„Schwerwiegende Ereignisse brauchen schwerwiegende Gründe“

Ich habe gerade in einem Buch über das trügerische Gehirn etwas dazu gelesen, dass wir bei einem schwerwiegenden Ereignis üblicherweise auch nach einem schwerwiegenden Grund suchen.

In dem Buch war als Beispiel das Kennedy Attentat aufgeführt: Weil es von so großer Bedeutung war wollten viele nicht akzeptieren, dass es die Tat eines Einzelnen war, sondern wollten dahinter eine größere Verschwörung sehen.

Ergänzend wurde angeführt, dass wir auch bei sehr emotionalen Ereignissen, die für uns selbst schwerwiegend sind, eine ebenso schwer ins Gewicht fallende Ursache haben wollen.

Dies sei dann auch die Ursache für viele Verschwörungstheorien. Ich kann mir vorstellen, dass das auch auf die beiden Seiten der Geschlechterdebatte zutrifft und zu der gern ausgebauten Opferhaltung beiträgt.

Was immer einem an Leid durch das andere Geschlecht zugefügt wurde, sei es das Verlassenwerden oder allgemeines Desinteresse, Unterhaltszahlungen, Gewalt, Vergewaltigungen oder was auch immer, kann eben über eine größere Verschwörung des anderen Geschlechts wesentlich emotionaler bedient werden als über den Umstand, dass einem ein bestimmter Mensch weh getan hat oder das man gar den Fehler bei sich selbst suchen muss.

Ebenso wenn man das Gefühl hat, abgelehnt zu werden, weil man keine typische Frau oder kein typischer Mann ist, weil man nicht dem Schönheitsideal entspricht oder weswegen auch immer, es ist einfach, wenn man dies als den Zwang der Geschlechterrollen bei den anderen oder Normschönheit sieht, die aufgezwungen wird.

Unter diesem Gesichtspunkt ergeben Patriarchat und Rape Culture eben auch einfach weitaus bessere Gründe an, aus denen einem schreckliches passiert ist als dies bei einer unemotionaleren Betrachtung der Fall wäre:

Die Gründe sind dann so groß, wie das Unrecht.

Wenn das besser zu unserer Wahrnehmung passt, dann fällt es einem leichter solchen Erklärungen zu glauben, glaubt man erst einmal solchen Erklärungen, dann treibt das die Wahrnehmung als Verschwörungstheorie noch weiter an.

Es ist vielleicht auch ein guter Grund sich seinem Schmerz noch mehr hingeben zu können, denn bei einer Einzeltat kann man sich weniger aufregen als wenn man gegen eine große Verschwörung kämpft. Um so größer die Verschwörung, um so mehr ist man gleichzeitig Opfer und darf es sein: Ich vermute mal, dass der Vorgang in beide Richtungen funktioniert: Ein großes erlittenes Unrecht erfordert einen großen Hintergrund, ein großer Hintergrund erlaubt auch ein größeres Unrecht.

Die Folgen sieht man dann im Feminismus, wenn alles ein erlittenes Unrecht sein kann, weil DAS PATRIARCHAT dahinter steht und einen in eine Rolle zwingt und selbst der Anblick eines Babys oder eines küssenden Paars triggernd wirken kann.