Welche theoretischen Grundlagen sind in die feministischen Theorien eingeflossen und wie?

In den Kommentaren hier kommen immer wieder Bezüge zu anderen philosophischen oder theoretischen Theorien, auf die die feministischen Theorien aufbauen sollen.

Zur hegemonialen Männlichkeit wurde beispielsweise von Leser Itsme auf folgendes verwiesen:

„Der Begriff ist eine ziemliche Verflachung von Gramscis Hegemonietheorie.“

Bei Judith Butler wurde ein verflachter Hegel oder ein verflachter Fichte ins Spiel gebracht:

Robert Michel: 

Ist Butler also eine Art verflacher Hegel?

El Mocho:

Ich würde sagen ein verflachter Fichte. Wenn das Subjekt (durch Diskurse) die Welt hervorbringt, ist man eigentlich wieder beim Absoluten Ich, das sich selbst mitsamt der Welt in einer Tathandlung als seiend setzt.

Bei vielen feministischen Autoren sind Bezüge zu Nitsche und Freud vorhanden, vgl etwa:

Bei letzterer zeigen sich auch Bezugnahmen auch Louis Althusser.

Mich würde interessieren, welche Bezugnahmen ihr noch seht und wie sich diese mit den ursprünglichen Theorien deckt oder diese verflacht, ausbaut oder weiterentwickelt.

100 Gedanken zu “Welche theoretischen Grundlagen sind in die feministischen Theorien eingeflossen und wie?

  1. mir ist aufgefallen das feminismus von der praktischen seite her gesehen einen anderen aspekt beinhaltet. menschen reden alles mögliche darum halte ich es mit dem biblischen satz: “ an ihren taten sollt ihr sie erkennen“.
    er bedeutet das wir alle nach unseren überzeugungen handeln und nicht nach unseren worten.

    hier ein artikel der es gut auf den punkt bringt:

    http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/moslems_sind_keine_tiere/

    welche frauen haben das recht auf emanzipation (ob reale oder erfundene) und welche nicht.
    es werden offensichtlich unterschiede gemacht zwischen verschiedenen gruppen. was sind dann frauen für die diese rechte nicht gefordert werden, „…damit er für uns weiterhin so interessant, exotisch und herzig bleibt wie Grzimeks possierliche Kerlchen….“ wie der schreiber des verlinkten artikels fragt.

    • ” an ihren taten sollt ihr sie erkennen”

      Ich würde dem zustimmen. Denn die theoretischen Reflexionen von irgendwelchen Autoren werden immer nur eine Art ungenaue Folie geben, unter der sich bestimmte Aktivisten versammeln.

      Allerdings: Der innere Aufbau dieser Folie ist relevant, wenn man verstehen will, welche Typen von Menschen sich zu welchen Gruppen zusammenfinden. Und da wird es dann relevant zu verstehen, wie das Denken dahinter funktioniert.

  2. @Christian

    Nur schon wenn Du schaust, auf was für Autoren und theoretische Richtungen sich Butler bezieht:

    Hegel, Derrida, Althusser, Foucault, Austin, Arendt, Phänomenologie, Idealismus, Kojève, Hyppolite, Lacan, Strukturalismus, Poststruturalismus, Sprechakttheorie, Freud, Psychoanalyse, Aristoteles etc., usw. usf.

    Das ist ein Gemisch aus vielen, vielen unterschiedlichen Autoren:

    Mein theoretischer Hintergrund wäre z.B.:

    Bourdieu, Foucault, Ulrich Beck, Anthony Giddens, Norbert Elias, Erving Goffman, Max Weber, Emile Durkheim, Niklas Luhmann, Kritische Theorie, Strukturalismus, Poststrukturalismus, Diskursanalyse, Mead, Parson, Hobsbawm, Chomsky, Habermas, Coser, Historische Anthropologie, Mentalitätengeschichte, Historische Sozialwissenschaft, Weltsystem-Theorie, Immanuel Wallerstein, Annales-Schule (Duby, Bloch, Braudel, Le Goff), Kritische Psychologie, Kritische Kriminologie etc.

    Damit will sich sagen: Gewisse Theretiker nehmen sich eben gewisse Therorierichtungen heraus und verbinden sie zu einem neuartigen Geflecht, wo überhaupt kein singulärer Denker oder ein singulärer Ansatz besteht.

    Das Gleiche wird wohl für viele FeministInnen und Feminismen gelten. Da gibt es wohl auch kein einheitlicher Ansatz und ein Gemisch aus unterschiedlichsten Strömungen, Denkern, Denkrichtungen etc.

    • Wei sagt dawkins so schön: „Philosophy and the subjects known as
      ‚humanities‘ are still taught almost as if Darwin had never lived.“

      • Falsch: Es gibt vier Geschichten, um ein Phänomen zu verstehen:

        1. Ereignisgeschichte
        2. Ontogenese (Lebensgeschichte)
        3. Kulturgeschichte
        4. Phylogenese

        Leider kapriziert sich die Evolutionspsychologie nur auf die Phylogenese, was eindeutig unterkomplex ist:

      • @El_Mocho

        Und Dawkins Theologiekritik ist theologisch armselig. Nicht das ich persönlich sehr große Sympathie für Theologie hätte. Aber wenn man das intellektuelle Niveau der Aufklärung nicht mehr erreicht, sollte man sich nicht versuchen in deren Fußstapfen zu treten.

        Wir erkennen hier übrigens auch schön, dass es eben auch die umgekehrte Arroganz von Naturwissenschaftlern gibt, die m.E. völlig irrationalerweise meinen alles in der Welt müsse nach dem Modell laufen, mit dem sie sich gerade beschäftigen. Lustigerweise gibt es diese Verständnisschwierigkeiten aber auch innerhalb einzelner Disziplinen anderer Wissenschaften: Theoretische Physik und Experimentalphysik z.B.., Ökonomie und Ökonometrie, mathematische Statistik und empirische Psychologie gibt es immer wieder solche Konflikte. Irgendwie scheint das ein allgemeines menschliches Sozialverhalten zu sein, sich selbst für besonders klug, andere aber für besonders doof zu halten.

    • @Chomsky

      „Damit will sich sagen: Gewisse Theretiker nehmen sich eben gewisse Therorierichtungen heraus und verbinden sie zu einem neuartigen Geflecht, wo überhaupt kein singulärer Denker oder ein singulärer Ansatz besteht.“

      ja, und interessieren mich eben die Ursprünge. Es ist ja immer interessant zu sehen, wo ein Gedanke herkommt und wie er verändert wurde.
      Gerade weil man dann auch die Besprechungen dieser Theorien in das Verständnis mit einbeziehen kann. Bei Foucault beispielsweise kann man sich mit Habermas beschäftigen.
      Oft ist es sehr hilfreich zu sehen, wo ein Gedanke herkommt.
      Gerade der Anschluss der feministischen Theorien an viele linke Theorien ergibt ein wesentlich breiteres Bild, in dem man diese wahrnehmen kann.

    • „Bourdieu, Foucault, Ulrich Beck, Anthony Giddens, Norbert Elias, Erving Goffman, Max Weber, Emile Durkheim, Niklas Luhmann, Kritische Theorie, Strukturalismus, Poststrukturalismus, Diskursanalyse, Mead, Parson, Hobsbawm, Chomsky, Habermas, Coser, Historische Anthropologie, Mentalitätengeschichte, Historische Sozialwissenschaft, Weltsystem-Theorie, Immanuel Wallerstein, Annales-Schule (Duby, Bloch, Braudel, Le Goff), Kritische Psychologie, Kritische Kriminologie etc.“.
      Oha. alles wissenschaftstheoretische Idealisten und Wortwurstler – Konstruktion der Wirklichkeit als deren Existenz. Und wo es das mal nicht ist, dann nur weil man als Soziologe schlechterdings nicht ans Durkheim, Habermas oder Weber vorbeikommt.

      • @Dummerjan

        Du scheinst ja diese Theoretiker alle sehr gut zu kennen:

        Ja, dann erzähl mir doch ein bisschen etwas von Bourdieu: Z.B. über das Problem von Subjektivismus und Objektivismus in den Wissenschaften.Und dnn noch:

        Etwas über das Menschenbild der Figurationstheorie von Norbert Elias.

        Ich warte schon gespannt, was hier von Dummerjan kommt! 🙂

        Übrigens: Ich finde bei diesen Theortikern meist nur ganz bestimmte Elemente für mich brauchbar.
        Z.B. bei Habermas das System-Lebenswelt-Konzept.

  3. @ Chomsky

    Ich kann nicht erkennen, wo Geisteswissenschaftler wesentlich bedenken, wie sehr die Biologie des Säugetieres Mensch die von ihm geschaffene Kultur bestimmen könnte.

    Dort herrscht doch die Vorstellung, Kultur sei etwas völlig Autonomes, eine autonome Setzung des Geistes, die sich von biologischer Evolution befreit habe, von ihr gar nicht tangiert werde, ein Reich der Willkür des Geistes

    Weshalb mich die zeitgenössische Philosophie nicht interessiert. Ich kann nichts aus ihr lernen, was für mich relevante Fragen beantwortete.

    Vieles erscheint mir als abgehobenes Geschwätz unter Elfenbeinturmbewohnern, ein Glasperlenspiel, irrelevant für Naturwissenschaftler, die empirisch arbeiten, im Allgemeinen, für Biologen und Mediziner im Besonderen.

    Und vollends peinlich wird’s, wenn Fragen, die empirisch überprüfbar sind, wunschdenkend-spekulativ „beantwortet“ werden, frei schwebend abgehoben von jeder Orientierung an so etwas wie Realität, die man dekonstruiert zu haben glaubt.

    Für mich ist die zeitgenössische Geisteswissenschaft in weiten Teilen dekadent bis zur Überflüssigkeit.

    Ich teile hier Dawkins Wahrnehmung voll und ganz und halte z.B. Soziologie, die nicht Soziobiologie einschließt, für irrelevant, ohne Erklärungsmacht.

    Die Vorstellung, Evolution forme den Menschen nur bis Höhe Kehlkopf und darüber beginne das Reich des Geistes, für das die „Darwinsche“ Evolution bedeutungslos sei – na, da kann ich nur abwinken, hoffnungslos ignorant und verblasen scheint mir das.

    Geisteswissenschaftler leben in einem biologievergessenen Wolkenkuckucksheim.

    • @Alexander

      Meine Referenzperson, wenn es um Interdisziplinarität geht, ist Norbert Elias. Er hat diese propagiert (spricht sogar von der grossen Evolution, also nicht nur Phylogenese, sondern eben bis zur Entstehung der Sterne etc.). Ob ihm diese propagierte Interdisziplinärität in seinem Werk gelungen ist, das ist eine andere Frage. Aber es gibt sie eben diese Aussenseiter, die diesen Blickwinkel drauf haben und diesen propagierten. Deshalb noch einmal meine Empfehlung: folgender Artikel zu lesen:
      Wissenschaft oder Wissenschaften? Beitrag zu einer Diskussion mit wirklichkeitsblinden Philosophen. Norbert Elias.
      http://zfs-online.org/index.php/zfs/article/viewFile/2554/2091

      • @ Red Pill

        Die Studienkredite in den USA sind die nächste Finanzblase, die uns um die Ohren fliegen wird (wie vorher die Vergabe an Hypotheken an Haushalte, die sich eigentlich keine Hyyptheken hätten leisten können, aber die bessere Verteilung des Wohneigentums war egalitaristisches Ziel, weshalb Milliarden gerade von staatlich beeinflussten Immobilienfinanzierern unter’s Volk gestreut wurden – laxe Kriterien bei der Kreditwürdigkeitsprüfung waren Programm und gewollt).

        Bei den Studienkrediten ist absehbar, dass damit häufig Studien finanziert wurden, die keinerlei Wertschöpfung erlauben, schon gar nicht in dem Umfang, der nötig wäre, den verauslagten Kredit wieder einzuspielen.

        Das trifft vor allem Studentinnen.

        Die sicheren Arbeitsplätze, die der femizentrische Staat in den letzten Jahrzehnten steuerfinanziert im ÖD für solche eigentlich nicht wertschöpfenden FachabsolventInnen geschaffen hat – Kostgängerarbeitsplätze in der Bürokratie, lebend von der Ausbeutung der Steuerzahler – sind angesichts der horrenden Verschuldung, der leeren öffentlichen Kassen, kaum noch haltbar, geschweige denn ausbaubar, um all die AbsolventInnen, die ihre Studienkredite zucükzahlen müssen, aufzunehmen und zu versorgen.

        MÄnner werden dafür wieder zur Kasse gebeten, werden als Steuerzahler die armen, in diese Fächer vom Patriarchat abgedrägnten Opfer, die als Frauen für ihr Handlen keine Verantwortung übernehmen müssen, auslösen müssen.

        Dafür wird eine femizentrische Legislatur schon sorgen und eine entsprechende Soziologie wird uns erzählen, wie nötig und sinnvoll das ist, multiplierziert von einer ideologisch nahestehenden Journaille.

        Es gibt in der Medizin einen einfachen Grundsatz: „Wer heilt, hat Recht!“

        Welche zentrale gesellschaftliche „Krankehit“ wurde je von Soziologen geheilt?

        Wo sind die erfolgreichen Diagnosen, die zu erfolgreichen Therapien geführt hätten?

        Natürlich geht es auch um Pfründe.

        Das seit 40 Jahren dominierende linke Paradigma sieht sich durch die „Biologisten“ bedroht, fürchtet das Ohr der Öffentlichkeit, der Politik, zu verlieren.

        Das bedeutet, weniger Einfluss, weniger Geld, weniger Stellen.

        Dieser abgehobene Sumpf, dieses Hochmoor, lebt wie Gender Studies von der Geduld der Ochsen, die den Karren ziehen, wird bewässert mit den Zwangsabgaben derer, die wertschöfpend arbeiten – meistens Männer.

      • @Alexander

        Du schreibst:

        Dieser abgehobene Sumpf, dieses Hochmoor, lebt wie Gender Studies von der Geduld der Ochsen, die den Karren ziehen, wird bewässert mit den Zwangsabgaben derer, die wertschöfpend arbeiten – meistens Männer

        Kommentar:

        😀 😀 😀

    • „Ich teile hier Dawkins Wahrnehmung voll und ganz und halte z.B. Soziologie, die nicht Soziobiologie einschließt, für irrelevant, ohne Erklärungsmacht.“
      Die Soziologie ist keine Geisteswissenschaft und sie hat elegante empirische Untersuchungen hervorgebracht, von denen man heute noch lernen kann.
      Aber da du sie dafür hältst, stelle ich doch direkt die Frage, welches Akteursbild die Soziologie pflegt. Vorsicht, das ist eine Fangfrage, die einfache Antwort ist nicht die richtige Antwort. Was ist an diesem Akteursbild falsch?

      • @haselnuss

        „sie hat elegante empirische Untersuchungen hervorgebracht, von denen man heute noch lernen kann.“

        Die Untersuchungen bleiben ja auch erhalten. Man muss sie eben nur mit der Biologie, Medizin und den Evolutionären Ansätzen angleichen.

        Vieles wird auch nur leicht modifiziert werden müssen. Aus „Menschen sind aus sozialen Gründen so und so“ wird dann eben „Menschen haben eine biologische Tendenz so und so zu sein, die man kulturell wie folgt ausbremsen oder verstärken kann (oder auch nicht)“.

