Leser Klaus schrieb mir Folgendes per Email zum Thema selektives Mitleid als klassische Komponente totalitärer Ideologien
Nach längerem Nachdenken ist mir dazu eingefallen. Nämlich wie bringt man eine (größere) Gruppe von Menschen dazu, eine andere Gruppe bis zur Vernichtung zu verachten und zu hassen?
Die große Mehrzahl der Menschen sind keine Sadisten, haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und fühlen mit dem Leid anderer mit, andernfalls könnte eine Gesellschaft nicht einmal leidlich existieren.
Um nun aber diese Empfindungen in Bezug auf die zu verachtende, zu vernichtende Gruppe zu eliminieren braucht es zwei Komponenten (stammt nicht originär von mir, habe ich gelesen):
- Entmenschlichung
- Dämonisierung
Entmenschlichung bedeutet, die Individuen der derart mit schlechten Attributen zu belegen, dass sie nicht mehr als Mensch wahrgenommen werden müssen. Am Beispiel der Juden im Dritten Reich wären dies Attribute wie gierig, verschlagen bzw. hinterhältig, sagenhaft geil und deswegen gefährlich (Vergewaltigung der Deutschen Frau), Verschmutzen das deutsche Blut usw. gewesen
Das reicht aber nicht, um die zu verachtende Gruppe vernichten zu wollen; sie sind halt minderwertig und ich bin besser, daraus folgt aber nicht zwingend, dass sie vernichtet werden müssen.
Hierzu bedarf es noch einer weiteren Komponente, der
Dämonisierung:
Nicht nur ist die andere Gruppe minderwertig, sie bedroht meine Existenz auch in Form einer halboffenen bis geheimen Verschwörung. Am Beispiel der Juden im Dritten Reich war dies die (für meine Argumentation sinnigerweise 😉 ) Jüdische Weltverschwörung, also der geheime Plan, der Juden das deutsche Volk inklusive seiner Individuen vernichten zu wollen.
Erst das Zusammenspiel dieser beiden Komponenten ermöglicht es dem Einzelnen, seine Empathie und sein Gerechtigkeitsempfinden schweigen zu lassen. Am Beispiel der Juden im Dritten Reich also: Die Juden wollen das Volk inklusiver meiner selbst vernichten, bedrohen mich also direkt, ich muss mich wehren, handele also in Notwehr. Und dieses „Handeln in Notwehr“, die physische Vernichtung der anderen Gruppe ohne Ausnahme, kann ich viel besser mit meinem Mitgefühl ausmachen, wenn das andere Individuum entmenschlicht ist, ohnehin minderwertig ist.
Mir sind die gleichen Mechanismen der Entmenschlichung und Dämonisierung bei Feministinnen in Bezug auf Männer aufgefallen.
Grundsätzlich sind wir Menschen auf eine gewisse Kooperation ausgelegt, sofern uns diese Vorteile bringt und wir davon ausgehen können, dass auch der andere Kooperieren will. Dies ist um so eher der Fall, um so eher wir diesen als Bestandteil einer wenn auch weit gefassten gemeinsamen Gruppe verstehen, also ein In-Grouping vornehmen können.
Der beste Weg eine Feindschaft zu schüren ist damit, dass man den Gegner deutlich in eine Outgroup, gegen die Gewalt zulässig ist, einordnet. Dies ist eben bei einer als geringwertig angenommenen Gruppe eher der Fall, insbesondere wenn man sie in einer Gruppe einordnet, die noch nicht einmal menschlich ist, sie also den Tieren zuordnet, gegen deren Tötung bei uns als Fleischesser weitaus geringere Bedenken bestehen. Gerade einer minderwertigen Gruppe möchte eben keiner zugehören, so dass damit am einfachsten eine Zuordnung zu der eigenen Gruppe oder eine Zuordnung von einem selbst zu der Gruppe erfolgen kann. Verstärkt man dies noch damit, dass die Gruppe nicht nur minderwertig ist, sondern auch noch böse, dann wird um so mehr die Bereitschaft angesprochen, sich gegen diese Gruppe zu verteidigen.
