Ergebnisse und Empfehlungen des Beirats Jungenpolitik

Das Bundesministerium für Senioren, Frauen und jugendliche stellt die Ergebnisse und Empfehlungen des Beirats Jungenpolitik vor.

Die gesamten Empfehlungen findet man hier.

Aus der dazugehörigen Pressemitteilung:

Der Abschlussbericht des Beirats enthält einen guten Überblick über die Wünsche und Vorstellungen junger Männer. So wollen fast alle beispielsweise gerne Väter werden. Gleichzeitig orientieren sich aber viele an hergebrachten Vorstellungen zu einem männlichen Berufsleben. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist kein Thema für junge Männer – obwohl sie gerne Zeit mit ihrer Familie verbringen möchten und männliche Bezugspersonen für Kinder wichtig finden. Auf Herausforderungen, die dadurch in Partnerschaften auf sie zukommen, sind sie nicht vorbereitet. Ihnen fehlen realistische Vorstellungen zur Vielfalt moderner Lebensformen. Jungen und junge Männer haben zudem Lust auf Teilhabe und auf gesellschaftliche Mitgestaltung – das ist eine nachdrückliche Erfahrung des Jungenbeirats. Aber sie fühlen sich aktuell nicht angesprochen, nicht einbezogen und häufig nicht respektiert. Das ist eine Aufforderung die Ansprache von Jungen und Mädchen sowie Kommunikations- und Partizipationsstrukturen zu überdenken.

In einer etwas feministischeren Sichtweise liest sich das wie folgt:

Calmbach und Debus schreiben in dem Bericht für Familienministerin Kristina Schröder (CDU), den Jungen fehle es „anzunehmenderweise teilweise an Reflexionsräumen und Austausch zu Vor- und Nachteilen verschiedener Modelle bzw. zu möglichen Problemen und Umgangsweisen mit diesen“. Einfacher gesagt: Die Männer, die schon Väter sind, und auch die Mütter und andere Bezugspersonen, drücken sich darum, die Problematik mit ihren Söhnen zu besprechen. Und die jungen Männer untereinander entziehen sich dem Thema ebenfalls – womöglich, aus Angst, als uncool oder unmännlich wahrgenommen zu werden. Die Konsequenz, die sich aus diesem Kapitel des 222 umfassenden Abschlussberichts des Beirats für Jungenpolitik ziehen lässt ist ein Plädoyer, ein Appell an Eltern, Lehrer, Betreuer: Sprecht mit den Jungs! Bringt sie zum Nachdenken! Schafft ebendiese Reflexionsräume, die ihnen fehlen. Sonst werden die Mädchen, die in 15 Jahren genau wissen werden, was sie wollen, noch immer mit ähnlich verunsicherten Männern konfrontiert sein wie die 30-Jährigen von heute.

Der verunsicherte Mann, der einfach nicht seine Rolle überdenken möchte. Das er vielleicht eine andere Rolle weit weniger möchte kommt dabei wohl nicht in den Sinn.

Dennoch ein interessanter Bericht. Hier ein paar Stellen (S.91):

In den meisten Jungengruppen entwickelten sich bereits nach kurzer Zeit Hierarchisierungen i.d.R. entlang von Alter, Lebensweltnähe, Artikulationsfähigkeit und häufig auch dem Körperbau (Muskularität, Sportlichkeit, teilweise Körpergröße). Diese drückten sich u.a. darin aus, dass den ranghöheren Jungen mehr zugehört wurde, während bei Redebeiträgen rangniedrigere Jungen häufiger unterbrochen wurden oder die zuhörenden Jungen unruhig wurden und den Sprecher nicht ansahen. In der Prekären bzw. Materialistisch-hedonistischen Lebenswelt wurden rangniedrige Jungen zudem schwulenfeindlich beschimpft. Wenn sie sich gegen Dominanzgesten ranghöherer Jungen wehrten, wurde ihnen teilweise (mehr oder weniger ernst) Gewalt angedroht. Die ranghöheren Jungen fielen teilweise dadurch auf, souverän auch Brüche mit den in anderen Kapiteln beschriebenen Männlichkeitsanforderungen zu zeigen, also beispielsweise von Selbstzweifeln oder Verliebtheit zu berichten. In manchen Jungengruppen bildete sich zusätzlich zu einer klar hierarchisierten Jungengruppe eine „Insel“ einzelner Jungen mit Merkmalen ranghöherer Jungen (v.a. Alter und Artikulationsfähigkeit), die jenseits der Hierarchie standen und Sonderpositionen einnahmen.

Also Hierarchien, Rangausbildung und intrasexuelle Konkurrenz. Dazu passend konnten sich die rankhöheren Jungen auch mehr Brüche erlauben.