        Das wird die Gesellschaftstheorien natürlich durcheinander wirbeln und einige Theorien auch aushebeln, aber es wird auch für ein klareres Bild sorgen

      • „Mit Verlaub, du weißt nicht, wovon du redest.“

        Sowas Ähnliches wollte ich auch gerade sagen. Unsere geschätzten soziologiekritischen Mitkommentatoren haben von Soziologie soviel Ahnung wie der durchschnittliche Poststrukturalist von Biologie – nämlich gar keine.

      • „“Menschen haben eine biologische Tendenz so und so zu sein, die man kulturell wie folgt ausbremsen oder verstärken kann (oder auch nicht)”.“

        Ich glaube Menschen sind zu komplex um sie auf „eine“ biologische Tendenz runterbrechen zu können.

        Man muss bei „Begründungen aus Sicht der Evolution“ auch immer aufpassen, dass nicht die „mögliche Deutung“ zur „Begründung“ von Beobachtungen wird.
        Oder Korreltationen mit Kausalität verwechseln.
        Oder „vereinfachte Modelle“ und „reduziert bearbeitete Probleme“ für „die volle und ganze Realität“ gehalten werden.
        (Wie z.B. wenn man glaubt, Soziologen würden die Welt einzig und alleine mit Soziologie erklären wollen. Das passiert anscheinend Soziologen selbst, als auch Menschen, die glauben dass alle/die meisten Soziologen in sich geschlossen das tun)

        (Aber es ist „menschlich“, der Mensch ist nicht perfekt sondern fehlerhaft. Könnte sich auch wieder aus Sicht der Evolution nachvollziehen lassen, schließlich führt gesteigerte Intelligenz in gewissen Bereichen nicht zwangsläufig zu besseren Fortpflanzungschancen, was es schwer macht, flächendeckend „hohe“ Intelligenz beim Menschen zu finden. Intelligenz hat nur bis zu dem Punkt „Überlebenschancen“ wie es das eigene Überleben fordert. Ob dabei „umfassende Wahrheit“ entsteht ist egal, sie bietet isoliert keinen Überlebensvorteil.)

      • Ihr bedürftet diesen Sechschritts:
        1. Welche Bereiche der Soziologie gibt es?
        2. Wie sehen die vorherrschenden Theorien darin aus?
        3. Wie gut sind die Erklärungsleistungen dieser Theorien?
        4. Ergänzen sie sich, stehen sie sich ausschließend gegenüber?
        5. Gibt es Modifikationen, die die Erklärungsleistungen dieser Theorien erhöhen können?
        6. Wird die Erklärungsleistung besser, wenn man die Evolutionsbiologie- und/oder psychologie einbezieht?
        7. Rechtfertigt die zusätzliche Erklärungsleistung die Komplexitätssteigerung?

        • @Haselnuss

          „3. Wie gut sind die Erklärungsleistungen dieser Theorien?“

          Sie wird aus der Sicht der Biologie/medizin meist „unterkomplex“ sein. Weil man bei den Erklärungen (zumindest im Geschlechterbereich) meist wird anführen können: Und was ist mit der Wirkung von Testosteron/Östrogen? Was ist mit all den Sondergruppen wie CAH etc, die in diese Theorie nicht eingebaut sind?

          „6. Wird die Erklärungsleistung besser, wenn man die Evolutionsbiologie- und/oder psychologie einbezieht?“

          Aufgrund der obigen Punkte wird sie es im Geschlechterbereich meist sein.

          „7. Rechtfertigt die zusätzliche Erklärungsleistung die Komplexitätssteigerung?““

          Vielleicht wird sie ja noch nicht einmal komplexer. Wenn man zB die Patriarchatstheorien nimmt, dann ist es überaus komplex ein solches Modell schlüssig darzulegen. Mit biologischen Erklärungen kann man dies wesentlich besser umsetzen und anhand bestimmter Grundsätze eine bessere Erklärungsleistung bringen

      • .@ Haselnuss

        Du irrst, Haselnuss. Wir bedürfen dieses Sechsschrittes nicht.

        Es ist Aufgabe der Soziologen, ihre wichtigen Erkenntnisse, wenn sie denn welche haben, dem tumben Laienvolk in einer Sprache zu vermitteln, die verstanden wird, sie herunterzubrechen auf den Kenntnisstand der Laien, wie das jeder Arzt analog tagtäglich gegenüber seinen Patienten leisten muss.

        Was sich an Soziologen öffentlich produziert, ist für die Tonne, linke Ideologen auf der Suche nach einer Realität, die zu ihren abstrusen Theorien passt – uninteressant und grotesk weltfremd.

        Diesen Augiasstall auszumisten und eine Soziologie zu präsentiern , die verstanden wird, die nachvollziebare Antworten auf die drängenden Probleme gibt, realistische Politikberatung leistet – das zu leisten ist Aufgabe der Soziologen.

        Sie sind für ihr Fach zuallererst verantwortlich, für seine Öffentlichkeitswirkung.

        Weshalb ich auch nicht für Fragespielchen zur Verfügung stehe.

        Ich kann soziologische Antworten nicht geben, kann nur feststellen, dass mich die gegebenen nicht überzeugen, weil sie die Natur des Menschen verkennen, grotesk unrealistisch sind.

      • Deine Haltung ist also: Wenn ich [Roslin] etwas kritisiere, muss ich keine Ahnung davon haben, unterstelle jedoch selbstverständlich tausend Dinge, die die Soziologen gefälligst ändern müssen und die nach meiner [Roslins] gefühlten Meinung nach dort etwas verbessern.

        Kindisch ist für diese Haltung noch ein netter Ausdruck.

      • @Alexander

        Ich habe mich gestern ein bisschen eingelesen in die folgende Arbeit:

        Die Mission der Evolutionspsychologie – Risiken und Nebenwirkungen einer evolutionspsychologischen Metatheorie

        Klicke, um auf 2010-08-26_0406876.pdf zuzugreifen

        Wurde von einem Psychologen geschrieben. Muss sagen, dass ich die evolutionspsychologischen Begrifflichkeiten auch nicht einfach zum Vornherein verstehe: Soll heissen, ich muss bei vielen Begrifflichkeiten auch immer wieder genau im Netz nachschauen, was das nun genau heisst. So wird es Dir in vielen Wissenschaften gehen: Bei der Medizin, Biologie, Soziologie, Psychologie, Mathematik, Sprachwissenschaft, Linguistik, Chemie, Physik etc.

      • Das Hauptproblem mit Christians Soziologieverständnis ist, dass die Gender Studies für ihn das Modell darstellen, nachdem er die gesamte Soziologie in all ihren verschiedenen Theorien und Bereichen beurteilt.
        Die nicht offen ausgesprochene, aber stets unterschwellig präsente Definition von Soziologie, die dahinter steht, lautet: Soziologie ist eine Diszilpin, die jegliches soziale Verhalten des Menschen ausschließlich durch soziale Einflüsse zu erklären versucht. Man halte sich im Hinterkopf, dass es das ist, was Christian meint, wenn er von Soziologie spricht.

        Der gesamte riesige Bereich der Erforschung und Beschreibung der funktionalen Abläufe und Strukturen verschiedener Organisationsformen, gesellschaftlicher Teilsysteme und der Gesellschaft als Ganzes fällt bei dieser Betrachtung schonmal unter den Tisch.

        Wenn ich z.B. eine organisationssoziologische Analyse der Basiselemente von Organisationen vornehmen will, bei der ich verschiedene Organisationen im Hinblick auf Elemente wie Mitglieder/Beteiligte (Organisationsgrenzen), räumlich-sachliche Ausstattung, Organisationsziele, formale und informelle Organisationsstruktur und Organisationsumwelt analysieren will, dann brauche ich hierfür, um zu korrekten Ergebnissen zu gelangen, nun einmal keine Grundkenntnisse in Evolutionärer Psychologie, sondern Grundkenntnisse in Organisationssoziologie.

        Und so ähnlich ist es in vielen Bereichen der Soziologie: Die Evolutionäre Psychologie wird oftmals nicht benötigt, um zu korrekten Ergebnissen zu kommen. Punkt.

        Das ist in den Gender Studies anders: Dort braucht man soziologische UND biologische Grundkenntnisse.

        D.h., es hängt von der jeweiligen Forschungsfrage ab, ob eine Einbeziehung evolutionär-psychologischer Befunde sinnvoll ist oder nicht. Das muss vom Einzelfall her entschieden werden, man kann nicht einfach pauschal sagen, die Soziologie müsse immer Soziobiologie sein, sonst wäre sie unwissenschaftlich.

        Des Weiteren liegen verschiedenen soziologischen Schulen selbstverständlich auch verschiedene Menschenbilder zugrunde: Ein Rational-Choice-Soziologe hat z.B. in der Regel ein anderes Menschenbild als ein Vertreter der kritischen Theorie.
        Es gibt also kein einheitliches soziologisches Menschenbild, mit dem man ein einheitliches Menschenbild der biologischen Wissenschaften vergleichen könnte, vielmehr gibt es sowohl in den biologischen Wissenschaften wie in der Soziologie MEHRERE konkurrierende Menschenbilder. Auch das Menschenbild der Evolutionären Psychologie unterscheidet sich von dem der Humanethologie in der Tradition von Lorenz und beide unterscheiden sich wiederum von dem Menschenbild von Kooperationsforschern wie dem von mir geschätzten Neurobiologen Joachim Bauer. Und selbst innerhalb der Evolutionären Psychologie gibt es Unterschiede in den Menschenbildern (man vergleiche z.B. Hrdy und Buss zu Geschlechtsunterschieden).

        Und zu guter Letzt wiederhole ich das, was ich schon mehrfach betont habe: Die Evolutionäre Psychologie benötigt grundlegende Kenntnisse von Forschungsbefunden und Theorien der Soziologie, Geschichtswissenschaft und Ethnologie um ihr(e) Menschenbild(er) überhaupt mit der sozialen Wirklichkeit abgleichen zu können.

        Ein Hauptvorwurf an die Evolutionäre Psychologie von Seiten der Soziologie, Ethnologie und Geschichtswissenschaft lautet ja bekanntlich, dass die Evolutionäre Psychologie eine Tendenz besäße, ihr Menschenbild zu einseitig aus den modernen westlichen Gesellschaft der Gegenwart abzuleiten und davon abweichende Befunde, die andere Zeiten und Kulturen betreffen, oft ignorieren würde.

        • @Leszek

          „Das Hauptproblem mit Christians Soziologieverständnis ist, dass die Gender Studies für ihn das Modell darstellen, nachdem er die gesamte Soziologie in all ihren verschiedenen Theorien und Bereichen beurteilt.“

          Mein Thema ist insbesondere der Geschlechterunterschied, in dem ich neben den „biologischen Theorien“ hauptsächlich die feministischen Theorien wahrnehme, die in der Hauptauffassung poststrukturalistische Theorien sind. Das mag zu meiner Wahrnehmung beitragen.

          Welche Theorien gibt es denn außerhalb der Gender Studies zu den Geschlechtern in der Soziologie?

          Gerade in dem Geschlechterbereich ist meiner Meinung nach eine Theoriebildung zu den Ursachen von Unterschieden oder deren Fehlen ohne fundierte Biologiekenntnisse nicht möglich. Das mag in anderen Bereichen anders sein oder dort mag der Anknüpfungspunkt unwichtiger sein, aber in diesem Bereich ist zuviel Forschung vorhanden, die auf deutliche Unterschiede im Schnitt und auch gerade in den für Berufswahl etc interessanten oberen Fertigkeitsbereichen (also etwa gute Sprachfähigkeiten bei Frauen und gutes räumliches Denken bei Männern) hinweisen.

        • @leszek

          Dazu noch:

          „Der gesamte riesige Bereich der Erforschung und Beschreibung der funktionalen Abläufe und Strukturen verschiedener Organisationsformen, gesellschaftlicher Teilsysteme und der Gesellschaft als Ganzes fällt bei dieser Betrachtung schonmal unter den Tisch.“

          Ich sehe nicht, warum man bei der Einbeziehung evolutionärer und biologisch/medizinischer (Letztes würde schon sehr viel bringen selbst wenn man die Evolution mal außen vor läßt) bestimmte Funktionsabläufe nicht mehr verwerten kann.

          Wenn ich zB einen stärkeren Sexualtrieb des Mannes aufgrund Testosteron habe (was wissenschaftlich aus Sicht der Medizin nicht mehr umstritten ist), dann kann ich natürlich bezüglich der zur Umsetzung gewählten Verhaltensweisen soziologisch forschen.
          Natürlich sollte man da auch wieder aufpassen, was es sonst noch an Fakten gibt. Beispielsweise können fest verdrahtete Attraktivitätsmerkmale bei Frauen dann wieder beeinflussen welche Werbemittel von den Männern häufiger verwendet werden, weil sie dann eben diese bedienen müssen.

      • @haselnuss:
        Du hast aber mal eben das Grundproblem aller Soziologie vergessen: Dass DU die eigenen Handlungen selbst als Bestandteil soziologischer Überlegungen erklären mußt, sonst wäre es ja nicht soziologisch.

        Habermas ist hier eine zwar verschwurbelter aber scharfsinniger Gewährsmann.

      • @ Chomsky

        Ich bezeifle die Neutralität dieser Auseinandersetzung mit Evo-Psych, zumindest des Bemühens darum (espare mir also bitte den Hinweis darauf, dass es wahre Neutralität nicht geben könne, Modellvorstellungen unterkomplex seien usw.. Das trifft immer zu, ist darum banal).

        Warum?

        Nicht nur der etwas miesepetrige Tonfall auf den ersten 10 Seiten (mehr habe ich bisher noch nicht gelesen) lässt mich vermuten, dass hier das in den Sozial-und _Geisteswissenschaften seit den 68’ern tonangebende linke, soziokulturalistische Denken ein weiteres Rückzugsgefecht zu schlagen gedenkt, nein, auch der Eckstein der Kritik an Evo-Psych wird ja dankenswerter weise gleich benannt: Der Phiolosoph/!) David Buller.

        Zu Buller nur so viel, muss gleich los.

        Klicke, um auf ep03392401.pdf zuzugreifen

      • @Dummerjan:
        Ich bin kein Soziologie, sondern argumentiere von einem rein wissenschaftstheoretisch vorgebildeten Standpunkt aus. Die Fragen ergeben sich für mich analytisch, wenn man die Kritik „rückwärts“ denkt.

        Habermas wird mE überschätzt.

      • @ Chomsky

        Auch das noch zu Buller

        Klicke, um auf ep042622732.pdf zuzugreifen

        Er gehört zu den Modewissenschaftlern, die die Vorlieben und Vorurteile eines links geprägten Zeitgeistes bedienen, wie einst Gould oder heute Butler und eben Buller oder Cordelia Fine, der via Journaille die Massenmedien beherrscht und darum dort abgefeiert wird, sicher, dass ein so vorinformiertes Laienpublikum nicht weiter nachfragen wird.

        So glaubte man Soziobiologie erledigen zu können, die aber wiederkommt, da die Fragen nach wie vor nicht erledigt sind und eine Soziologie ohne Biologie darauf keine überzeugenden Antworten zu geben vermag.

        Dagegen, @ Haselnuss, hilft auch Arroganz nicht. Soziologen sind in der Bringschuld. Arroganz dokumentiert nur Hilflosigkeit.

