Kritische Heterosexualität: „Küssen kann man auch zu Hause“

Nachdem Nadine Lantzsch schon vorgelegt hatte mit ihrer Forderung seine Privilegien als Heterosexuelle aus Solidarität mit Homosexuellen nicht zu inszenieren, also aufzupassen, dass man sich und seine Kinder nicht als zu glückliche Einheit darstellt, legen zwei weitere Feministinnen, yetzt und sanczny nach und nehmen dazu Stellung, ob man sich als Heterosexueller in der Öffentlichkeit küssen sollte. (oder der Text bei yetzt)

Sie finden es eher unsolidarisch:

Von Bedeutung ist die Frage, wie das Küssen im Gefüge der Herrschaftsverhältnisse wirkt. Wenn Küssen aufgrund gesellschaftlicher Machtverhältnisse negativ sanktioniert ist, kann ein Kuss ein revolutionärer, befreiender Akt sein. Gibt es etwa rassistische Ressentiments gegenüber Pärchen, ist bewusstes Entgegentreten durch einen Kuss ein Akt der Provokation und greift die Verhältnisse an. (…) Auf der anderen Seite der gedachten Barrikade wirken Küsse auch. Nicht als Akt der Befreiung, sondern als Fortführung der Verhältnisse. Wenn ein Kuss zwischen Menschen gesellschaftlich akzeptiert wird, bedeutet dies ein Privileg gegenüber Menschen, deren Küssen gegen die Norm verstößt, unerwünscht oder geächtet ist. Das Privileg ergibt sich nicht nur daraus, etwas ohne negative Konsequenzen tun zu können, sondern auch daraus, es zu können, während dies anderen nicht gegönnt ist. Dabei spielt es keine Rolle, wie schwerwiegend die Konsequenzen sind. (…)

Heterosexuelle Pärchenperfomance unter “Wir können doch alle knutschen” abzutun, zeugt von nicht reflektieren des eigenen Privilegs. Genauso tut das, wenn zur Verteidigung öffentlicher Heteroperformance angeführt wird “Aber ich muss mir auch Dicke/Alte/Doofe anschauen!”, denn die reproduzieren keine Dicken-/Alten-/Doofen-Norm sondern sind selber marginalisierte Gruppe.

Es ist schwierig, Herrschaftsverhältnissen zu entgehen, nicht nur als Unterdrückte, auch als Unterdrückende. Dominanz nicht zu reproduzieren, und Privilegien zu erkennen, ist der dafür notwendige Schritt. Auch wenn jetzt und hier privilegierte Menschen die Herrschaftsverhältnisse nicht erfunden haben, liegt es an ihnen, nicht von diesen zu profitieren und sie somit aufrecht zu erhalten.

Also noch mal in der Kurzform:

  1. heterosexuelles Knutschen ist ein Privileg
  2. Privilegien unkritisch auszuüben stützt Herrschaftsverhältnisse und reproduziert Dominanz
  3. Man sollte nicht von Herrschaftsverhältnissen profitieren und sie somit aufrechterhalten

Daraus folgt aus meiner Sicht, dass heterosexuelles Knutschen ohne groß drüber nachzudenken ein Aufrechterhalten der Herrschaftsverhältnisse und damit Homosexuellenfeindlichkeit ist.

Dagegen ist der andere Weg recht klar:

  1. Nicht heterosexuell herumknutschen oder vorher stets reflektieren, dass es ein Privileg ist
  2. ?????
  3. Den Homosexuellen geht es besser

Wie also sind nun die konkreten Tipps für eine Unterstützung von Homosexuellen dieser Autoren?:

Wie also sieht normativitätskritische Praxis aus? Zunächst die bittere Wahrheit, dass eine normative Performance, also die Wahrnehmbarkeit des Auftretens und der Handlung als nicht der Norm widersprechend, den Machverhältnissen nie entgegenwirkt. So toll das Knutschen und so queer/nichtnormativ die Knutschenden auch sein mögen, wenn es als mono- und/oder heteronormativ gelesen wird, reproduziert es die mono- und/oder heteronormativen Verhältnisse. Ein Ausdruck von Solidarität ist es also, in einem Kontext, in dem nicht alle Menschen gleichberechtigt Knutschen können, nicht zu knutschen. Es ist nicht die Frage, ob Küssen verboten ist, sondern, wie solidarisch privilegierte Menschen sein wollen.

Protipp: Küssen kann man auch zu Hause. Nicht umsonst wird bei übertriebenem Küssen oft geraten, sich ein Zimmer zu nehmen. Und es gibt sicher keinen Anspruch darauf, dass irgendwer öffentliche Pärchenperformance toll findet.

