Soziologische Theorien zu den Geschlechtern

Leser Chomsky schrieb in einem Kommentar das Folgende:

Ich würde mal behaupten, dass folgende Theorien realtiv gut empirisch abgesichert sind:

Wie gesagt: Die Entwicklungspsychologie geht von einer Überdeterminierung der Geschlechtsidentität aus.

Bekräftigungstheorie:

Imitationstheorie:

Kognitive Ansätze:

Geschlechtsschema-Theorien

Ich habe dazu mal gesucht:

1. Bekräftigungstheorie

Die Bekräftigungstheorie beinhaltet laut KASTEN (2003: 36), dass Jungen und Mädchen schon sehr früh, wahrscheinlich im Kleinkindalter schon, für Verhalten, dass ihrem Geschlecht angemessen erscheint, bekräftigt werden. Bekräftigung erfolgt durch Lob, Anerkennung, Belohnung o. ä. Dem Geschlecht unangemessene Verhaltensweisen werden hingegen nicht bekräftigt, sondern sogar bestraft, missbilligt oder einfach ignoriert. Die Bekräftigungstheorie basiert darauf, dass bestimmte dem Geschlecht entsprechende Verhaltensstereotype existieren und Eltern ihre Kinder diesen Stereotypen gemäß erziehen. Das würde aber implizieren, dass Eltern ihre Kinder unterschiedlich behandeln.

CHODOROW (1985: 130) erklärt, dass hinsichtlich der Eltern – Kind – Interaktion, die Wärme der Eltern, das Ausmaß an Lob und positiver Rückmeldung, in den ersten vier bis fünf Lebensjahren kaum Unterschiede bezüglich des Geschlechts nachzuweisen sind.

Gegen diese Theorie spricht aus meiner Sicht, dass sie Transsexuelle, weiblichere Homosexuelle, CAH, CAIS und weitere Sonderfälle nicht erklären kann. In diesen kann man hingegen Zusammenhänge mit pränatalen Testosteron sehen.

Gerade bei „weiblicheren Homosexuellen“ mit dominanten Eltern, die ihr Kind zu einem „männlichen Verhalten“ erziehen wollen, zeigt sich, dass dies nicht klappt. Ebenso sind die Erfahrungen mit geschlechtsneutraler Erziehung eher negativ.

Ebenso erklärt die Theorie nicht die Unterschiede innerhalb der Geschlechter und ihre Zusammenhänge mit dem pränatalen und postnatalen Testosteronspiegel oder die genetischen Grundlagen der Transsexualität oder anderer Genderidentitätsabweichungen vom Phänotyp. Auch Cloacal exstrophy ist nach diesen Theorien eigentlich problemlos, man muss sie nur in dem gewählten Geschlecht bekräftigen. Der Wechsel bei “5a-reductase-2 deficiency” (5a-RD-2) passt ebenfalls nicht in dieses Modell, wenn man nicht annimmt, dass die ganzen Bekräftigungen vorher einfach folgenlos verpuffen, wenn die Pubertät eintritt.

2. Imitationstheorie

Zu der Imitationstheorie erklärt KASTEN (2003: 42 f.), dass Kinder geschlechtstypisches Verhalten durch die Beobachtung gleichgeschlechtlicher Modelle und die Nachahmung und Übernahme deren geschlechtsangemessenen Verhaltens erwerben. Dabei gelten also die Bezugspersonen als Vorbilder, im Hinblick auf erfolgreiches oder erfolgloses Verhalten. Erfolgreich und erfolglos ist hier im Sinne von bestrafen oder nicht bestrafen gemeint. Nachgeahmt wird vorwiegend erfolgreiches Modellverhalten, meist am gleichgeschlechtlichen Vorbild.

Kritikpunkte dieser Theorie liegen u.a. darin, dass Jungen und Mädchen in unserem Kulturkreis heutzutage in der frühen Kindheit meistens von weiblichen Bezugspersonen betreut werden. Trotzdem imitieren Jungen nicht nur weibliches Verhalten, was ja nach der Imitationstheorie der Fall sein müsste. Außerdem haben Jungen und Mädchen in der späteren Kindheit und Jugend in annähernd gleicher Weise die Gelegenheit, gleich- und gegengeschlechtliches Modellverhalten zu beobachten. Warum sie sich trotzdem vom anderen Geschlecht abgrenzen und ihrem Geschlecht angemessenes Verhalten oft übernehmen, kann die Imitationstheorie nicht erklären.