Interessant dazu vielleicht auch die etwas erweiterten Stufen, mit denen man eine Gehirnwäsche hin zu einem Terroristen erreichen kann:
Phase 1—Depluralization: stripping away all other group member identities
Phase 2—Self-deindividuation: stripping away each member’s personal identity
Phase 3—Other-deindividuation: stripping away the personal identities of enemies
Phase 4—Dehumanization: identifying enemies as subhuman or nonhuman
Phase 5—Demonization: identifying enemies as evil
Das zeigt noch einmal, wie sehr der Mensch ein Gruppentier ist: Werden ihm alle anderen Verbindungen weggenommen und sieht er sich nur noch als Teil einer Gemeinschaft, dann wird er sich eben der dann noch verfügbaren Gruppe zuordnen. Nimmt er dann auch nur noch die andere Seite als Teil einer Gruppe und nicht mehr als einzelne Menschen dar, dann fehlt es ihm an Abgrenzungsmöglichkeiten, an dem Verständnis, dass auch der andere ein Mensch ist, der ihm vielleicht gar nichts böses will und dieser Vorgang wird noch weiter ausgebaut, indem dann die Gruppe als wertlos und dann das böse ausgebaut wird.
Diese Vorgänge sind natürlich in beiden Richtungen der radikalen Richtungen des Geschlechterkrieges zu beachten.
Im Feminismus geht es ja gerade nur noch darum, sich als Opfer aufgrund der Gruppenzugehörigkeit zu sehen, als Frau, die immer keine Privilegien hat und die nicht individuell zu betrachten ist, sondern deren Wertungen durch „Sektionen“ vorgegeben sind, eben Geschlecht, Rasse, Klasse etc.
Der Feminismus versucht gerade alles auf ein Gruppenproblem herunterzubrechen und eine tatsächliche Individualität im Sinne einer Öffnung für Kritik findet nicht statt. IDPOL erlaubt nur erklären von Positionen, nicht aber eine echte Diskussion über diese. Und auch Männer sollen nicht als Einzelwesen, sondern eben als Teil ihrer Gruppe wahrgenommen werden. Dabei wäre interessant, ob das bekämpfen eine „hegemonialen Männlichkeit“ auch bereits eine Entmenschlichung ist, die verbirgt, dass man eigentlich gegen konkretes Verhalten bestimmter Menschen ist. Solche Entmenschlichungen könnten sich auch hinter Formulierungen wie „WHM“, also der Verwendung einer abstrakten Abkürzung, verbergen. Auch Macker oder Dude gehen vielleicht in diese Richtung.
Die Dämonisierung kommt dann über diverse Konzepte wie die Rape Culture oder den Mythos der allgemeinen und umfassenden Unterdrückung.
Auch der (radikale) Maskulismus versucht etwas in dieser Richtung, wenn dort die Gruppeninteressen der Männer gegen die Gruppeninteressen der Frauen gestellt werden und die Gegenseite mit Begriffen wie „Femastase“ oder „Parasit“ entmenschlicht werden. Die Dämonisierung erfolgt dann über Konzepte wie „alle Frauen beuten nur aus“ oder das Übertreiben von Falschbeschuldigungsanzeigen. Aus dem gleichen Grunde wird dann auch entsetzt aufgeschrien, wenn man etwas differenzierter oder weniger dämonisierend betrachten möchte.
Das man über Gruppenzuweisungen so schnell zu Feindbildern kommt ist auch der Grund dafür, dass ich es für wichtig halte, dass immer wieder betont wird, dass es keine fixen Unterschiede zwischen den Gruppen gibt, sondern nur Unterschiede im Schnitt. Denn bei Unterschieden kann eben eine große Spannbreite bestehen, die Platz für Individualität zulässt und es schwieriger macht, über zu pauschale Zuordnungen Feindbilder aufzubauen.