      • @ Alexander

        „Was sich an Soziologen öffentlich produziert, ist für
        die Tonne, linke Ideologen auf der Suche nach einer
        Realität, die zu ihren abstrusen Theorien passt –
        uninteressant und grotesk weltfremd.“

        In der Praxis hat uns der ganze Schwachsinn zu
        Gesetzen und einer Gerichtspraxis geführt, die
        nicht zu Letzt von geschiedenen Vätern und
        ihren Kindern ausgebadet wird.

        „Diesen Augiasstall auszumisten und eine
        Soziologie zu präsentiern , die verstanden
        wird, die nachvollziebare Antworten auf
        die drängenden Probleme gibt, realistische
        Politikberatung leistet – das zu leisten
        ist Aufgabe der Soziologen.“

        Einzig durch rigoroses Zudrehen des
        Geldhahns wird es möglich sein, diesen
        Giftpool trocken zu legen.
        Wirtschaftlicher Absturz könnte da helfen.
        In USA hat die Ausbildungsblase schon
        dazu geführt dass Zehntausende mit
        einem PhD Essensmarken beziehen oder
        in Teilzeit Burger flippen.

      • „Dagegen, @ Haselnuss, hilft auch Arroganz nicht. Soziologen sind in der Bringschuld. Arroganz dokumentiert nur Hilflosigkeit.“
        Möglicherweise bin ich arrogant, sicher bist du komplett uninformiert und so arrogant, zu glauben, dass du das nicht änder musst, nichts über den Gegenstand deiner Kritik wissen musst, nicht kompetent werden musst und du trotzdem Wissensgold scheißt.

    • @Roslin

      Soziologie unterliegt noch mehr als evolutionäre Psychologie dem Risiko der „Just so“ Story. Zum einen, weil einfach Fakten ausgeblendet werden, zum anderen weil es noch nicht einmal einengende Regeln gibt, wie in der Evolutionären Betrachtung, anhand derer man das Ergebnis auf Stimmigkeit hin überprüfen kann.

      Deswegen kann eine Erklärung wie „das Patriarchat ist schuld“ dort wesentlich besser greifen.

      „Die Vorstellung, Evolution forme den Menschen nur bis Höhe Kehlkopf und darüber beginne das Reich des Geistes, für das die “Darwinsche” Evolution bedeutungslos sei – na, da kann ich nur abwinken, hoffnungslos ignorant und verblasen scheint mir das.“

      Ich verstehe auch nicht, warum so viele Menschen beim Geist halt machen. Vielleicht die alte Vorstellung der Seele, vielleicht auch einfach das Unbehagen, dass man selbst und seine Mitmenschen seiner Biologie unterliegt?

    • Dass die meisten Feministinnen und viele feministisch geprägte Frauen die Biologie verteufeln, ist in der Tat einer der zentralen Eigenschaften ihrer Ideologie.

      Es hat in der Tat in der Geschichte viel Missbrauch der Biologie gegeben (bes. im Nationalsozialismus, überhaupt Sozialdarwinismus) und gibt ihn heute noch (Sarrazin). Meist wird dabei die biologische Wahrheit anders gesehen, als sie in Wirklichkeit ist. Sehr selektiv, und das dann total überhöht.

      Die Nazis beispielsweise haben geglaubt, dass Mörder sein (Es hieß damals oft „Mörder wird man nicht, Mörder ist man.“), Alkoholiker sein, Asozial sein usw. Eigenschaften sind, die sich genauso oder vergleichbar weitervererben wie sagen wir die Blutgruppen. (Die haben damals in Stammbäume wirklich „Alkoholiker“, „Asozialer“ u. ä. so eingezeichnet wie man es heute mit dem Geschlecht und mit wirklich genetisch bedingten Eigenschaften wie z. B. den Blutgruppen oder Erbkrankheiten macht.)

      Dem ist natürlich nicht so. Was die Nazis vertraten, war wirklich echter Determinismus, sogar besonders platter und menschenverachtender.

      Heutzutage gibt es die Feministinnen und z. B. Soziologen u. ä., die ich nicht mit Nazis vergleichen will, die aber im Verhältnis zur Biologie in einer Hinsicht das exakte Gegenteil von den Nazis sind, besser: das Gegenextrem.

      Bei denen nämlich ist GAR NICHTS biologisch bedingt und GAR NICHTS genetisch determiniert. Oder sowenig wie möglich.

      Wenn jemand z. B. die biologischen Anteile am geschlechtsspezifischen Verhalten überhaupt benennt, ist er ein böser „Determinist“ für diese Leute.

      Man könnte es als „Anti-Determinismus“ bezeichnen, der aus meiner Sicht eine eigene Ideologie ist.

    • @Roslin

      „Ich kann nicht erkennen, wo Geisteswissenschaftler wesentlich bedenken, wie sehr die Biologie des Säugetieres Mensch die von ihm geschaffene Kultur bestimmen könnte.“

      „Weshalb mich die zeitgenössische Philosophie nicht interessiert. Ich kann nichts aus ihr lernen, was für mich relevante Fragen beantwortete.“

      „Für mich ist die zeitgenössische Geisteswissenschaft in weiten Teilen dekadent bis zur Überflüssigkeit.“

      Ich glaube Aristoteles hat schon irgendwo festgestellt, dass es sehr schwierig ist über Dinge adäquate Urteile zu fällen, mit denen man nicht hinreichend vertraut ist. Es ist völlig legitim sich mit etwas nicht zu beschäftigen, dessen Inhalte irrelevant sind. Allerdings bin ich selbst schon oft auf das falsche Urteil verfallen bestimmte Sachen für irrelevant zu halten, weil ich sie nicht kannte. Was ich allerdings nicht für legitim halte ist einerseits zu behaupten das bestimmte Sachen anderer Leute für einen selbst irrelevant sind, dann aber zu behaupten, dass das eigene Denken für die anderen relevant sein sollte. Wieso sollte es das sein? Dazu müsste ich ja erst die Fragestellung der anderen Leute verstanden haben und ihr Denken hinreichend kennen, um ihnen erklären zu können, warum das, was mich interessiert eigentlich beide interessieren müsste. Alles andere ist nichts weiter als eine Art autoritäre Arroganz, seinen eigenen Standpunkt aus m.E. sehr irrationalen Überlegenheitsgefühlen für besser zu halten als den aller anderen.

      Ich teile hier Dawkins Wahrnehmung voll und ganz und halte z.B. Soziologie, die nicht Soziobiologie einschließt, für irrelevant, ohne Erklärungsmacht.

      Wie aus anderen Debatten ja in meinem Fall schon hervorgegangen sein sollte: Ich halte die Soziobiologie ihrerseits für unterkomplex, weil sie ein Muster von Erklärung anbietet, was ich selbst für die Biologie für unzureichend erachte. Die Soziologie würde dort nichts gewinnen, sondern sich nur eine für ihr Erkenntnisinteresse unnütze Ideologie ins Boot holen. Es kann sicher nichts schaden das zu kennen, aber meine Skepsis über den wissenschaftlichen Wert des soziobiologischen Forschungsprogramms – und das heißt: Den naturwissenschaftlich-explanatorischen Wert – ist sehr groß.

      • @ Its me

        Diese Arroganz der Naturwissenschaftler ist leicht erklärbar.

        Ärzte haben die Welt massiv verändert, häufig zum Besseren, Ingenieure/Physiker/Biologen/Chemiker haben die Welt massiv verändert, häufig zum Positiven.

        All diese Disziplinen haben in den letzten Jahrzehnten einen praktisch wirksam werden Wissensfortschritt erlebt.

        Im Vergleich dazu sind die geisteswissenschaftlichen Fortschritt in Philosophie, Soziologie etc. sehr bescheiden.

        Von ihrem positiv-weltverändernden Nutzen ganz zu schweigen.

        Insofern neigen Naturwissenschaftler/Mediziner zu der arroganten Haltung: „Gar nicht erst ignorieren!“

        Vom Tisch wischen und weiter geht’s. Stört unsere Kreise nicht.

        Wenn ihr etwas könnt, BEWEIST ES.

        Wie gesagt: Wer heilt, hat Recht.

      • @Roslin

        Im Vergleich dazu sind die geisteswissenschaftlichen Fortschritt in Philosophie, Soziologie etc. sehr bescheiden.

        Ach wirklich? Schon einmal das Grundgesetz Art. 1 gelesen? Ich meine wirklich, dass solche Blindheit doch bemerkenswert ist. Ich persönlich bin eigentlich jemand, der sehr technikfreundlich ist. Ich bin dafür, dass wir mehr Geld in die Erforschung von Kernfusion stecken beispielsweise und ich halte wenig von den vielen Ökoideologien unserer Tage, die sich vor allem um den „Fußabdruck“ sorgen, den der Mensch hinterlässt. Nur muss ich einfach feststellen, dass solche Aussagen entweder einfach einen Mangel an Bildung darstellen, oder einen schlagenden Beweis von Heideggers alter Provokation: Die Wissenschaft denkt nicht.

        Mir ist das persönlich mal sehr deutlich aufgefallen an der Frage, wie Naturwissenschaftler oftmals unfähig sind, die ethische Dimension ihrer Arbeit zu sehen.

        Wie gesagt: Wer heilt, hat Recht.

        Klingt interessant. Ich bin aber nicht der Auffassung, dass das stimmt. Weil der Krankheitsbegriff nämlich ein normativer Begriff ist. Der Begriff der Krankheit in der Psychiatrie zeigt das sehr deutlich, dass das was Heilung ist und was nicht, abhängig ist, von den Normen einer Gesellschaft.

        Interessant ist auch, dass mich diese Rationalität sehr an den politischen Totalitarismus erinnert. Wer heilt hat Recht ist auch ein Muster der Legitimation, das vielfach benutzt wurde, um die Verbrechen Stalins als notwendige Leiden auf dem Weg zu einer Welt, die frei ist von sozialem Übel, darzustellen. Überhaupt muss man daher sich die Frage stellen, wie sehr die Ausweitung dieser utilitaristischen Rationalität auf Fragen der Gesellschaft ein Modell darstellt, das wünschenswert ist. Wer entscheidet nämlich über das Kriterium des Nutzens?

        Wenn die Ausweitung dieser Rationalität aber ethisch fragwürdig ist, dann kann der Fortschritt in den Bereichen, die sich mit der Reflexion auf das Kriterium des Nutzens verstehen offenbar nicht nach dem Modell des Arztes verstanden werden. Was allerdings eine Einsicht ist, die man, das muss ich so arrogant einmal bemerken, schon bei Platon findet. Die Heilkunst ist eben eine Techné, die ermöglicht, dass Prozesswissen sie verbessert. Die Tugend ist aber keine Techné, sie kann nicht durch Prozesswissen hergestellt werden. Und der Grund ist leicht gefunden: Die Art des Wissens ist eine ganz andere.

      • @ Itsme

        *Ach wirklich? Schon einmal das Grundgesetz Art. 1 gelesen? Ich meine wirklich, dass solche Blindheit doch bemerkenswert ist. *

        Was, Itsme, wird vom Art. 1 noch übrig bleiben, wenn die materiellen Grundlagen seiner Gültigkeit (Wohlstand!) wegbrechen?

        Wenn große Seuchen diese Gesellschaft verwüsteten?

        Wenn hier wieder Bedingungen Einzug halten, die den Menschen vor die Wahl stellen: „Stirb Du heute, ich erst morgen“?

        Die Gültigkeit des Grundgesetzes wird nicht von irgendwelchen Erkenntnisfortschritten abgesichert, nicht von irgendwelchen Denkfortschritten, erreicht durch Philosophen/Ethiker, die wir seit dem Neuen Testament gemacht hätten, sondern allein vom Erfolg derer, die die materiellen Grundlagen sichern, die die Bedingungen der Möglichkeit seiner Umsetzung in Realität
        darstellen.

        Das sind nicht Philosophen, das sind nicht Soziologen.

        *Weil der Krankheitsbegriff nämlich ein normativer Begriff ist. Der Begriff der Krankheit in der Psychiatrie zeigt das sehr deutlich, dass das was Heilung ist und was nicht, abhängig ist, von den Normen einer Gesellschaft.*

        Krank ist, wer leidet.

        Das Individuum weiß in der Regel sehr genau, ob es leidet.

        Es gibt seltene ausnahmefälle, gerade bei Geisteskrankheiten, bei denen nicht der Betroffene leidet, er aber seine Mitmenschen leiden lässt.

        Das Leiden des Kranken ist nicht durch Änderung von irgendwelchen Normen zu beenden, zu erleichtern. Es hilft ihm nicht, wenn ich seinen Leidenszustand zur Gesundheit umnormiere.

        *Wer entscheidet nämlich über das Kriterium des Nutzens?*

        Das Individuum.

        Das leidende oder nicht leidende Individuum.

        Das MEHR oder WENIGER leidende Individuum.

        Das kann man befragen.

        Das kann man wählen lassen und so testen, ob Leiden gesamtgesellschaftlich minimiert wurde oder nicht.

        Stalin hat z.B. nicht „geheilt“, hat Leiden nicht minimiert, sondern maximiert.

        Gut, wahrscheinlich nicht sein eigenes.

        Er hat sich selbst verwirklicht.

        Und es fällt mir offen gestanden schwer, Heideggers Provokation als solche zu empfinden, die „Provokation“ eines Mannes, dessen Denken und Erkennen ihn nicht davor bewahrte, sich den Nazis anzudienen, das Führerprinzip der Deutschen Universität als
        erneuerndes anzuempfehlen und sich gleich noch selbst als Führer der deutschen Academia anzudienen.

  4. @Chomsky

    Wenn ein Phänomen richtig – d.h. möglichst objektiv – verstanden wurde, sollten doch alle (deine) „Geschichten“ bzw Perspektiven zu den gleichen Ergebnissen kommen?

    „Unterkomplexität“ ist doch in so fern erst mal kein Problem, solange die anderen Perspektiven nicht zu Unterschiedlichen Aussagen führen. Wenn dem nicht so ist, liegt in der „Erzählung“ irgend einer Perspektive ein Fehler vor. Selbstverständlich kann selbst beim Vorliegen einer Inkonsistenz die Phylogenese, eine der mit der Realität konsistenten Geschichten erzählen.

    Ich verstehe dein Problem da eigentlich nicht, man kann sicher auch noch mehr Perspektiven benutzen – das ist nur bei einem Blog der „Alles Evolution“ heißt nicht unbedingt zu erwarten, oder?

    • @Eike

      Unterkomplexität heisst: Für ein Phänomen wie Aggression (ein Kind schlägt ein anderes Kind) wird nur eine Perspektive (z.B. Evolutionspsychologie) herangezogen und versucht, nur mit dieser Perspektive dieses Phänomen zu erklären; was hier auf diesem Blog sehr häufig geschieht.

      Aber es ist richtig: Wenn ein solches Phänomen einzig und alleine aus der evolutionspsychologischen Perspektive ursächlich erklärt werden kann, dann braucht es keine sozialwissenschaftliche Perspektive mehr. Nur würde ich eben die Behauptung aufstellen, dort wo es um Handlungen, Denken, Emotionen, Verhalten, Interaktionen, Institutionen, Gruppen, Organisationen, Ökonomie, Politik etc. geht, wird wohl eine alleinige Perspektive, z.B. die Evolutionspsychologie, nicht dazu ausreichen, um alle unabhängigen Variablen zu identifizieren, die die abhängige Variable determiniert. Die objektive Erklärung eines Phänomens wird sich dann eben erst interdisziplinär herstellen lassen.

