Gestern ging es in der Debatte um die Beschäftigung mit Männern und Männlichkeit auch darum, was „zum Mann werden“ bzw. „zur Frau werden“ so beinhaltet.
Dazu schrieb David:
Ein Mädchen wird durch die Blutung zur Frau. Ein Junge durch den Samenerguss aber nicht zum Mann. Symbolisch natürlich, und subjektiv.
Aus gesellschaftlicher Perspektive benötigt ein Mädchen eigentlich nur ein paar Brüste, ein paar neue Klamotten und muss ihre Puppe weglegen, um als Frau anerkannt zu werden.
Die “Performanz” von Männlichkeit ist da sehr viel anspruchsvoller bis nahezu unmöglich für pubertierende Jungs. Die körperlichen Veränderungen helfen natürlich auch ein wenig, aber viele Möglichkeiten haben “Halbstarke” nicht, eine kulturell akzeptierte Form der Männlichkeit zu finden.
Mir ist erst in den letzten Jahren klar geworden, das Jungs im Teenageralter die Bevölkerungsgruppe mit der schlechtesten Lobby sind, insbesondere bei Migrationshintergrund. Sie stellen sich förmlich auf den Kopf, um als sexuelle und erwachsene Wesen wahrgenommen zu werden. Oftmals gelingt das leider nur über einschüchterndes Verhalten.
Ich habe eines Tages in der Straßenbahn zunächst an mir, dann an den Blicken aller Fahrgäste festgestellt, welche Skepsis, Misstrauen, bestenfalls spöttische Süffisanz pubertierenden (also nicht mehr niedlichen) Jungs entgegenschlägt, die an einer Haltestelle zusteigen.
Heute entspricht meine Haltung absolutem Wohlwollen.
Egal wie selbstbewusst sie tun, ihre Verunsicherung ist im Schnitt sicher nicht kleiner als die von Mädchen. Ganz im Gegenteil.
Adrian ergänzt:
Gesellschaftlich wird ein Mann nur dann zum Mann, wenn er sich durch bestimmte “männliche Eigenschaften” auszeichnet: Verantwortungsbewusstsein, “Reife”, Selbstdisziplin und ein möglichst reibungsloses Funktionieren (alles natürlich auch in Bezug auf Frauen).
Die allzu emanzipatorische Artikulation eigener Bedürfnisse, Wünsche und Träume gilt dagegen als unreif, unmännlich, verantwortungslos.
Hier zeigt sich wieder das alte Spiel: Ein Mann hat zu Funktionieren, er hat sich aufzuopfern, er soll “seinen Mann stehen”.
Ich denke, dass die Fragen historisch gesehen danach entschieden worden sind, inwieweit den Kindern eine gewisse erste Sexualität und ein Partnerwert zuzuordnen war. Danach richtet sich auch, was die jeweiligen Geschlechter erfüllen müssen.
- da der Partnerwert bei Frauen in evolutionären Sinne ganz überwiegend von Fruchtbarkeit und körperlicher Schönheit abhing, bekommt hier die Periode als Zeichen der Fruchtbarkeit und körperliche Attribute wie Brüste etc eine besondere Bedeutung
- da der Partnerwert der Männer im wesentlichen über Status und Hierarchie gebildet wird, sind Jungs in der Pubertät rebellischer, riskobereiter, wollen in ihrer Peer-Group und ihrer Altersstufe als besonders cool gelten. Hieraus folgt gerade bei Jungs die oben beschrieben Rolle des „Halbstarken“, also desjenigen, der trotz seiner Jugend auf stark macht und anderen imponieren will. Wie man diesen Status erreichen kann ist dabei stark kulturell abhängig.
Demnach gab und gibt es in vielen Kulturen bestimmte Initationsrituale, die oft bestimmte in dieser Kultur als für Männer wichtige Eigenschaften darstellen sollten. Dies kann von schmerzhaften Prüfungen über Tätowierungen oder anderen Körperschmuck bis zu bestimmten Fastenerlebnissen oder der Suche nach dem Totem gehen.
Feiern, die deutlich machen, dass man bestimmte gesellschaftliche Regeln gelernt hat, sind ebenfalls für beide Geschlechter auch in der heutigen Zeit entsprechende Rituale, etwa die Kommunikation oder Kommunion.
Heute scheint mir aber der Übergang zum tatsächlichen Erwachsenensein eine etwas geringere Bedeutung zu haben, weil Kinder lange bestimmten Pflichten entbunden sind. Sie müssen erst spät zu Ernährung beitragen, übernehmen auch keine Pflichten wie Jagd oder Ackerbau oder Kriegspflichten mehr im jungen Alter und heiraten auch erst wesentlich später.
Übrig geblieben sind insoweit aber persönliche Bedeutungen für die jeweilige Person, die von den Erwachsenen ernst genommen werden will und sich auch gegen deren Autorität auflehnen muss um eine gewisse Selbstständigkeit zu erreichen.
Welche Form der „Mannwerdung“ oder „Frauwerdung“ seht ihr heute als wichtig an? Brauchen wir diesbezügliche Rituale und Formen dafür, um diese Prozesse in die richtige Richtung zu leiten oder muss das jeder mit sich selbst ausmachen?