Maskulistische Gegenmythen: „Fast die Hälfte aller jungen Männer berichtet von ungewolltem Sex“

Eine Schlagzeile, die mich stark an (radikal-)feministische Schlagzeilen erinnerte war neulich bei Genderama zu lesen:

USA: Fast die Hälfte aller jungen Männer berichtet von ungewolltem Sex

Das ist ja sogar noch mehr als „jede sechste Frau“ und was ist letztendlich „ungewollter Sex“ anderes als eine Vergewaltigung?

Das machte mich neugierig auf die Studie:

Sexual coercion is a pervasive problem but rarely examined in men. This study examined sexual coercion and psychosocial correlates among 284 diverse adolescent and emerging adult males in high school and college. Over 4 in 10 participants (43%) experienced sexual coercion: more specifically, the participants reported: verbal coercion (31%, n = 86), seduction coercion (26%, n = 73), physical coercion (18% n = 52), and substance coercion (7%, n = 19). Rates were comparable across high school and college students. Racial differences were found such that Asian participants reported significantly lower rates of sexual coercion than Black, White, and Latino participants. Ninety-five percent of the respondents reported women as the perpetrators; participants also described internal obligation, seductive, and peer pressure tactics in descriptions of coercion experiences. Sexual coercion tactic (i.e., verbal, substance, seduction, physical) and resulting sexual activity (i.e., fondling/attempted intercourse, completed intercourse) were associated with psychosocial outcomes. Specifically, sexual coercion that resulted in sexual intercourse was associated with greater sexual risk-taking and alcohol use. Verbal and substance coercion were associated with psychological distress, and substance coercion was also associated with sexual risk-taking. Considerations for future research and practice implications are discussed.

Quelle: Sexual Coercion Context and Psychosocial Correlates Among Diverse Males.

„Coercion“ ist ersteinmal Zwang, es geht also um einen gewissen Zwang auf die Männer, Sex zu haben.

Zunächst erst einmal fällt auf, dass zwischen 43% und „Fast die Hälfte“ aus meiner Sicht schon noch ein Unterschied besteht. Dann listet die Studie folgendes auf:

  • verbaler Zwang 31%
  • Zwang durch Verführung (26%)
  • körperlicher Zwang (18%)
  • Zwang durch Zuführung von Substanzen (7%)

Solche Angaben machen mich bei einer Studie zu diesem Thema ja schon sehr mißtrauisch. Verbaler Zwang und Zwang durch Verführung sind sehr vage Punkte, eine Verführung ist üblicherweise eben gerade kein Zwang. Und auch die Substanzen sind in vergleichbaren Studien häufig schlicht Alkohol.

Hier aus der Studie direkt eine nähere Aufschlüsselung mit Beispielen:

Sexueller Zwang gegen Männer

Sexueller Zwang gegen Männer

A. Was genau wird unter sexuellem Zwang erfasst

1. Verbaler Zwang

Als Beispiel ist dort aufgeführt, dass ein Mädchen Oralsex wollte und er dies nicht machen wollte. Sie bettelte. Er wollte aber nicht. Das ist aus meiner Sicht kein ungewollter Sex. Betteln mag nicht sehr schick sein und auch einen gewissen Druck ausüben, so etwas aber bereits zu kriminalisieren indem man von ungewollten Sex spricht geht dann doch zu weit

2. Manipulation

Als Beispiel ist eine Freundin angeführt, die bei schlechter Laune ihrerseits Druck auf ihn ausübt Sex mit ihm zu haben. Auch hier kommt es natürlich auf die Art des Drucks an. Aber viele Männer würden das andererseits wohl für eine durchaus nicht so schlimme Art der Stress- oder Kummerbewältigung halten. Aus dem Beispiel heraus ist schlecht zu sagen, ob es beanstandenswert ist, Wenn es auch hier zB nur „Verbaler Zwang“ ist, dann gilt aus meiner Sicht das oben gesagte

3. Physischer Zwang

Das Beispiel ist, dass ein Junge in ein Badezimmer gestoßen wird und sie ihn dort küsst, bis er sie stoppt und er mitteilt, dass er sie nicht „auf diese Weise mag“. Auch hier der Hinweis, dass es nicht um „ungewollten Sex“ geht, sondern es eine Stufe vorher stehen bleibt. Ein ungewolltes Küssen kann natürlich sehr unangenehm sein, auch hier wird es aber doch meist eher ein Mißverständnis sein als das, was man klassisch mit dem Begriff physischer Zwang verbindet. Ein Schubsen kann spielerischer Natur oder bedrohlich sein. Meist wird es wohl eher das erstere sein.

4. Substanzenmißbrauch

Das Beispiel ist, das sie ihn abfüllt, der Rest des Abends für ihn im Nebel versinkt und er dann neben ihr aufwacht. Aus meiner Sicht jetzt nicht so unüblich, dass viel Alkohol zu Sex führt. Richtigen Druck sehe ich da insoweit nicht, gerade wenn sie mitgetrunken hat. Man muss nicht jeden betrunkenen Sex zu einem ungewollten Sexerlebnis machen und in die Nähe einer Vergewaltigung rücken. Es kann sein, dass es hier so wahr. Man bräuchte aus meiner Sicht aber mehr Details.