Bei den Mädchen sah es so aus (auch S. 91)

In den Mädchengruppen entwickelten sich teilweise Hierarchisierungen, die aber subtiler abliefen und von außen schwieriger erkennbar waren. Abgesehen von den Mädchen der Prekären bzw. Materialistisch-hedonistischen Lebenswelt, bei denen ein sehr hohes UnruheLevel herrschte, hörten sich die Mädchen aller anderen Gruppen gegenseitig aufmerksam zu und unterbrachen sich nur selten. Allerdings bildeten sich entlang der Frage des Paarstatus und des Alters insbesondere in der Diskussion zu Männlichkeits- und Weiblichkeitsbildern Ungleichheiten heraus, da ältere Mädchen mit Partner sich mehr Raum nahmen als jüngere Mädchen ohne Partner. Hierarchisierungen zeigten sich v.a. auch, wenn selbst organisiert Gruppen gebildet werden sollten, in Pausengesprächen und Gesprächen bei der Collagenerstellung sowie in der Quantität und Intensität, in der sich bestimmte Mädchen aufeinander bezogen. Hier fanden subtile Ausgrenzungen statt, indem manche Mädchen, obwohl sie sich in den meisten Fällen gerade erst kennengelernt hatten, Freundinnenschaft performten, eine solche Aufmerksamkeit gegenüber anderen Mädchen aber nicht zeigten. Teilweise bemühten sich mehrere Mädchen um die Aufmerksamkeit desselben (i.d.R. älteren, sehr artikulationsfähigen und schlanken) Mädchens, was ein Machtungleichgewicht mit sich brachte. In vielen Gruppen gab es eher mehrere unterschiedliche und teils widersprüchliche Stränge der Hierarchisierung. Ein eindeutiges Oben und Unten wie in den meisten Jungengruppen war kaum zu beobachten. Die Strategie, über die Performance von Freundinnenschaft Hierarchien herzustellen, steht im Kontext dazu, dass sich die Mädchen insgesamt stärker aufeinander bezogen als die meisten Jungen. Mehrfach wurden nach Beendigung der Fokusgruppen-Diskussion von einigen oder allen Mädchen Telefonnummern und Facebook-Namen ausgetauscht

Also auch wie zu erwarten keine klaren Hierarchien, sondern eher versteckte. Dafür subtilere Ausgrenzungen.

Zu der Ausbildung von Selbstbewußtsein (S. 92)

Die Mädchen speisen ihr Selbstbewusstsein vor allem aus fürsorglichen und sozialen Kompetenzen. „Hard Skills“ und andere, weniger von der sozialen Umwelt abhängige Fähigkeiten bzw. Eigenschaften spielen nur lebensweltspezifisch und dann vor allem ergänzend eine bedeutsame Rolle (Expeditive, Experimentalistische Hedonistinnen, Materialistische Hedonistinnen).

Jungen nennen vor allem körperliche Leistungsfähigkeit und Sportlichkeit als Ressourcen, die sie an sich mögen und aus denen sie entsprechend Selbstbewusstsein schöpfen. Das trifft vor allem auf die Konservativ-bürgerlichen und die Materialistisch-hedonistischen Jungen zu.

Auch recht klassisch. Frauen wollen für fürsorgliche und soziale Kompetenz wahrgenommen werden, Männer für körperlichen Wettbewerb. Dann folgt klassisches „Doing Gender“:

Diese geschlechterstereotypen Aspekte werden von Jugendlichen in der Regel jedoch um neutrale oder geschlechteruntypische Eigenschaften ergänzt. Vor allem bei den Jungen der Konservativ-bürgerlichen Lebenswelt gelten fürsorgliche Kompetenzen als (wichtige) Quelle von Selbstbewusstsein. Hier zeigt sich ein offensichtlicher Bruch mit geschlechterstereotypen Vorstellungen, der vor dem Hintergrund der lebenswelttypischen Familien- und Partnerschaftsorientierung jedoch plausibel ist. I Soziale Kompetenzen gelten Jungen auch in anderen Lebenswelten als Quelle von Selbstbewusstsein, es zeigt sich jedoch kein so offensichtlicher Bruch mit geschlechtertraditionellen Vorstellungen. Sozialökologische Jungen nennen beispielsweise Offenheit, Lust an Austausch und Kritikfähigkeit als Eigenschaften, die ihr Selbstbewusstsein auszeichnen. In anderen bildungsnahen Lebenswelten werden auch Offenheit, Freundlichkeit und Toleranz als wichtige Facetten des eigenen Selbstbewusstseins genannt.

Männer, die sich um Leute sorgen oder kümmern? Wer hätte je davon gehört? Als ob Männer sich jemals um Leute, seien es Freunde oder Verwandte kümmern würden.  Nicht, dass Männer Freundschaften hätten oder Väter sind und in Beziehungen ihren Partner unterstützen. Warum sollte man man so etwas männertypisch finden? In der Tat ein Ausbruch aus der Männerrolle.