      Vielfach ist also der Alleingültigkeitsanspruch einer Disziplin, ein Phänomen zu erklären, vielfach unterkomplex, was eben dann nicht zu einer objektiven Wahrheit führen kann.

      • @Chomsky: Unterkomplexität erscheint mir als neues Modewort für die Unfähigkeit testbare Modelle der Welt zu einer Fragestellung (THeorie wenn man so will) zu liefern.
        Denn mit diesem Schlagwort hebelt man Occams Rasiermesser aus.
        Liefert man z.B. als Erklärung für die Unterrepräsentanz von Frauen in der Wissenschaft die Erklärung dass die Varianz der Intelligenz bei Männern eben größer ist, wäre das nach Occams Rsiermesser eine bessere Theorie als die Erklärung durch ein Patriarchat, da ersteres vergleichsweise weniger Voraussetzungen zur Erklärung benötigt als die Patriarchatstheorie.
        Hinzu kommt, das jede wissenschaftliche Erklärung von einiger Relevanz durch die Methode des „wissenschaftlichen Modells“ immmer weniger komplex ist als die Wirklichkeit. Wie trivial!
        Wer eine Landkarte der Größe 1:1 hat, brauch keine Landkarte mehr.

      • @Dummerjan

        Und trotzdem sind einige Modelle unterkomplex. Occams Rasiermesser wird ja heute gern als ein Modewort verwendet. Eigentlich ist das Problem sehr simpel. Nach dem landläufigen Verständnis von Occams Rasiermesser besagt der in etwa: Man soll nur so viele Existenzannahmen in seine Theorie einführen, wie notwendig sind, um das Phänomen, für das man sich interessiert, zu erklären. Dabei sind aber zwei Elemente wichtig: Notwendigkeit und Interesse. Es kommt darauf an, wofür ich mich interessiere und was dafür notwendig ist. Wenn ich nämlich weniger Existenzannahmen in meinem Modell habe, dann ist es unterkomplex.

        In sofern sehe ich das Problem irgendwie nicht. Abgesehen davon hat Chomsky meiner Ansicht nach völlig Recht. Die Evolutionäre Psychologie ist total unterkomplex. Und ich teile auch seine interdisziplinäre Vorstellung.

        Darüber hinaus: Die „Patriarchatstheorie“ gibt es nicht. Es handelt sich dabei gar nicht um eine Theorie, die Vorhersagen liefern würde, sondern um ein ideologisches Schlagwort, das die Funktion hat innerhalb einer Ideologie eine soziale Kohärenz zu schaffen und ein Feindbild zu entwerfen. Ich wüsste nicht, dass hier irgendjemand ein großer Sympathisant der Annahme ist, dass es ein „Patriarchat“ gibt.

        • @itsme

          „Die Evolutionäre Psychologie ist total unterkomplex.“

          Selbst wenn man das meinen würde: In den Geschlechtertheorien wird – ich sagte es wiederholt – ja nicht nur die Evolutionäre Psychologie missachtet.

          Sondern auch und gerade schlichte Medizin. Die Forschung zu pränatalen Testostern wäre die eine Seite. Eine Auseinandersetzung damit müsste aus meiner Sicht zwingend erfolgen.
          Die Sonderfälle wie CAH, CAIS, genetische Ursachen für Transsexualität etc wären der zweite Punkt, der dringend in soziale Theorien eingebaut werden muss.
          Und die Wirkung von Hormonen wäre ebenso schlüssig einzubauen wie etwa bei Testosteron, östrogen oder der Verstärkung/Abschwächung von Oxytocin.

          Wer eine stimmige Theorie entwickeln will, der muss diese Faktoren prüfen und seine Theorie mit ihnen abgleichen.
          Ich kenne keine aus dem Sozialwissenschaften stammende Theorie, die sich mit diesen Punkten, also nur denen aus der Medizin, ohne Berücksichtigung der Evolution, insgesamt auseinandersetzt. (und auch keine, die es heil überstehen würde, wenn sie es macht, Fine lässt aus gutem Grund eine Vielzahl von Sonderfällen und entsprechender Forschung weg)

          Nochmal:
          Bereits aus der puren Medizin ergeben sich erhebliche Widersprüche zu den Gendertheorien. Auch ohne Berücksichtigung eines evolutionären Ansatzes.

          Es wäre ein billiges Argument unter den biologischen Ansätzen nur die evolutionäre Psychologie zu verstehen und darauf abzustellen, dass diese zu unbewiesen ist als das man darauf eingehen müsste.

          Wie steht ihr dazu biologische/medizinische/genetische Forschung nicht zu berücksichtigen?

      • @Christian

        Sondern auch und gerade schlichte Medizin. Die Forschung zu pränatalen Testostern wäre die eine Seite.

        Dem würde ich zustimmen. Um zu erklären, warum sich Geschlechtlichkeit herausbildet, kommt man um die Medizin nicht herum. Allerdings ist das natürlich ein Erklärungsmuster auf der Ebene der Ontogenese, nicht, wie die Evolutionäre Psychologie, auf der Ebene der Phylogenese.

        Bereits aus der puren Medizin ergeben sich erhebliche Widersprüche zu den Gendertheorien.

        Möglicherweise ist das richtig. Allerdings habe ich ja auch nie für diese Theorien argumentiert. Es geht mir mehr um die Frage, ob die Soziologie allgemein einen großen Gewinn hätte, wenn sie sich stärker in die evolutionäre Psychologie/Soziobiologie einliest. Da ich bin sehr skeptisch.

        Wie steht ihr dazu biologische/medizinische/genetische Forschung nicht zu berücksichtigen?

        Solange man sich klar macht, dass man Sozialverhalten nicht schlicht auf Genetik reduzieren kann, kein Problem. Ich hatte ja schon einmal diese Sache mit den flexiblen Gennetzwerken hier verlinkt, die indeterministisch ein ganzes Spektrum von Verhaltensmöglichkeiten selbst bei einfachen Bakterien regulieren. Meine Hypothese wäre, dass es komplexe Interaktionen zwischen verschiedenen Regulationsmechanismen gibt, von denen die Gene nur einer sind. Das konkrete Verhalten eines Individuums allein durch seine Gennetzwerke zu erklären, scheint mir verfehlt.

        Das Problem ist allerdings, dass die Tendenz besteht, bestimmte Erklärungsmuster gegen andere auszuspielen. Das sieht man hier in der Diskussion leider auch immer wieder. Und da die Genetik, speziell in einer abgespeckt-deterministischen Version ein sehr simples Muster ist, eignet es sich gut, um zu Pseudoerklärungen zu kommen, die dann meistens eine ideologische Funktion erfüllen. Beispiel: Wenn Intelligenz genetisch determiniert ist, wozu sollte man ökonomische Ressourcen in die Bildung von Kindern mit bestimmten genetischen Anlagen investieren?

        • @itsme

          „Beispiel: Wenn Intelligenz genetisch determiniert ist, wozu sollte man ökonomische Ressourcen in die Bildung von Kindern mit bestimmten genetischen Anlagen investieren?“

          Das ist ein naturalistischer Fehlschluss bzw. verkennt die Unterscheidung zwischen Intelligenz und Bildung. So etwas rauszunehmen ist ja möglich.
          Im Gegenzug sind viele sehr gefährliche Fehlschlüsse auf der Soziologie aufbauend. Pinker schreibt da in „The Blank Slate“ einiges. Der Versuch Menschen gleich zu machen hat ja auch zu genug Elend geführt. Es sind einige Millionen Menschen genau deswegen gestorben, weil man dachte, man könne die biologischen Grundlagen ignorieren und Menschen beliebig umerziehen.

        • @itsme

          „Es geht mir mehr um die Frage, ob die Soziologie allgemein einen großen Gewinn hätte, wenn sie sich stärker in die evolutionäre Psychologie/Soziobiologie einliest. Da ich bin sehr skeptisch.“

          Es ist im Geschlechterbereich absolut unmöglich, das Verhalten der Geschlechter zu verstehen, wenn man sie nicht als evolutionäre Produkte begreift-.

          Weil hier einer der stärksten Selektionsmechanismen der Evolution, die sexuelle Selektion wirkt (intrasexuell und intersexuell).

          Sie hinterlässt zwangsläufig spuren. Es ist eine gegenseitige Zucht der Geschlechter, die man nicht wegdenken kann.

          Es ist ungefähr so als wolle man moderne Nahrungsmittelpflanzen „verstehen“, aber dabei den Menschen der sie gezüchtet hat ausblenden.

          Man muss sich auch vor Augen halten, was sexuelle Fortpflanzung bedeutet: Wer ein immerwährendes Patriarchat behauptet wie etwa Beauvoir, der muss sich vor Augen halten, dass das automatisch einen bestimmten Männertyp züchtet und einen bestimmten Frauentyp. Diese Theorien haben evolutionäre Auswirkungen.

          Wer meint, dass Frauen kulturell aufgrund der Gefahr einer Schwangerschaft vorsichtiger mit Sex waren als Männer, der muss bedenken, dass das Spuren hinterläßt.

          Wer meint, dass wir so gelebt haben, dass Vaterschaft egal war, der muss Bedenken, dass das Spuren hinterläßt. Es züchtet Männer ohne Bindung an die Frau.

          Wer meint, dass früher freie Liebe gelebt wurde, der züchtet andere Menschen als jemand, der meint, dass sie in Partnerbindung lebten

          Wer meint, dass die Menschen frei entscheiden können, was sie sexy finden oder wie sie leben, der muss bedenken, dass dann die jeweilige Kultur eine Zuchtwahl zu den kulturellen Schönheitsidealen bzw. den Lebensstil hin bewirkt. Wenn auf einer Insel breite Schultern bei Frauen sexy wären, dann würden dort Frauen breitere Schultern bekommen. Auf der Insel mit der freien Liebe und fehlenden Partnerverpflichtungen würden die Männer langfristig liebesunfähig werden.

          Um so freier wir sind, um so verschiedener muss der Mensch sein, gerade bei Inselpopulationen. Weil dann in verschiedene Richtungen gezüchtet wird.

          Die Geschlechter machen nur Sinn im Rahmen der Evolution. Eine Theorie, die sie ausblendet, wird niemals ein stimmiges Bild hervorbringen können.

      • Das ist ein naturalistischer Fehlschluss bzw. verkennt die Unterscheidung zwischen Intelligenz und Bildung. So etwas rauszunehmen ist ja möglich.

        Naja das hat wenig mit dem naturalistischen Fehlschluss zu tun würde ich sagen. Im Hintergrund steht allerdings die normative Annahme, knappe Ressourcen entsprechend gewinnbringend zu verteilen. Und wenn man dann die These aufstellt, dass bestimmter Ressourceneinsatz keine positiven Ergebnisse erzielen kann, weil die entsprechende Variable genetisch determiniert ist, dann sind wir genau bei dem Punkt wo eine Tatsachenbehauptung normative Bedeutung gewinnt.

        Dasselbe Argument lässt sich auch mit beliebigen anderen sozial relevanten Eigenschaften durchgehen, von daher ist die Frage was Intelligenz und Bildung heißt hier für das Argument irrelevant. Vielmehr handelt es sich um ein allgemeines ideologisches Argumentationsschema, das naturwissenschaftliche Pseudoerklärungen zum Zweck sozialer Interessendurchsetzung missbraucht. Im Prinzip ist das das, was zu Recht oft als „Naturalisierung“ sozialer Tatsachen beschrieben wurde. Ein bestimmtes soziales Faktum wird zurückgeführt durch eine unterkomplexe biologische Erklärung, wobei diese „Erklärung“ die ideologische Funktion hat, dass man sich sozial mit dem Faktum nicht mehr weiter befassen muss. Man hat damit bestimmte Probleme politisch-normativ neutralisiert, indem man Pseudoerklärungen generiert, die die Probleme als jenseits des Feldes möglicher Veränderung darstellen.

        Übrigens geht das natürlich auch umgekehrt, und wird ebenso auch praktiziert. Auch die theoretische „Denaturalisierung“ und die Darstellung von Tatsachen als veränderlich, die in Wirklichkeit gar nicht veränderlich sind, hat gravierende Konsequenzen. Das ist in der Tat das Problem mit großen Teilen des Feminismus.

        Dieses Problem der ideologischen Rolle von Wissenschaft ist glaube ich auch nicht zu lösen. Es gibt allerdings zwei gute Indikatoren, die man nehmen kann: 1) Wird die Komplexität heruntergespielt, dann sind meistens andere Interessen im Spiel als Erkenntnisinteressen; das können persönliche Eitelkeiten sein, oder ökonomische und politische Interessen. Aber wer sich für Erkenntnis interessiert, will, dass das Problem komplex ist, weil Komplexität interessant ist. 2) Werden alternative Ansätze prinzipiell ausgeschlossen? Passiert leider sehr oft in der Wissenschaft und ist ein ideologischer Mechanismus, um soziale Kohärenz zu garantieren und Komplexität zu reduzieren. Alternativen heißen dann schnell „unwissenschaftlich“ etc.. Passiert auch hier in der Debatte, sowohl von Seiten der eher naturalistischen Fraktion, als auch von der Gegenseite.

        Ich denke das sollte man möglichst ein wenig mitreflektieren um zu versuchen weder aus ideologischen Gründen die totale Veränderlichkeit von allem zu postulieren, noch die totale Starrheit menschlichen Verhaltens gerade im gegenwärtigen Verhalten verwirklicht zu sehen. Deswegen würde ich bei genetischen Erklärungen darauf bestehen: Keine genetische Erklärung ist jemals eine deterministische Erklärung für ein spezifisches Verhalten. Damit scheiden solche Behauptungen wie: „Person X verhält sich hier so und so wegen seiner genetischen Disposition“ als Pseudoerklärungen aus. Die genetische Disposition ist möglicherweise ein kausal relevanter Faktor, aber solche simplen Erklärungen haben die Tendenz dazu zu behaupten, er sei der einzige kausal relevante Faktor. Und das ist nahezu immer falsch.

      • @Christian

        Es ist im Geschlechterbereich absolut unmöglich, das Verhalten der Geschlechter zu verstehen, wenn man sie nicht als evolutionäre Produkte begreift-.

        Die geradezu offensichtliche Gegenantwort ist die: Das mag ja stimmen für die Entstehung der biologischen Zweigeschlechtlichkeit über die ganze Spezies betrachtet. Das diese determiniert nicht das konkrete geschlechtliche Verhalten von Person X in sozialer Situation Y in Gesellschaft Z und Zeitpunkt t. Die kausalen Faktoren, die in Person X und in der Umwelt von Person X zusammenwirken ist mehr als ihre Evolutionsgeschichte. Und in dem Moment wo es auch gruppenspezifische Faktoren gibt für alle Leute einer bestimmten Gruppe zu denen X gehört, muss noch lange nicht gegeben sein, dass diese Gruppeneigenchaften sich aus der Evolutionsgeschichte von X erklären lassen. Im Gegenteil würde ich sagen: So eine Auffassung ist sehr wahrscheinlich falsch. Das bedeutet nun nicht, dass es keines evolutionären Faktoren gibt. Aber genau hier wird es schwierig: Die komplexe Frage besteht darin zu sagen, welcher Faktor wie gewichtet werden muss?

