwei Geschlechter gibt, warum reagiert die Gesellschaft dann so hysterisch auf jede Abweichung? Das macht doch nur Sinn, wenn man ein System gegen Widerstand schützt“ wäre eine Argumentationsmöglichkeit in diesem Bereich. Auch auf diesem Bereich lässt sich aber die Argumentation übertragen: Häufungen, die aus biologischen Gründen auftreten, können als absolute Regeln missinterpretiert werden und im Wege eines naturalistischer Fehlschluss als „das Richtige“ angesehen werden, das bedeutet aber nicht, dass diese Häufungen keine biologischen Grundlagen haben und die Einteilung allgemein falsch ist