5. Sexuelle Verführung

Das Beispiel ist, dass sie fragte, ob sie reinkommen und sein Telefon benutzen kann, weil sie ihr Mobiltelefon verloren hat. Er verliert erst das Bewußtsein/tritt weg/schläft ein („passed out“), sie versucht ihn wohl dann zu wecken und durch einen Striptease ihrerseits und ein anschließendes Ausziehen seinerseits für sich zu interessieren, er verliert aber wieder das Bewußtsein/tritt weg/schläft ein.

Auch hier kann es natürlich eine Grenzüberschreitung sein, aber es klingt eher nach Alkohol, ihr Versuch doch noch Sex möglich zu machen und einer zu starken Betrunkenheit seinerseits (auch hier: Kein Sex). Es hängt wohl stark davon ab, wie hinüber er war und meiner Meinung nach auch von ihrer Alkoholisierung. Grundsätzlich werden wohl die meisten Männer nichts dagegen haben, wenn eine Frau strippt. Hier wäre die Frage, ob er schlicht zu müde war oder sie aus anderen Gründen davon ausgehen musste, dass sie ihn belästigt

6. Sex mit Minderjährigen (Statutory Rape)

Das Beispiel ist eine 18jährige, die mit einem 12jährigen schläft, weil man ihm gesagt hat, dass er so zu einem „großen Jungen“ wird. Sicher, dass ist zurecht angeführt. Wäre auch in Deutschland eine strafbare Handlung.

7. Peer Pressure

„Freunde haben Druck auf mich ausgeübt, Sex zu haben“. Die meisten Jungs kennen sicherlich diesen Druck, allerdings wollen sie den Sex ja selbst, es ist ihnen peinlich, dass sie ihn noch nicht hatten. Auch hier insoweit wenig Informationen zum Fall. Warum wollte er den Sex nicht? Wie haben sie ihn unter Druck gesetzt?

8. Selbsterzeugter Druck

Das Beispiel ist „Einmal, als ich schon mehrer Tage sehr viel Sex hatte, hatte ich keine Lust mehr, sie wollte aber, also habe ich es gemacht, um sie nicht zu enttäuschen“. Wirklich? Sexueller Druck, der unter der Schlagzeile „Fast die Hälfte aller jungen Männer berichten von ungewollten Sex“ verarbeitet wird bei etwas so banalen wie Sex zum Gefallen der Frau, mit der man eh schon Sex hat? Würde das in einer Statistik über sexuellen Zwang gegenüber Frauen auftauchen, dann hätte die gesammelte antifeministische Bewegung eine Feldtag und es wäre ihnen zurecht ein inneres Schützenfest die Zahlen auseinander zu nehmen. Das muss dann aber auch umgekehrt gelten.

B. Wertung

Es ist ja sattsam bekannt und ständige Rede, dass man bei jeder Studie dieser Art zunächst schauen muss, was eigentlich genau unter „Zwang“, „sexueller Gewalt“ oder Vergewaltigung erfasst ist. Dieses Kriterium sollte man auch bei einer Studie, deren Ergebnis einem ideologisch gefällt, stets anwenden. Aus meiner Sicht ergibt sich dann recht schnell, dass jedenfalls die hier gewählte Überschrift vollkommen falsch ist und die Zahlen auch im übrigen sehr angreifbar sind

Wer den Feminismus für schlechte Studien kritisiert, indem mit zu weichen Begriffen gearbeitet wird, der muss sich eben die Mühe machen, in solchen Studien, gerade wenn sie im Volltext vorliegen, einmal nachzuschauen, wenn er sich nicht angreifbar machen will.

C. Weiteres zu den Zahlen

Die Aufschlüsselung nach Arten des Zwanges ist in der Studie auch noch einmal in eine Tabelle gebracht:

Sexueller Zwang gegen Männer 2

Sexueller Zwang gegen Männer 2

 

Da sieht man, dass sich die 43% aus alles Bereichen, also sowohl verbaler Zwang als auch Verführung als auch zuviel Alkohol zusammen. „Physical Force“ macht einen relativ kleinen Teil aus (wobei ja auch hier aus meiner Sicht mit einem härter klingen Begriff gearbeitet wird als es „ins Bad schubsen“ rechtfertigt), der größte Teil ist verbaler Druck und Verführung. Nur in 21% der Fälle führte dies zu Sex, in weiteren 3% wurde es versucht.

Mit der obigen Tabelle kann ich die untere Tabelle allerdings nicht so richtig in Einklang bringen. Da scheint verschiedenes zusammengefasst worden zu sein.

Wem bei „jede dritte Frau wird Opfer von Gewalt“ das Schubsen nicht gefiel, der sollte es auch hier kritisieren.