Auch den Satz finde ich interessant:

Im Vergleich der unterschiedlichen Ungleichheitsverhältnisse fällt auf, dass sozioökonomische Ungleichheiten fast gar nicht von Mädchen oder Jungen aus sozial benachteiligten Verhältnissen thematisiert werden und auch Mädchen nur eingeschränkt ihre eigene Betroffenheit von Sexismen in den Raum stellen

Also anscheinend kein Aufschrei bei der Jugend.

Zu sonstigen Diskriminierungen:

In fast allen Lebenswelten

  • haben Mädchen eine breiter gefächerte Ungleichheitswahrnehmung als Jungen. Im Fokus stehen dabei soziale Interaktionen (insbesondere interpersonale Diskriminierungen) und Vorurteile. Sie zeigen sich zudem deutlich empathischer mit Ungleichheitsbetroffenen als Jungen. Mädchen berichten in allen Lebenswelten häufiger als Jungen von Mobbingerfahrungen sowie davon, Opfer von Gewalt geworden zu sein. Vor allem abwertende oder gar bedrohliche „Anmachen“ haben fast alle Mädchen schon einmal erlebt. Dabei ist zu vermuten, dass auch Jungen Gewalt widerfahren ist, sie davon aber aufgrund der mit Männlichkeit verbundenen Souveränitätsanforderung nicht berichten;
  • fokussieren Jungen in ihrer Ungleichheitswahrnehmung stärker eigene Benachteiligungen und Diskriminierungserfahrungen, aber auch auf die Gesellschaft bezogene, wie Chancenungleichheit am Arbeitsmarkt und ökonomische Ungleichheiten (Kapitalismuskritik, Gender Pay Gap). Viele Jungen mit Rassismuserfahrungen zeigen sich dabei auffällig sensibler bezüglich anderer Diskriminierungs-Verhältnisse wie beispielsweise Sexismus als mehrheitsdeutsche Jungen derselben Lebenswelt. Fast alle Jungen vermeiden es, so weit möglich, in ihrer Thematisierung eigener Ungleichheitserfahrungen als Opfer zu erscheinen.

Jungen nehmen also insoweit durchaus eigene Ungleichserfahrungen wahr und auch eigene Benachteiligungen. Sie wollen aber keine Opfer sein.

Zu den Erfahrungen in der Schule:

Jungen aus den bildungsnäheren Lebenswelten (vor allem Konservativ-Bürgerliche, Sozial- ökologische und Adaptiv-Pragmatische) gehen von höheren Leistungserwartungen seitens der Lehrkräfte an Jungen als an Mädchen aus. Sie haben den Eindruck, dass Mädchen für gleiche Leistungen besser bewertet werden.

Materialistische Hedonisten bzw. Jungen aus der Prekären Lebenswelt sind der Meinung, für dieselben Unterrichtsstörungen härter bestraft zu werden als Mädchen. Auch die Mädchen gehen davon aus, dass sie in dieser Hinsicht in der Schule bevorzugt werden. Ungleichheiten oder Ungerechtigkeiten, die an Leistungserwartungen, Notenvergaben oder an fachlich gebundene Aspekte geknüpft sind, tauchen weder bei den Jungen noch den Mädchen dieser Lebenswelten auf. 32 Vgl. dazu die Debatte um Racial Profiling.

Mädchen sehen sich vor allem in den MINT-Fächern und im Sportunterricht benachteiligt. In den MINT-Fächern fühlen sich in erster Linie die formal höher gebildeten und lebensweltlich modern geprägten Mädchen ungerecht benotet, nicht ausreichend gefördert, aber auch durch abfällige Bemerkungen von Lehrkräften bloßgestellt. Hinzu kommen Diskriminierungs-Erfahrungen, die vor allem Mädchen formal niedriger gebildeter, aber in etwas geringerem Maß auch Mädchen privilegierterer Lebenswelten in der Schule in Form abwertender frauenfeindlicher Sprüche und sexualisierter Übergriffe durch ihre Mitschü- ler erfahren. Diese Erlebnisse machen Schule für viele Mädchen zu einem unangenehmen Ort.

Das waren jetzt nur ein paar rausgegriffene Stellen. Eine größere Besprechung findet sich auch bei Sciencefiles. Interessant ist, dass in einer Stellungnahme des Beirats Jungenpolitik auch viel über Mädchen geredet wird und ein Vergleich angestellt wird. Im Gegensatz zu den Untersuchungen über Gewalt gegen Frauen. Man erkennt schon die Ausrichtung der Studie, die aus meiner Sicht schon eher den klassischen sozialwissenschaftlichen-feministischen Theorien zugeneigt zu sein scheint. Es verwundert insofern nicht, dass sich Connell im Literaturverzeichnis findet.