In der Identifikationstheorie wird angenommen, dass durch die sogenannten Primärbeziehungen geschlechtsspezifisches Verhalten gefördert bzw. erlernt wird. Mit Primärbeziehungen sind die Beziehungen der Kinder zu den wichtigsten Bezugspersonen gemeint, mit denen sich in den ersten Lebensjahren häufig eine intensive gefühlsmäßige Beziehung und Bindung entwickelt. Durch diese Bindung ist die Grundlage und der Anlass gegeben, dass das Kind sich mit der Person identifiziert. Es wird angenommen, dass Mädchen sich mit der Mutter und Jungen sich mit dem Vater identifizieren, d.h., dass Jungen und Mädchen sich innerlich mit den gleichgeschlechtlichen Elternteil als sehr ähnlich oder identisch erleben. Dieses Gefühl der Ähnlichkeit bewegen dann Jungen und Mädchen innere Einstellungen, Werthaltungen und äußere Verhaltensweisen zu übernehmen (Ders. 2003: 45 f.).

Die Abgrenzung zur Imitationstheorie fällt schwer und wird wahrscheinlich darauf beruhen, dass bei der Identifikationstheorie nicht nur äußeres Verhalten nachgeahmt und übernommen wird, sondern auch innere Einstellungen und Werte der Bezugspersonen.

Die Kritik wird in dem zitierten Teil bereits vorgebracht. Auch hier können im übrigen die Sonderfälle nicht erklärt werden. Gerade die biologischen Fälle, in denen mit Einsetzen der Pubertät die Geschlechterrolle wechselt, werden dieser Theorie einige Probleme bereiten.

3. funktionelle-strukturelle Theorie

PARSONS hat mit seiner strukturell- funktionalen Systemtheorie einen Ansatz versucht, die Übernahme von Geschlechtsrollen aus der Perspektive der Funktionen für ein System zu erklären. Nach der Systemtheorie lernt das Kind in dem System Familie durch Sozialisation, wie es sich in einem anderen gesellschaftlichen System, z. B. Schule, verhalten soll, um den gesellschaftlichen Erwartungen und Normen zu entsprechen, und ist somit wichtig für den Erhalt eines Systems, und für ein störungsfreies Funktionieren der gesellschaftlichen Ordnung. Diese funktionalistische Auffassung von Parsons wurde von Feministinnen kritisiert, da darin insgeheim die Unterordnung von Frauen und ihre Einschränkung auf den familiären Bereich legitimiert wurde. Er unterstellt die Notwendigkeit der geschlechtlichen Arbeitsteilung in der Familie, nach der der Mann berufstätig und die Frau für die Versorgung der Kinder zuständig ist. Diese Auffassung vernachlässigt jedoch die Komplexität des weiblichen Lebenszusammenhangs. Frauen waren schon immer in beiden gesellschaftlichen Bereichen, in der Familie und im Erwerbsleben tätig.

Auch hier wird nicht erklärt, warum einige Kinder sich anders verhalten, als es der Struktur und ihrer „Funktion“ entspricht. Eben die bekannten Gruppen, die ich oben schon genannt habe.

4. Geschlechtsschema Theorie

Welche grundlegende Aussage trifft die Geschlechts-Schema-Theorie? Die Geschlechts-Schema-Theorie besagt, dass unsere Kultur und die Sozialisierung der Geschlechterrollen uns bestimmte Geschlechtsschemata liefert. Ein Schema kann als Bündel von Eigenschaften verstanden werden, die wir als typisch für Männer und Frauen, Jungen und Mädchen empfinden. Es wirkt wie ein Filter, durch den wir geschlechtsrelevante Informationen verarbeiten. Diese Schemata bestimmen z. B., welche Eigenschaften einer Situation unsere Aufmerksamkeit erregen, und sie beschränken die Art und Anzahl der Merkmale in einer Situation, die wir verarbeiten. Auf diese Weise können sie unsere Aktionen und Reaktionen auf bestimmte Situationen beeinflussen. Das heißt, diese Schemata beeinflussen die Art und Weise, wie wir andere (und uns selbst) wahrnehmen, und helfen uns, Entscheidungen zu unserem daraus resultierenden Verhalten zu treffen. Als Kinder und später auch als Erwachsene benutzen wir Geschlechtsschemata, um eine mentale Einordnung der erwarteten Eigenschaften unseres eigenen und des anderen Geschlechts vorzunehmen.

Auch hier zeigen die bereits genannten Gruppen ein deutliches Ausbrechen, entgegen der Schemata.

5. Weiteres

Die Theorien scheinen mir sehr simpel angelegt und wenig hinterfrage zu sein. Natürlich haben sie ihre Berechtigung bei der Ausgestaltung der Geschlechterrollen und ich kann mir gut vorstellen, dass dort Imitation etc stattfindet. Aber die wesentlichen Unterschiede zwischen Jungs und Mädchen und später Männern und Frauen, sei es im Rough and Tumble Play und in der Gruppenbildung bei Kindern oder später im Erwachsenenverhalten lässt sich wesentlich besser und stimmiger über die Biologie erklären. Ich verweise auch noch einmal auf den Artikel „Steven Pinker zur biologische Grundlage der Unterschiede zwischen Männern und Frauen„, der weitere Argumente aufführt.

Sollten die Theorien die oben genannten Sonderkonstellationen in ihre Theorie einbinden können, dann bitte ich um Mitteilung wie ihnen das gelingt.