Mal wieder nahe dran an der Satire. Und erstaunlich nahe dran an christlichen Fundamentalisten: Es ist SÜNDE in der Öffentlichkeit zu küssen! Unsolidarische SÜNDE!

Dennoch scheint der Text von yetzt und sanczny einiges an Zustimmung zu erfahren. Skategyrl beispielsweise findet ihn toll.

Ich kann mir auch richtig gut vorstellen, wie viel besser das Klima für Homosexuelle wird, wenn sich das allgemein durchsetzt: Die Frage „Ist hier ein Homosexueller oder können wir rumknutschen“ trägt ja immer zu ganz besonders viel Entspanntheit bei, ebenso wie die Frage, ob es ihn als Homosexuellen stört, wenn man hier sein Heteroprivileg ausübt  und rumknutscht. Aber die Fragen sind wahrscheinlich auch ein Zeichen falscher Einstellung, denn bei dem richtigen Geist empfindet man ein Knutschverbot äh ein Aufruf aus Solidarität nicht zu knutschen, ja gar nicht als Belastung, sondern als Bereicherung, weil man eben eine bessere Welt schafft.

Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass Homosexuelle abseits des Radikalfeminismus das gut finden. Die meisten Homosexuellen, die ich kenne, wollen eine entspannte Atmosphäre, in der sie sich akzeptiert führen und ihre sexuelle Ausrichtung keine Rolle spielt. Sie wollen nicht, dass man aus Rücksicht aus sie sich anders verhält, sondern, dass man eben auch sie nicht einschränkt. Ich denke es ist ihnen lieber, wenn ein verliebtes Paar rumknutscht und ihnen das gleiche Recht zugesteht. Eher dürfte es etwas bringen Solidarität zu zeigen, wenn von irgendeiner Seite dumme Sprüche kommen und dann eben Unterstützung zu geben.

Ich kann verstehen, wenn ein Homosexueller sich ärgert oder traurig ist, dass er seine Sexualität nicht in der gleichen Weise zeigen kann. Dennoch scheinen mir mehr gesellschaftliche Regeln nicht der richtige Weg zu sein. Ich hatte seinerzeit auf einen Kommentar von Adrian hin das Folgende geschrieben:

ich verstehe, dass einen gewisse Sachen stören oder das sie einen traurig machen. Ich kann ja Kinder bekommen, aber mitunter bin ich auch etwas neidisch auf Leute, die bereits mitten im Familienleben angelangt sind, indem Moment zB in dem ich sie mit ihren Kindern in den angenehmen Phasen sehe.

Es sind die Schlußfolgerungen von Lantzschi im Sinne einer deutlichen Einschränkung die ich nicht nachvollziehen kann.

[Adrian]

“Sie küssen sich, halten Händchen, haben Bilder von ihren Partnern am Arbeitsplatz, heiraten und fahren danach hupend durch die Straßen, fahren ihre Kinder spazieren (und Kinder sind ein Produkt offen gelebter Heterosexualität) und wagen es, einem vorzuwerfen, man selbst würde als Homo seine Sexualität zu sehr präsentieren anstatt sie in den eigenen vier Wänden auszuleben, da wo sie nun mal hingehöre.”

Eben. Genau dieses Denken muss weg. Es soll nicht dahin gehen, dass die Heteros sich mehr einschränken, sondern dass die Leute kein Problem mehr mit Homosexuellen Paaren haben. BEIDE Seiten sollen sich ausleben können.

Man bekommt doch sonst schon die moralische Abgrenzung nicht hin und erzeugt nur weiteren Unmut.

Mit einem Aufruf zu solidarischen Nichtküssen und damit zu einem indirekten moralischen Verbot des heterosexuellen Kusses verstärkt man aus meiner Sicht Vorbehalte eher. Zudem stärkt man auch die, die allgemein meinen, dass man sich zum Küssen eher ein Zimmer nehmen sollte, weil es unanständig ist.

Sicherlich gibt man damit auch Leuten Munition, die eben keine homosexuellen Küsse in der Öffentlichkeit wollen „Nehmt euch ein Zimmer, alle anderen machen es ja auch“

Wie Elitemedium so schön sagte:

Wie absurd radikalfeministische Forderungen teilweise sind zeigt sich an der aktuellen Debatte darüber, ob heterosexuelle Paare sich in der Öffentlichkeit küssen sollen/dürfen. (…) Der Text lässt eigentlich nur einen Schluss zu. Alle wirklichen Probleme dieser Welt sind scheinbar gelöst, der Feminismus hat jetzt Zeit über solchen Quatsch zu debattieren.

Aber gut, dass wir unser Gewissen mit scheinbarer Solidarität beruhigen.