        Um so freier wir sind, um so verschiedener muss der Mensch sein, gerade bei Inselpopulationen. Weil dann in verschiedene Richtungen gezüchtet wird.

        Was natürlich auch bedeutet: Um so irrelevanter werden evolutionäre Erklärungen auf Ebener der Spezies für individuelles Verhalten. Je größer die Streuung ist, desto weniger aussagekräftig ist eine Erklärung, die auf den Durchschnitt zielt, für die Erklärung von individuellen Eigenschaften.

        • @itsme

          „Was natürlich auch bedeutet: Um so irrelevanter werden evolutionäre Erklärungen auf Ebener der Spezies für individuelles Verhalten. Je größer die Streuung ist, desto weniger aussagekräftig ist eine Erklärung, die auf den Durchschnitt zielt, für die Erklärung von individuellen Eigenschaften.“

          Ich meinte damit, dass vollkommene Freiheit automatisch dazu führt, dass neue „Menschenarten“ entstehen. Sexuelle Selektion und die diesbezüglichen Attraktivitätsmerkmale halten unseren Genpool dichter beieinander. Könnte man frei gestalten, dann hätten wir wesentlich mehr Unterschiede und wahrscheinlich auf jeder Insel eine eigene Sorte Mensch.

          Für um so gleicher man den Menschen weltweit hält für um so vorgegebener muss man auch seine Auswahlkriterien halten. Beides, also frei und weltweit gleich, geht nicht.

  5. @Eike

    Wir sind und im wesentlichen einig. Nur würde ich dann sogar ein wenig weiter gehen als du es oben gemacht hast. Ich würde sagen, dass auch dann, „wenn ein solches Phänomen einzig und alleine aus der evolutionspsychologischen Perspektive ursächlich erklärt werden kann“
    eine sozialwissenschaftliche Perspektive notwendig ist. Schlichtweg um zu testen ob beide Perspektiven konsistent sind – nur halte ich das halt nicht für das Ziel des Blogs.

    Zu eine objektiven Wahrheit führen kann natürlich auch ein unterkomplexer
    Zugang, sogar eine logisch inkonsistente Argumentation. Die Wahrheit einer Aussage hängt nicht davon ab wie sie generiert wurde.

    Mit Allgemeingültigkeits-Ansprüchen von irgend welchen Disziplinen, kann ich als jemand der dem Kritischen Rationalismus nahe steht eh nichts anfangen.

    • @Eike

      Ich würde Dir da zustimmen, was Du sagst.

      Du schreibst:

      Schlichtweg um zu testen ob beide Perspektiven konsistent sind – nur halte ich das halt nicht für das Ziel des Blogs.

      Kommentar:

      Nein, das kann auf diesem Blog nicht geleistet werden. Was jedoch geleistet werden kann, ist, dass eine interdisziplinäre Perspektive vermehrt in den Blick kommt.
      Weil gerde ein Totalitätsanspruch einer evolutionspsychologischen Perspektive, kann m.E. für die Politik sehr, sehr gefährlich sein, weil sie dann für eine ideologische destruktive Politik verwendet werden kann (mit der Betonung auf kann und davon muss eben gewarnt werden).

      • @chomsky: Aus einer gewählten Perspektive „evolutionsbiologisch“ einen Totalitätsanspruch abzuleiten ist doch ganz offensichtlich eine eristische Mothode: durch irreführendes Verabsolutieren einer Sichtweise die eigentliche gemeinte Perspektivwahl zu diskreditieren.
        Jede wissenschaftliche Aussage ist immer auch die Wahl einer Perspektive. Es ist geradezu das Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens eine bestimmte Perspektive einzunehmen und konsequent anzuwenden.

  6. Sartres Existenzialismus findet sich unmittelbar reflektiert in „Das andere Geschlecht“ von Simone de Baeuvoir.

    Eine der tragenden Säulen existenzialistischer Philosphie ist, dass man keine Bestimmung hat, sondern sich durch sein Handeln selbst als (soziale) Person erschafft.

    So wird man eben „nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht“. Was jedoch die Aussage sehr verkürzt, denn es geht eben auch darum sich selbst zu gestalten.

  7. Ich finde diese Neigung von Soziologen und Geisteswissenschaftlern, Naturwissenschaftlern zu erklären, was diese eigentlich tun, bemerkenswert. Vielleicht beruht sie auf einer mehr oder weniger uneingestandenen Angst, dass die eigene Wissenschaft von immer mehr Menschen als irrelevant betrachtet werden könnte?

    Ist ja sehr schön wie Norbert Elias da erklärt, dass Physik, Biologie und Soziologie sich mit ganz unterschiedlichen Methoden der Realität nähern, aber das Problem ist, dass Menschen eben allen drei Bereichen zugleich angehören; sie sind sowohl materielle Objekte in Raum und Zeit und sich fortpflanzende Lebewesen wie auch Mitglieder von Gesellschaften.

    Wobei ich meine, dass hier durchaus eine Hierarchie besteht, schon in historischer Sicht. Zunächst gab es mal das Universum und die Materie, dann das Leben und schließlich die Gesellschaft. Es ist nicht so, dass mit der Entstehung des Lebens plötzlich die Physik hinfällig geworden wäre und mit der Entstehung von Gesellschaften plötzlich die Biologie. Man kann C nicht ohne B erklären und B nicht ohne A, aber umgekehrt gilt das nicht.

    In sofern sind auch alle Versuche, Gesellschaften ohne Bezug auf ihre materiellen Grundlagen zu erklären, zum Scheitern erurteilt. Was das betrifft war Marx sehr viel weiter als heutige Diskurstheorien (aber auch sein Schwachpunkt ist das ungenügende Verständnis der menschlichen Naturbindung; Ludwig Feuerrbach war da wiederum weiter als Marx).

    Ich denke wer sich über Gesellschaften auslässt (oder generell über menschliches Verhalten), muss erklären können 1) Was Leben ist (Verweis auf Evolutionstheorie), und 2) was Bewusstsein ist. D.h., erklären, wie Bewusstsein aus Materie entstehen konnte. Da gibt es natürlich schon ganz hervorragende Arbeiten von Philosophen, aber es sind naturalistische Philosophen, die den Vorrang der Naturwissenschaften anerkennen, z.B. der hervorragende Daniel Dennett.

    Ansonsten ist die ganze Diskurstheoretische Soße nur aufgewärmter Fichte (Ich=Gott), den man nicht allzu ernst ne
    hmen sollte.

    • Wobei ich meine, dass hier durchaus eine Hierarchie besteht, schon in historischer Sicht.

      Aus der historischen Hierarchie folgt aber nicht die logische Hierarchie.

      In sofern sind auch alle Versuche, Gesellschaften ohne Bezug auf ihre materiellen Grundlagen zu erklären, zum Scheitern erurteilt.

      Was wenn soziale Eigenschaften einfach Spezifizierungen von physikalischen Eigenschaften sind, die entstehen, wenn physikalische Elemente neuartige Relationen eingehen? Was, wenn diese Eigenschaften außerhalb solcher großen Relationsgefüge gar nicht existieren? Diese Relationsgefüge sind aber derartig, dass man sie im physikalischen Labor mit den Methoden der Physik dennoch nicht studieren kann. In diesem Fall hätte die Soziologie gar nichts davon zu wissen, dass im Prinzip alle ihre Eigenschaften physikalische Relationsgefüge darstellen, weil die Wissenschaft der Physik nicht den Methodenapparat bereitstellt, um diese Relationsgefüge auch zu studieren.

      Der Bezug auf irgendwelche eventuell vorhandenen materiellen Grundlagen ist dann für die konkreten Erklärungen völlig nutzlos, weil genau diese Grundlagen gar nicht zugänglich sind. Vielleicht ändert sich das irgendwann einmal. Heute aber scheint das noch nicht so zu sein.

      Ansonsten ist die ganze Diskurstheoretische Soße nur aufgewärmter Fichte (Ich=Gott), den man nicht allzu ernst nehmen sollte.

      Was liebe ich doch solche Aussagen, die das eigene Unwissen bloßstellen.

      • Aus der historischen Hierarchie folgt aber nicht die logische Hierarchie.“

        In diesem Falle durchaus. Voraussetzung für die Entstehung des Lebens war die Entstehung des Universums, und die Bedingungen, nach denen sich das Leben entwickelt hat, gelten weiterhin; wir können heutige Tote sowenig lebendig machen wie Versteinerungen aus dem Kambrium. Menschliche Gesellschaften sind an Naturbedingungen gebunden; es darf keine zu extremen Temperaturen geben, es müssen genügend Nährstoffe für die Reproduktion (des einzelnen und der Gesellschaft) vorhanden sein usw. Lies mal Jared Diamond, da wird haarklein dargelegt, wie die natürlichen (geographischen und Biologischen) Bedingungen die Entwicklung und die Existenz von Gesellschaften bestimmen. Und wie Gesellschaften scheitern, die diese nicht zur Kenntnis nehmen.

        „Was wenn soziale Eigenschaften einfach Spezifizierungen von physikalischen Eigenschaften sind, die entstehen, wenn physikalische Elemente neuartige Relationen eingehen? Was, wenn diese Eigenschaften außerhalb solcher großen Relationsgefüge gar nicht existieren?“

        Wäre genau meine Frage, wie Philosophie oder Soziologie so was erklären? Ich kenne da wenig überzeugendes (bin aber gern bereit mich belehren zu lassen). Ich habe ja schon auf Daniel Dennett hingewiesen, dessen Werk (vor allem „Consciousness explained“) ich höchst eindrucksvoll finde.
        Die Frage wie ein Gehirn ein Ich hervorbringen kann ist jedenfalls einer Erklärung wesentlich näher als die Frage, woher die Diskurse stammen, die ja angeblich alles erst konstituieren sollen.

        „Der Bezug auf irgendwelche eventuell vorhandenen materiellen Grundlagen ist dann für die konkreten Erklärungen völlig nutzlos, weil genau diese Grundlagen gar nicht zugänglich sind.“

        Selbstverständlich sind diese Grundlagen zugänglich, hast du nie Marx gelesen? Wo immer ich das Verhalten von Menschen in Gesellschaft betrachte, drängen sich die materiellen Grundlagen dieses Verhaltens geradezu auf: Menschen arbeiten wie verrückt daran, sich Nahrung und akzeptable Lebensverhältnisse zu beschaffen, sie wagen sich in kleinen Booten aufs Meer, sie experimentieren mit den irrsten Technologien, sie bringen sich gegenseitig um, wenn nicht genug für alle da ist. Und dies nicht wegen irgendwelcher Ideologien sondern aus ganz materiellem Interesse an Leben und Fortpflanzung heraus.

        „Was liebe ich doch solche Aussagen, die das eigene Unwissen bloßstellen.“

        Tja, das ist halt die übliche Arroganz von Leuten wie dir, die viele Bücher gelesen haben und nun meinen, die Welt besser zu verstehen als die die sich wirklich in der Welt umschauen.

        Fichte schreibt z.B. „Es ist der menschlichen Natur gar nicht eingepflanzt, sondern es ist ihr vielmehr geradezu unmöglich, sich ein Ding unabhängig von irgendeinem Vorstellungsvermögen zu denken.“ (Rezension des Aenesidemus, Werke Bd. I S. 131ff.) genauso denken Soziologen und idealistische Philosophen: Wenn niemand die Welt erkennt bzw. vorstellt, existiert sie nicht. Bevor es Philosophie gab, ist nichts wesentliches geschehen (also mehr als 100.000 Jahre Menschheitsgeschichte hindurch). Fichte hingegen zieht zumindest die Konsequenz: Dann ist die Welt eben von einem absoluten Ich geschaffen worden. Während Foucault, Derrida und andere Philosophendarsteller die Frage, woher denn die Sprache, ohne die es keine Diskurse und Texte geben kann, überhaupt herkommt. Sie lässt sich (unter Beibehaltung der idealistischen Voraussetzungen) auch nur so beantworten, wie es Fichte getan hat. Leszek Kolakowski bezeichnet das als „Selbstvergottung des Menschen“. Sehr treffend, finde ich.

      • @El_Mocho

        Zum ersten Punkt: Das Bild was ich gezeichnet habe ging ja eher die Richtung, dass die alten Bedingungen zwar erhalten bleiben, sich aber Materie neu anordnet und dadurch neue Eigenschaften entstehen. Erst im Fall von Leben, dann im Fall von Geist, dann von Gesellschaftlichkeit und dann auch in jeweils sehr viel unbedeutenderen Fällen. Ich glaube Mario Bunge ist jemand in der Philosophie, der so ein Bild von materialistischer Emergenz detaillierter ausgearbeitet hat.

        Jared Daimond hat sicherlich in bestimmter Hinsicht recht. Es ist richtig, dass Gesellschaft aus Basis von materiellen Bedingungen existiert. Aber wie sieht das genau aus?

        Die Frage wie ein Gehirn ein Ich hervorbringen kann ist jedenfalls einer Erklärung wesentlich näher als die Frage, woher die Diskurse stammen, die ja angeblich alles erst konstituieren sollen.

        Thomas Metzinger hat hier sicherlich noch einen Schritt über Dennett hinausgetan. Die Fragen, die sich bei mir bei allen naturalistischen Erklärungen immer wieder auftun sind folgende: Bei Dennett gibt es z.B. die Tendenz interessante Aspekte unseres Geistes einfach ein wenig wegzuerklären (insb. Intentionalität, die Dennett m.W. einfach als eine Art explanatorische Einstellung versteht, was sie m.E. nicht ist). Bei Metzinger geht das so radikal weit, dass sich für mich die Frage stellt: Wie kann ich eigentlich noch von einer objektiven Welt der Wissenschaft ausgehen, wenn sich alles in Selbstmodell und Weltmodell auflöst? Wie bekomme ich dann Zugang zu einer externen Welt? Letztlich ist auch das das Problem der Intentionalität des Bewusstseins (oder in der Sprachphilosophie: Der Referenz der sprachlichen Ausdrücke). Naturalistische Erklärungen müssen auch erklären, wie wir Bezug nehmen auf die Welt außer uns. Und sie haben dabei Schwierigkeiten, weil die Naturalisierung der Relation Intentionalität-Referenz nicht so simpel ist, wie man sich das wünschen würde.

        Abgesehen davon bin ich kein Diskurstheoretiker. Im Gegenteil, ich denke nicht, dass Wahrheit relativ auf einen bestimmten Diskurs ist oder gar, dass es keine Wahrheit gibt.

        Selbstverständlich sind diese Grundlagen zugänglich, hast du nie Marx gelesen? Wo immer ich das Verhalten von Menschen in Gesellschaft betrachte, drängen sich die materiellen Grundlagen dieses Verhaltens geradezu auf: Menschen arbeiten wie verrückt daran, sich Nahrung und akzeptable Lebensverhältnisse zu beschaffen, sie wagen sich in kleinen Booten aufs Meer, sie experimentieren mit den irrsten Technologien, sie bringen sich gegenseitig um, wenn nicht genug für alle da ist. Und dies nicht wegen irgendwelcher Ideologien sondern aus ganz materiellem Interesse an Leben und Fortpflanzung heraus.

        Doch ich habe Marx gelesen. Aber ich bin kein Marxist. Ich denke nicht, dass man die Basis-Überbau Metapher so übernehmen sollte. Es gibt eine kausale Wechselbeziehung zwischen beiden. Nur ein Beispiel: Im alten Babylon wurden Zinssätze für Kredite auf Grund von religiösen Vorstellungen festgelegt, nicht auf Grund von realen ökonomischen Prozessen. Das führte zu schneller Überschuldung und dann dazu, dass es des öfteren große Akte der Entschuldung von Seiten der Herrscher geben musste. Ein schönes Beispiel für den materiellen Effekt einer kulturellen Vorstellungswelt auf ökonomische Prozesse.

        Und deswegen handeln Menschen eben auch wegen irrer Ideologien. Denn gerade wenn Du Naturalist bist, müsstest Du ja auch der Überzeugung sein, dass Ideologien im Gehirn sind und reales Verhalten bestimmen. Und ich glaube es gibt keine menschliche Gesellschaft ohne irgendetwas, was man kollektive Imagination nennen könnte – und was in sehr problematische irre Ideologien münden kann.

        Tja, das ist halt die übliche Arroganz von Leuten wie dir, die viele Bücher gelesen haben und nun meinen, die Welt besser zu verstehen als die die sich wirklich in der Welt umschauen.

        Gut, dass Du Dich nicht zu sehr hast provozieren lassen. 😀 Historisch muss ich dazu folgendes sagen: Meines Wissens hat Fichte nie irgendwo behauptet, dass „Ich“ sei „Gott“. Insofern war das schlicht nicht zutreffend. Außerdem kommt noch hinzu, dass Fichte selbst auf Grund solcher Missverständnisse von Leuten, die ihn nur sehr ungenau zur Kenntnis genommen hatten zu seiner Zeit in Jena seinen Lehrstuhl auf Grund des Vorwurfs verloren hat, er sei Atheist. Denn zu der damaligen Zeit wäre eine Position wie „Ich=Gott“ mit Sicherheit politisch inakzeptabel gewesen, gerade auch wegen der Angst vor der Ausbreitung der französischen Revolution und der dortigen politischen Aktionen gegen die katholische Kirche. Die Frage, die sich mir also stellt ist: Wieso machst Du sowas Fichte zum Vorwurf?

        Nun zu Fichte selbst bzw. dem Zitat von ihm. Nenne mir doch mal ein Ding ohne dass Du den Begriff von Ding gebrauchst, um dieses Ding zu benennen? Wenn Fichte Unrecht hätte, dann müsste es ja möglich sein sich leicht ein Ding vorzustellen, ohne ein Vorstellungsvermögen (übrigens ist das ein technischer Begriff von Karl Leonard Reinhold, meint also nicht direkt die organische Realisierung dieses Vorstellungsvermögens im Gehirn) zu besitzen. Das ist übrigens das Problem, was sich auch bei den naturalistischen Ansätzen von Dennett und Metzinger in der Intentionalität versteckt: Wie stellt sich die Beziehung zwischen mir und der Welt im allgemeinen her. Das Problem ist dabei folgendes, um das mal aus der Sicht des „Idealisten“ Fichte zu umschreiben: Wenn ich die Intentionalität von Bewusstsein-1 zu Gegenstand-1 naturalistisch erklären will, muss ich Bewusstsein-1 dazu objektivieren, d.h. zu einem Gegenstand in Bewusstsein-2 machen. Dann ergibt sich aber die Frage, woher die Intentionalität von diesem Bewusstsein-2 stammt. Ich kann dieses Verfahren beliebig wiederholen und immer mehr naturalistisch erklären. Aber gleich wie viele metakognitive Reflexionen ich einlege, es bleibt immer ein Standpunkt, der nicht erklärt ist. Fichtes ganze Spätphilosophie in seinen Schriften seit 1804 dreht sich eigentlich um dieses Problem: Wie kann ich es im allgemeinen verstehen, dass die Fähigkeit zu Erkennen und das von dieser Fähigkeit unabhängige Sein in eine Beziehung der Erkenntnis zu einander treten, wenn doch jede Objektivierung des Gegenstandes der Erkenntnis immer wieder einen unverstandenen Rest übrig lässt. Das Denken, das Sein und die Beziehung zwischen ihnen müssen in einer Einheit unterkommen, die man die „Welt“ nennen kann. Und dazu muss das Problem nicht für einen einzelnen Fall gelöst werden, sondern für alle möglichen Fälle einer Relation zwischen einem Gedanken und einem Gegenstand. Fichte war allerdings der Ansicht, dass man irgendwie einen Standpunkt dazu erreichen müsste, der jenseits der klassischen philosophischen Opposition von Idealismus/Antirealismus und Realismus liegt.

        Fichte hingegen zieht zumindest die Konsequenz: Dann ist die Welt eben von einem absoluten Ich geschaffen worden.

        Auch der frühe Fichte zieht diese Konsequenz meines Wissens so nicht. Was aber wenig bekannt ist: Es bedarf für ihn des Gefühls als Anstoß für die Tätigkeit des absoluten Ichs, dass dann die Unterscheidung zwischen konkretem persönlichen Ich und Erkenntnisgegenstand erzeugt. Später war ihm dieses Modell aber wohl nicht mehr ausreichend.

        Sie lässt sich (unter Beibehaltung der idealistischen Voraussetzungen) auch nur so beantworten, wie es Fichte getan hat. Leszek Kolakowski bezeichnet das als „Selbstvergottung des Menschen“. Sehr treffend, finde ich.

        Die Selbstvergottung des Menschen ist sehr viel älter als Fichte. Auch Aristoteles und Platon machen das. Für Aristoteles ist Philosophie diejenige Tätigkeit, in der der Mensch teil hat am Nous Poietikos, der göttlichen Erkenntnistätigkeit des unbewegten Bewegers, der ebenso der absolute Ursprung aller Bewegung in der Welt ist. Der Mensch wird zwar nicht Gott, aber der ahmt Gott nach. Wobei Fichte allerdings auch höchstens schreibt, dass der Mensch das lebendige Abbild des Göttlichen sei oder derartige Dinge. Ich würde auch sagen, es handelt sich dabei nicht um ein einfaches Phänomen. Es gibt verschiedene Formen dieser Selbstvergottung des Menschen. Manche davon waren sehr fruchtbar, weil sie uns beispielsweise die Grundlagen der modernen Naturwissenschaft vorgedacht haben. Andere hingegen waren eher terroristisch und autoritär.

      • „Wie bekomme ich dann Zugang zu einer externen Welt? Letztlich ist auch das das Problem der Intentionalität des Bewusstseins (oder in der Sprachphilosophie: Der Referenz der sprachlichen Ausdrücke). Naturalistische Erklärungen müssen auch erklären, wie wir Bezug nehmen auf die Welt außer uns.“

        Itsme, sorry, du verstehst das naturalistische Denken einfach nicht. Die Unterscheidung von „uns“ und der Welt außer uns ist willkürlich und ihrerseits begründungsbedürftig. Welche Gründe gibt es, die Auffassung des gemeinen Menschenverstandes in Zweifel zu ziehen, nach der die Welt im wesentlichen so ist, wie wir sie wahrnehmen und wir ein Teil dieser Welt sind (die sich auch über hunderttausende von Jahren als verlässlich erwiesen hat, andernfalls es keine Menschen gäbe)? Ich kenne keinen überzeugenden, die Möglichkeit der Sinnestäuschung leistet das jedenfalls nicht (Quine erklärt das sehr schön). Das Ich (Selbst, Subjekt usw.) ist das Gehirn, oder zumindest ohne dieses (und damit die Einbindung in die materielle Welt) undenkbar.

        Die einzige Erklärung für die Existenz erkennender Menschen bietet bisher die Evolutionstheorie, und Evolution kann es nur geben in einer Welt, die über evolutionäre (lange) Zeiträume hin stabil bleibt.

        „Wenn Fichte Unrecht hätte, dann müsste es ja möglich sein sich leicht ein Ding vorzustellen, ohne ein Vorstellungsvermögen zu besitzen.“

        Unsinn. Als wenn die Existenz der Dinge davon abhinge, ob wir sie uns vorstellen oder nicht.
        Konsequenterweise müsstest du dann auch behaupten, dass die Welt nicht existiert hat, bevor es Menschen gab, die sie sich vorstellten.

        Zu der ganzen Problematik sagt Bertrand Russell sehr treffend:

        „Man, formerly too humble, begins to think of himself as almost a God. The Italian pragmatist Papini urges us to substitute the ‛Imitation of God’ for the ‛Imitation of Christ.‘
        In all this I feel a grave danger, the danger of what might be called cosmic impiety. The
        concept of ‛truth’ as something dependent upon facts largely outside human control has been one of the ways in which philosophy hitherto has inculcated the necessary element of humility. When this check upon pride is removed, a further step is taken on the road towards a certain kind of madness – the intoxication of power which invaded philosophy with Fichte, and to which modern men, whether philosophers or not, are prone. I am persuaded that this intoxication is the greatest danger of our time.”

        A History of Western Philosophy And Its Connection with Political and Social Circumstances from the Earliest
        Times to the Present Day (New York: Simon and Schuster 1945), 828

    • > In sofern sind auch alle Versuche, Gesellschaften ohne
      > Bezug auf ihre materiellen Grundlagen zu erklären,
      > zum Scheitern erurteilt

      Nö, warum?

      Generell gehts bei der Wissenschaft doch darum, eine Theorie aufzustellen, die falsifizierbar ist, aber nicht falsifiziert wird.

      Und ganz ohne auf die Neuronen und den Elektronenfluss in den Gehirnen von 100ten von Markteilnehmern einzugehen, komplett ohne auch nur zu klären ob sie überhaupt humanoid sind, kann ich anhand von Wirtschaftstheoretischen (oder Spieltheoretischen) Modellen vorhersagen treffen (um mal nicht die Soziologie als Beispiel zu nehmen), ganz ohne „materielle Grundlage“.

      Ebenso gibt es durchaus Stellen, wo die Biologie vielleicht als Ermöglicher (im Sinne: ohne die Biologie gäbe es keine Menschen)
      eine Rolle spielt, aber für die Vorhersagen nahezu irrelevant erscheint.

      Beispiel Standford Prision Experiment: vor dem Experiment wurde getestet, ob die Probanden in irgendeiner Form aussergewöhnlich waren (waren sie nicht), und danach wurden sie per los zu Wächtern und und Gefangenen gemacht. (also auch hier kein Biologischer Bias)

      Bei allem was folgte kann man sich die Erbanlagen oder den Herzschlag oder wasauchimmer für rein Biologische Parameter man gerade haben will, angucken wie man will: die Vorhersage über das Verhalten der beobachteten Lebewesen auf der Ebene, auf der man soziale Konzepte wie „Wärter“ oder „Gefangener“ verwendet, ist besser.

      Das heist _nicht_ dass Biologie falsch ist, man kann mit Biologie z.B. prima die fürs SPE interessante Frage erklären, warum sich das potential für dominantes Verhalten nicht wegselektiert hat.

      Ich habe den Eindruck, dass hier im Blog oft eine falsche Dichtonomie aufgebaut wird: Biologie _oder_ Soziologie.
      Als Informatiker erscheint mir das ähnlich dumm, wie zu versuchen, das Verhalten eines Computers _nur_ aus der Software oder _nur_ aus der Hardware zu erklären.

      Bei einigen Fragestellungen spielt nur das eine eine Rolle (funktioniert der computer noch bei Strahlung bzw warum compiliert mein programm nicht), andere Fragestellungen sind verwobener, aber eine „Theory of Everything“ ist beides nicht.

      (und jetzt komme ich mir komisch vor, weil ich meistens eher auf den „humanities“ rumhacke ob ihrer vagen Begrifflichkeiten)

      • Ich habe den Eindruck, dass hier im Blog oft eine falsche Dichtonomie aufgebaut wird: Biologie _oder_ Soziologie.
        Als Informatiker erscheint mir das ähnlich dumm, wie zu versuchen, das Verhalten eines Computers _nur_ aus der Software oder _nur_ aus der Hardware zu erklären.

        Klingt sehr vernünftig.

      • @keppla

        „Ich habe den Eindruck, dass hier im Blog oft eine falsche Dichtonomie aufgebaut wird: Biologie _oder_ Soziologie. Als Informatiker erscheint mir das ähnlich dumm, wie zu versuchen, das Verhalten eines Computers _nur_ aus der Software oder _nur_ aus der Hardware zu erklären.“

        Die Frage ist so meiner Meinung nach nicht richtig auf den Computer übertragen.

        Wenn Natur bei dir Hardware ist, dann ist zu Bedenken, dass diese auch teilweise die Software geschrieben hat. Diese hat nur teilweise sehr viele Eingabemöglichkeiten und Modifizierungsmöglichkeiten über den „User“, der dann die Gesellschaft wäre. Einige Programmteile sind aber schlicht der Einwirkung entzogen, wie etwa die sexuelle Orientierung und müssen wenn überhaupt mit vom User installierten Gegenprogrammen in ihren Auswirkungen bekämpft werden

      • @Christian

        Du schreibst:

        Einige Programmteile sind aber schlicht der Einwirkung entzogen, wie etwa die sexuelle Orientierung und müssen wenn überhaupt mit vom User installierten Gegenprogrammen in ihren Auswirkungen bekämpft werden

        Kommentar:

        Nach Oerter/Montada (Entwicklungspsychologie) ist zumindest „Homosexualität“ nicht einer Einwirkung entzogen.
        Scheint zumindest auf Homosexualität, aber wahrscheinlich auch auf andere sexuelle Präferenzen eine falsche Information zu sein.

        • @Chomsky

          „Nach Oerter/Montada (Entwicklungspsychologie) ist zumindest “Homosexualität” nicht einer Einwirkung entzogen.“

          und ihr Argument ist? Wann ist denn eine „Enthomosexualisierung“ je geglückt?

          Mir fällt auf, dass du sehr häufig Textverweise als Autoritätsargument bringst. Das erstickt nach meiner Auffassung eine Diskussion eher. Ich finde es günstiger, das dort genannte Argument dem wesentlichen Inhalt nach wiederzugeben, dann kann man auch darauf erwidern.

          So ist es ein Textverweis, den ich nicht einordnen kann. Er hat damit einen geringen argumentativen Wert.

      • @Chistian

        Einige Programmteile sind aber schlicht der Einwirkung entzogen, wie etwa die sexuelle Orientierung und müssen wenn überhaupt mit vom User installierten Gegenprogrammen in ihren Auswirkungen bekämpft werden

        Ist das nicht ein bisschen widersprüchlich? Also entweder sie sind der Einwirkung entzogen oder sie sind es nicht. Ich meine, ich bin nicht der Ansicht, dass solche Analogien zum Computer erschöpfend sind. Aber Software muss man natürlich auch installieren. Und viele Programmteile einer Software sind, nachdem sie einmal kompiliert ist, auch der direkten Einwirkung durch den User entzogen. Und um Fehlverhalten der Software entsprechend zu korrigieren gibt es entweder Patches oder es gibt Zusatzsoftware, die die entsprechenden bekannten Fehler ein Form eines Workarounds umgeht.

        Übrigens ist Dein erster Teilsatz hier ein wundervolles Beispiel für den genetischen Determinismus, der mir sehr problematisch erscheint. Das noch als Hinweis zu meinem Kommentar weiter oben.

        • @itsme

          „Ist das nicht ein bisschen widersprüchlich? Also entweder sie sind der Einwirkung entzogen oder sie sind es nicht.“

          Man kann die Übertragung übertreiben, aber es wäre ungefähr so:

          „Das bei mir vorinstallierte Homosexualitätsprogramm gefällt mir nicht, aber ich kann es nicht abschalten. Ich habe daher auf meinem freien Speicher das zusatzprogramm „Religiösität“ installiert und alle Einstellungen auf Maximum gesetzt, das verhindert, dass sich das Homosexualitätsprogramm auswirkt. Dazu musste ich zwar das Selbsthass- und Depressionsprogramme mitausführen und ich sehe das Homosexuellenprogramm immer wieder auf die Hardware zugreifen, aber das nehme ich in Kauf, weil ich so eine Ausgabe aus dem Homosexuellenprogramm verhindern kann“

          Welchen Teilsatz genau meinst du? Das wir eine gewisse vorinstallierte Software haben ist eigentlich schwer zu umgehen. Von einem Blank Slate kann man ja wohl kaum ausgehen

      • Welchen Teilsatz genau meinst du? Das wir eine gewisse vorinstallierte Software haben ist eigentlich schwer zu umgehen. Von einem Blank Slate kann man ja wohl kaum ausgehen

        Die Frage ist eher die Natur der Software. Die Software liefert jedenfalls keine vordefinierten Funktionen sondern ein Entwicklungsprogramm, dass bestimmte Funktionen ausbildet in Interaktion mit einer Umwelt. Das ist in etwa so, als wenn sich mein Betriebssystem automatisch an mein Nutzungsverhalten anpassen würde und sich gemäß diesem Nutzungsverhalten innerhalb bestimmter Parameter selbsttätig umschreiben würde.

        • @itsme

          „Das ist in etwa so, als wenn sich mein Betriebssystem automatisch an mein Nutzungsverhalten anpassen würde und sich gemäß diesem Nutzungsverhalten innerhalb bestimmter Parameter selbsttätig umschreiben würde.“

          Es ist eben die Frage, ob das so ist. Du kannst vielleicht ja auch nur entscheiden, welche Programme du laufen läßt, aber das Betriebssystem nicht ändern. Oder ein Macprogramm auf einen PC installieren. Das Betriebsprogramm kann auch der Umgestaltung Grenzen setzen oder bestimmte Parameter fest einschreiben.
          Eben zum Beispiel Homosexualität.
          Auch zB bei „weiblichen Männern“ also etwa bei „Klischeeschwulen“ werden auch konservativen Eltern, die ihn in ein Militätinternat geben, um ihn zum echten Mann zu machen, nicht unbedingt viel Erfolg haben.
          Transsexuelle sind ein anderes Beispiel. Die Gesellschaft drückt sie eigentlich klar in die Rolle ihres Phänmotyps. Da zeigen Studien ebenfalls genetische Ursachen, die anscheinend dafür sorgen, dass die Software auf eine bestimmte Art funktioniert.

          Das alles zeigt , dass einige Schrauben nicht beliebig weit gedreht, nicht alle möglichen Anpassungen an das Verhalten vorgenommen werden können.

          Bei den „Big Five“ zeigt sich eine hohe Erblichkeit. Auch das spricht gegen eine freie Anpassung

          (die aus Sicht der egoistischen Gene auch in vielen Bereichen sehr nachteilhaft wäre)

      • @Christian

        M.E. postulierst vielfach Sachen, ohne nur eine Spur von Misstrauen gegenüber Deinen Aussagen zu machen und ohne auf wissenschaftliche Untersuchungen zu verweisen. Das lässt dann eben leider den Verdacht aufkommen, dass Du ein bisschen ideologisch voreingenommen bist:

        Aber zum Thema:

        „Homosexualität ist bei Männern und Frauen genetisch mitbedingt, keineswegs rein genetisch erklärbar.

        So waren bei 115 männlichen Homosexuellen 52 Prozent der eineiigen, aber nur 22 Prozent der zweieiigen Zwillingsbrüger ebenfalls schwul. In einer vergleichbaren Studie mit 115 weiblichen Homosexuellen waren 48 Prozent der eineiigen, aber nur 16 Prozent der zweieiigen Zwillingsschwestern ebenfalls lesbisch (…). (Oerter/Montada 2008, S. 54)

        • @Chomsky

          „So waren bei 115 männlichen Homosexuellen 52 Prozent der eineiigen, aber nur 22 Prozent der zweieiigen Zwillingsbrüger ebenfalls schwul. In einer vergleichbaren Studie mit 115 weiblichen Homosexuellen waren 48 Prozent der eineiigen, aber nur 16 Prozent der zweieiigen Zwillingsschwestern ebenfalls lesbisch“

          https://allesevolution.wordpress.com/2011/08/05/vererbbare-faktoren-in-der-sexuellen-orientierung-bei-frauen/

          Erklärt, warum das mit den biologischen Theorien kompatibel ist, habe ich hier:
          https://allesevolution.wordpress.com/2011/10/29/biologische-unterschiede-zwischen-zwillingen/

          Es geht eben um Hormone, nicht schlicht um Gene. Außerdem wird auch in diesen Fällen die Sexualität ja nicht „im laufenden Programm geändert“.

        • @Chomsky

          „M.E. postulierst vielfach Sachen, ohne nur eine Spur von Misstrauen gegenüber Deinen Aussagen zu machen und ohne auf wissenschaftliche Untersuchungen zu verweisen. Das lässt dann eben leider den Verdacht aufkommen, dass Du ein bisschen ideologisch voreingenommen bist:“

          ich finde es ein logisches System. Es überzeugt mich. Ich versuche aber auch möglichst viel davon zu hinterfragen, weswegen ich dann eben Beauvoir, Butler, Fausto-Sterling, Voss, Fine etc lese.

          Dort finde ich allerdings keine guten Gegenargumente.

          Weswegen ich die Theorien überzeugt vertrete. Wissenschaftliche Untersuchungen, die meine Ansicht stützen, habe ich denke ich in diesem Blog durchaus zitiert.

          Wie sehr bist du bereit deine Theorien zu hinterfragen, indem du mal ein Buch der „anderen Seite“ liest und nicht nur eine kritische Besprechung der Gegenmeinung, die, weil sie aus dem anderen Lager ist, deiner Meinung zustimmen wird?
          Also etwa indem du Geary, Male Female oder „The Mating Mind“ oder „Brain Sex“ liest?

      • @Christian

        Wenn ich am meisten von Bourdieu oder Elias oder Luhmann oder Beck etc. lernen will, dann lese ich immer die Kritiken, die eben diese Theorien und empirischen Ergebnisse widersprechen; das hat den Effekt, dass man diese Theorien nicht überzieht und immer wieder kritisch betrachtet.
        Von daher verfahre ich ähnlich mit der Evolutionspsychologie. Einmal die Kritike lesen und dann die Kritiken dieser Kritiken lesen und dann hat man m.E. schon ein bisschen ein Bild davon, wo die Schwachstellen dieser Ansätze liegen könnten.

        • @Chomsky

          Ich halte viel davon, gerade in einem so ideologisch besetzten Gebiet, die Originale, und nicht kritische Besprechungen zu lesen.

          Klärt häufig viele Missverständnisse auf. Man kann viele Konzepte nicht verstehen, wenn man den ursprünglichen Gedanken nicht einmal komplett ausformuliert liest, sondern nur die Erwiderungen auf Kritik, die diese Gedanken dann unvollständig wiedergeben.

      • @Christian:

        > Die Frage ist so meiner Meinung nach nicht richtig
        > auf den Computer übertragen.
        > Wenn Natur bei dir Hardware ist, dann ist zu Bedenken,
        > dass diese auch teilweise die Software geschrieben hat.

        Dazu gibts ja durchaus analogien in der Informatik. Ich hatte als Beispiel genannt „funktioniert der Computer noch bei Strahlung“, etwas, was man mit keiner Software wirklich beeinflussen kann.

        Mein Punkt war, dass daher die Fragestellung interessiert.

        „Woher kommt die Sexuelle Orientierung?“ ist so wie es aussieht, keine Soziologische Frage.
        Wie man das belegt, hast du im Blog ausführlich erklärt, daher spare ich mir die erklärung.

        „Warum werden die Menschen mit den Nummern auf dem Hemd misshandelt“ ist, so wie es aussieht, keine Biologische Frage. Dass es das nicht ist, wurde durch die vorherigen tests und die Randomisierung belegt.

        > Einige Programmteile sind aber schlicht der Einwirkung
        > entzogen, wie etwa die sexuelle Orientierung

        Hier scheint mir, du fällst beim bewerten meines Postes wieder auf die dichtonomie rein.
        Ich habe festgestellt, dass es Muster gibt, die mit den Mitteln der Biologie nicht erfasst werden können, mit denen der Sozio- oder Psychologie schon (SPE, zb).

        Daraus folgt nicht, dass ich behaupte, es gäbe den gegenteiligen Fall nicht, oder dass ich behaupte, diese Fälle seine häufiger oder seltener.

        > und müssen
        > wenn überhaupt mit vom User installierten
        > Gegenprogrammen in ihren Auswirkungen bekämpft werden

        U.u kann das aber eben der relevantere Faktor sein.

        Nimm „Game“: die „Ausbildung“ zum Player ist ein Faktor, die du nicht in der Körpergröße,
        dem messbaren Status, der Fingerverhältnisse, etc wiederfinden wirst, die aber einen
        relevanten Einfluss auf den Paarungserfolg haben dürfte.

        „Game“ ist, auch wenn es natürlich Biologische „Sicherheitslücken“ ausnutzt, letzlich ein
        Kulturelles Phänomen (eine Wissenssammlung, eine Vermittlungskultur, ein Wertesystem, etc),
        ebenso wie Kampfsportarten ein Kulturelles Phänomen sind, auch wenn sie Biologische Sicherheitslücken ausnutzen (z.B., dass man Knochen nicht in alle Richtungen gleich gut dehnen kann).

      • Das alles zeigt , dass einige Schrauben nicht beliebig weit gedreht, nicht alle möglichen Anpassungen an das Verhalten vorgenommen werden können.

        Nein, menschliche Kleinkinder werden normalerweise nicht zu Kühen im Laufe ihres Lebens, wenn man sie auf die Weide zum Grasen bringt. Offenbar gibt es also Grenzen der Anpassung. Die interessante Frage ist natürlich was sich zwischen dieser Erkenntnis und dem direkten genetischen Determinismus, der eben auch schlicht falsch ist (was schon so Ausdrücke wie „zu einem hohen Grade erblich“ verraten) so abspielt.

        @Keppla

        U.u kann das aber eben der relevantere Faktor sein.

        Das ist eine sehr wichtige Einsicht. Insbesondere, da Christian offenbar auch meint, dass die „Gegenprogramme“ quasi die „natürlichen Tendenzen“ bekämpfen müssten. Sie können sie aber u.U. auch um ein vielfaches verstärken. Oder die einen verstärken, die anderen schwächen. Etc. deswegen bin ich ja der Ansicht Gene sind eine Art Regulationsmechanismus, die Gesellschaft ist ein anderer. Und beide interagieren miteinander, in Arten und Weisen, die wahrscheinlich wenig bisher erforscht sind.

        • @itsme

          „Etc. deswegen bin ich ja der Ansicht Gene sind eine Art Regulationsmechanismus, die Gesellschaft ist ein anderer. Und beide interagieren miteinander, in Arten und Weisen, die wahrscheinlich wenig bisher erforscht sind.“

          Sicher, aber das ist kein freies miteinander agieren. Interaktionsweisen erfordern eben auch eine Mutation hin zur Eröffnung dieses Spielraums, bei dem die Gene auf eine neue Art reagieren. Der Interaktionsspielraum unterliegt damit auch den Kritierien der Selekion und muss vorteilhaft sein

      • Was mir dazu noch einfällt:

        http://en.wikipedia.org/wiki/Rethinking_Innateness

        Dieses Buch enthält eigentlich eine Art von Grundhypothese, der ich sehr viel näher stehe als dieser Art von Steven Pinker / Evolutionary Psychology Richtung.

        auch interessant:

        http://en.wikipedia.org/wiki/Interactive_Specialization

        Von daher: Man kann sehr wohl der trivialen Einsicht Rechnung tragen, dass Entwicklung nicht beliebig ist, ohne sich auf einen Dawkins-Pinker Nativismus einlassen zu müssen. Ich würde vermuten, dass sich diese alternativen Modelle vielleicht nicht in der Populärwissenschaft so doch in der Fachdebatte selbst durchsetzen werden.

        • @itsme

          Wo siehst du denn die Abweichungen und was sind die Argumente dafür, dass diese richtig sind?

          Ich denke du irrst auch mit deiner Vorstellung, dass die Ansichten von Dawkins und Pinker nur populärwissenschaftlich etwas taugen. Es sprechen gute Argumente für diese Ansichten. Die aber auch durchaus Interaktion und Reaktion zulassen

          Aber vielleicht kurz etwas zu den beiden Konzepten:

          http://en.wikipedia.org/wiki/Interactive_Specialization

          Interactive Specialization is a theory of brain development proposed by the British cognitive neuroscientist Mark Johnson, who is head of the Centre for Brain and Cognitive Development[1] at Birkbeck, University of London, London.
          In his book Developmental Cognitive Neuroscience ,[2] Johnson contrasts two views of development. According to the first, the maturational hypothesis, the relationship between structure and function (i.e. which parts of the brain perform a particular task) is static, and specific cognitive skills come “on-line” as the cortical circuitry intrinsic to a particular task matures. Johnson likens this to a „mosaic“ view of development.
          According to the second, the Interactive Specialization (IS) [3] [2] hypothesis, development is not a unidirectional maturational process, but rather a set of complex, dynamic and back-propagated interactions between genetics, brain, body and environment. Development is not a simple question of a brain being built according to a pre-specified genetic blueprint – rather, the components of the brain are interacting with each other constantly – even prenatally, when patterns of spontaneous firing of cells in the eyes (before they have opened) transmit signals that appear to help develop the layered structure of the lateral geniculate nucleus .[4]
          The hypothesis has attracted increasing attention in recent years as a number of neuroimaging studies on younger children have provided data that appears to fit specific predictions made by Johnson’s model

          Wenn ich ihn richtig verstehe, dann baust du da auch einen so nicht zutreffenden Widerspruch auf. Dawkins und Co. gehen nicht davon aus, dass es einen „blueprint“ gibt. Der Körper wächst und interagiert dabei. Aber eben nicht beliebig und er kann nur auf bestimmte Weisen reagieren, weil es ja keine leitende Instanz gibt, die den „Bau“ planen kann
          ich hatte dazu auch schon mal was:

          https://allesevolution.wordpress.com/2011/10/21/lamarckismus/
          https://allesevolution.wordpress.com/2011/09/24/wachstum-hoxgene-und-hormonelle-steuerung/
          https://allesevolution.wordpress.com/2012/02/19/auswirkungen-von-misshandlungen-auf-das-gehirn/

          Und das andere Konezpt:
          http://en.wikipedia.org/wiki/Rethinking_Innateness

          Rethinking Innateness applied insights from neurobiology and neural network modelling to brain development.
          It questioned whether some of the “hard nativist” positions, such as those adopted by Noam Chomsky, Steven Pinker and Elizabeth Spelke, are biologically plausible. For example, the authors challenged a claim[4] by Pinker that children are born with innate domain-specific knowledge of the principles of grammar, by questioning how the knowledge that Pinker suggests might actually be encoded in the genes.
          Elman et al. argue that information concerning something as specific as grammatical rules (which they classify as propositional information) could only be encoded as pre-specified “weights” between neurons in the cortex. But they argue that evidence from a number of sources, such as brain plasticity (the ability of a brain to change its response properties during development) shows that information cannot be hard-wired in this way.
          Instead, they argue that genes might influence brain development by determining a system’s “architectural constraints”. By establishing the physical structure of a system, they argue that genes would, in effect, by determining the learning algorithms the system employs to respond to the environment. They argue that the specific propositional information in the system would be determined as a result of the system responding to environmental stimulation.

          Die Debatte hatten wir in diesem Artikel:
          https://allesevolution.wordpress.com/2012/03/01/die-biologie-der-sprache-pidgin-und-kreolsprachen/

          Ich meine nach wie vor, dass die pidgin und kreolsprachen da ein guter Beleg sind.
          Im übrigen müsste dann eine vorinstallierte Software bestehen, die die Sprache erkennt und herausfiltert und dann abstrakte Regeln erstellt die dann – wie auch immer – in eine Struktur des Gehirns umgesetzt wird. Das ist eine sehr, sehr komplizierte Sache. Die Vorstrukturierung durch bestimmte Grammatikregeln erscheint mir einfacher und auch wesentlich leichter evolutionär zu entwickeln, weil man bestimmte Sachen ergänzen kann.

      • @Christian

        Ja, die Debatten hatten wir schon öfter hier, auch schon mit mir als Teilnehmer. Im Prinzip laufen meine Argumente gegen die Evolutionäre Psychologie auch auf Basis so eines Alternativmodells ab. Ganz banal gesagt: Innateness ja, aber die Innateness enthält keinen konkreten Inhalt, sondern Regeln zur Spezifizierung von Inhalt. Damit hat sich für mich ein Großteil der EP konzeptuell erledigt, weil die nämlich genau das behaupten.

        Darum dreht sich auch die Debatte: Wie lässt sich das, was uns die Natur mitgibt, eigentlich konkret verstehen?

        Wenn ich ihn richtig verstehe, dann baust du da auch einen so nicht zutreffenden Widerspruch auf. Dawkins und Co. gehen nicht davon aus, dass es einen “blueprint” gibt.

        An dem Punkte angelangt würde ich mal direkt sagen: Kauf Dir doch mal das Buch „Rethinking Innateness“. Das ist sehr gut und hat weite Wellen geschlagen (und tut das bis heute). Sicherlich stimmt, dass die beiden verschiedenen Forschungsansätze noch eine weile weiter bestehen werden. Mir persönlich liegt der flexibleren Ansatz eher.

        Ich meine nach wie vor, dass die pidgin und kreolsprachen da ein guter Beleg sind.
        Im übrigen müsste dann eine vorinstallierte Software bestehen, die die Sprache erkennt und herausfiltert und dann abstrakte Regeln erstellt die dann – wie auch immer – in eine Struktur des Gehirns umgesetzt wird. Das ist eine sehr, sehr komplizierte Sache. Die Vorstrukturierung durch bestimmte Grammatikregeln erscheint mir einfacher und auch wesentlich leichter evolutionär zu entwickeln, weil man bestimmte Sachen ergänzen kann.

        Wieso ist das komplizierter? Ich hatte ja schon einmal das Beispiel evolutionärer Algorithmen genannt. Die erlauben eine situationsabhängige Selektion von bestimmten Parametern, und sind damit viel flexibler als ein direkt geschriebener Algorithmus für ein spezifisches Problem. Sie haben natürlich auch wieder ihre Nachteile, weil sie Zeit und Kapazität benötigen, um sich zu optimieren. Aber so eindeutig scheint mir das mit der „Komplexität“ nicht zu sein.

        Abgesehen davon: Es ist kein Zufall, dass Chomsky und Pinkers Modell keineswegs (mehr) den Standard in der Linguistik darstellt. Denn in Deiner Verlinkung von Dir mit dem Zitat von Pinker zeigt sich ja schön, dass das ganze sehr unspezifisch ist. Welche syntaktischen Regeln sind denn dann bitte genau fest im Gehirn verankert? Das müssen ja Regeln sein, die allen Pidgin-Sprachen gemein sind. Welche sind das konkret?

        Hier lässt sich dann einfach das gegensätzliche Argument aufmachen: Alle Regeloptionen fest im Gehirn zu verankern wäre viel zu komplex. Chomsky’s Prinzipen- und Parametertheorie aus den 1980er Jahren war genau so ein Versuch. Chomsky hat seitdem versucht, den Umfang der Universalgrammatik in seiner Theorie drastisch zu reduzieren. Aber es geht nicht nur um den Umfang sondern eben auch um die Frage: Was ist die Natur der Universalgrammatik? Enthält sie spezifische syntaktische Regeln oder eher bestimmte Selektionprinzipien, die dann Regeln eines bestimmten Typs erzeugen? Das wäre dann auch eine Art von Prinzipien- und Parametermodell, aber nicht mit einem großen Container von syntaktischen Regeln im Gehirn, sondern eine Erzeugung von stabilen Strukturen durch soziale Interaktion auf Basis von sehr abstrakten Metaregeln, die für alle Sprachen allgemein gelten (syntaktische Rekursivität z.B.).

        Man muss weiter sehen: Das Chomsky-Modell neigt dazu Sprache als ein statisches Regelwerk anzusehen, nachdem sie einmal erworben worden ist. Ist sie aber nicht, sie ist ein Regelsystem, dass sich auch lange nach dem Spracherwerb durch den Sprachgebrauch ständig restrukturiert. Diese Prozesse der Grammatik sich durch ihren eigenen Output neu zu kalibrieren, kommem in Chomskys generativer Grammatik nicht vor.

        Also es gibt, denke ich jedenfalls, einige Argumente, die man gegen die Chomsky-Linie in der Linguistik anführen kann. Und insofern Pinkers Form von Nativismus eine Art verallgemeinerter Chomsky ist, gilt das auch für Pinkers Theorien.

  8. @itsme 18.6.
    „Die Evolutionäre Psychologie ist total unterkomplex. Und ich teile auch seine interdisziplinäre Vorstellung.“
    Meinungen sind noch keine Wissenschaft. „Unterkomplexität“ ist in logischen Theorien eine beweisbare Aussage im Sinne von „Aussage X ist im Axiomsystemsystem Y ableitbar“ oder eben nicht. Andere gehen hin und überprüfen die Unentscheidbarkeit in Theoriesystemen oder aber beziehen den Lösungsaufwand für eine AUgabe als Komplexitätsmaß heran.

    Insofern erscheint mir das Konzept „Ich bin der Meinung E ist unterkomplex“ als objektivierbares Maß des erklärungswertes einer Theorie recht bemerkenswert. Ich persönlich würde noch den Schritt soweit gehen, dass Meinungen „Theorie X ist unterkomplex“ ohne Komplexitätskonzept und entsprechende Komplexitätsmetrik einfach nur Gelaber sind.

    • Nun, ich glaube, dass uns die Mathematik mit ihren Vorstellungen von Komplexität hier schlicht nicht weiterhilft. Wer sagt denn, dass der logische Begriff der Unterkomplexität uns für das Problem hier auch nur einen Funken von Erkenntnis bringt? Denn es geht ja um die Beziehung einer Theorie zur Wirklichkeit. Ob die Modelle, in denen ich eine logische Aussage bewerten kann, irgendwas mit der Wirklichkeit zu tun haben, ist etwas, dass sich leider mathematische nicht objektivieren lässt. Die Frage, die bei meinem Komplexitätsbegriff im Hintergrund steht ist also folgende: Ist die evolutionäre Psychologie eine Theorie, die ein Konzept von Evolution besitzt, dass mit im Angesicht dessen, was wir aus der Biologie über Evolution wissen einen hinreichenden Begriff von Evolution besitzt?

      Abgesehen davon: Da die evolutionäre Psychologie m.W. ihre Theorien nicht in einem Maße axiomatisiert hat, um überhaupt mit Deinen Begriffen diese Frage auch nur stellen zu können, würde ich Dich doch vielleicht bitten, diese Aufgabe hier für uns zu erledigen. Im Angesicht Deiner bemerkenswerten mathematischen Fähigkeiten sollte das ja eine Leichtigkeit darstellen. Dann hätten Deine Kommentare auch für mich einen erkennbaren epistemischen Nutzen.

      Meinungen sind noch keine Wissenschaft.

      Ich würde sagen, dass so eine Aussage ohne Wissenschaftsbegriff leider nur Gelaber ist.

  9. „Du scheinst ja diese Theoretiker alle sehr gut zu kennen:

    Ja, dann erzähl mir doch ein bisschen etwas von Bourdieu: Z.B. über das Problem von Subjektivismus und Objektivismus in den Wissenschaften.Und dnn noch:“
    Das ist Dein Fokus. Mein Fokus war und ist: Liefert Bordieu eine von Bodieu unabhängige Theorie von empirischer Relevanz.

    Ich habe dazu nichts gefunden und kann meine Zeit nicht vertieft mit Schwurbeleien zubringen. Denn letztlich ist doch erst meine Reflektion über deren logischen Gehalt der Produzent logischen Gehalts von dererlei Ausführungen.

    Da ich keinen Soziologielehrstuhl anstrebe sind diese Dinge für mich irrelevant und aus fachlicher Sicht (Mathematik und Ökonomie) völlig irrelevant.

    • Schwachsinn!
      Du diskreditierst Theorien etc., ohne sie überhaupt zu kennen!
      Aber denke, wenn Du sie nicht kennst, erübrigt sich eine weitere Diskussion mit Dir diesbezüglich.

      • „Du diskreditierst Theorien etc., ohne sie überhaupt zu kennen!“
        Nein. Ich diskreditiere nicht. Wieso sollte ich? Sie haben schlicht keinen Erklärungswert für die Fragestellungen, die mich interessieren und für relevanter halte als eine Hermeneutik Bordieus oder wessen auch immer.

        Welchen Erklärungswert hat denn irgendeine Theorie Bordieus für eine numerische Prognose mittelfristiger Geldmarktzinsen? Keine. Oder kann ich anhand von Bodieus Theorie eine Prognose abgeben welche Programmiersprache das nächst DIng sein wird? Also halte ich Bodieu für nutzlos hierfür. Und dass Bordieu in die Fußstapfen des philosphischen Idealismus tritt, macht es vollends unsympathisch.

      • @Dummerjan

        Öhmm, Bourdieu war Soziologe und kein Ökonom. Er hat somit auch nichts über die Relativitätstheorie oder elektromagnetische Wellen geschrieben.
        Und wie Du bei Bourdieu auf Idealismus kommst, entzieht sich meiner Kenntnis.
        Aber ich denke, eine weitere Auseinandersetzung zu diesem Thema scheint zumindest für mich sinnlos zu sein.
        Wünsche weiterhin schönen Aufenthalt auf diesem Blog! 😀

      • @Dummerjan

        Sie haben schlicht keinen Erklärungswert für die Fragestellungen, die mich interessieren

        Stellt sich die Frage, welchen Wert dann Deine Aussagen über diese Theorien haben, nicht oder? Gut wäre es auch einmal nachzudenken, welchen Wert vielleicht Aussagen von Bourdieu über Deine Theorien haben – worin ja bereits klar ist, dass das Erkenntnisinteresse Bourdieus ein anderes ist, als die Frage der zukünftigen Zinssätze auf dem Kapitalmarkt.

        Übrigens mal eine spezifischere Frage, die mich interessieren würde: Wenn Du eine Theorie hättest, die Dir die zukünftigen Zinssätze auf dem Kapitalmarkt zu einem bestimmten Voraussagezeitpunkt richtig voraussagt, und nun alle Akteure auf dem Kapitalmarkt nach und nach diese Theorie einsetzen würden, um ihre Invenstionsentscheidungen zu treffen, wie würde sich das auf die zukünftige Prognosefähigkeit Deiner Theorie auswirken? Hast Du dazu auch eine Metatheorie über die zukünftige Prognosefähigkeit deiner Theorien erster Stufe? Denn das ist ja sehr wichtig, weil es dabei um reale Investitionen geht.

      • Sagt mal, was haltet ihr eigentlich vn Edward O. Wilsons Idee der „Einheit des Wissens“? nach Wilson basieren „alle greifbaren Phänomene, von der Sternengeburt bis hin zu den Funktionsweisen von gesellschaftlichen institutionen aus materiellen Proessen, die letzten Endes auf physialische Gesetze reduzierbar sind“ (Wlisons gleichnamiges Buch, S. 355) Weiter sagt er. „Die beste Strategie bei diesem Unterfangen ist, Erklärungen für Ursache und Wirkung zu finden, die quer durch alle Organisationsebenen kohärent bleiben.“

        Das Programm ist sicher in der konkreten Durchführung noch mit etlichen Schwierigeiten behaftet, aber daraus könnte man zumindest folgen, dass in allen Bereichen menschlicher Erkenntnis gleiche Maßstäbe bzw. Erkenntnismethoden verwendet werden müssten. Demnach hat Bourdieu vielleicht nichts über Ökonomie oder Physik geschrieben, aber für ihn gelten die gleichen Kriterien wie für alle anderen Wissenschaften. Ich kenne nun Bourdieu praktisch nicht, aber wenn er sich wirklich auf den philosophischen Idealismus beruft, ist das schon ein wichtiger Einwand gegen die Relevanz seiner Theorien.

      • @El_mocho

        Erinnert mich ein wenig an das Programm einer physikalistischen Einheitswissenschaft im Wiener Kreis. Carnap z.B. hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Der logische Aufbau der Welt“, das dafür die Grundlage legen sollte. Was Wilson da ausführt ist insofern ein klassisches physikalistisches Programm, das allerdings auch bestimmte Annahmen macht. Und ein Problem, was der Wiener Kreis bekam, war genau zu definieren, was eigentlich die basalen Fakten sind, die erklärt werden müssen. Denn neben der Annahme eines einheitlichen Erklärungsmusters – also der Suche nach kausalen Relationen – muss man ja auch davon ausgehen, dass es ein gemeinsames Objekt gibt, was sich auf Dauer in einer großen Theorie vereinheitlichen lässt. Und hier scheiden sich dann die Geister – und schieden auch sich schon unter den Mitgliedern des Wiener Kreises.

        Einigermaßen berühmt geworden innerhalb der analytischen Philosophie ist z.B. der Angriff Wilfrid Sellars auf das, was er „The Myth of the Given“ nannte. Sellars war der Ansicht, dass es nicht einfach möglich sein wird, den Einheitsgegenstand für die Einheitswissenschaft zu finden. Und das ist ein Problem, denn es ist in der Tat keineswegs ausgemacht, dass die Natur der Tatsachen in allen Wissenschaften identisch sein muss. Ein Beispiel ist der sehr interessante Aufsatz „The Facts of the Social Sciences“ (1943) von Friedrich August von Hayek, der dafür argumentiere, dass die Tatsachen der Sozialwissenschaften von wechselseitigen Zuschreibungen der Mitglieder einer Gesellschaft abhängig sind. Und dass deswegen die Sozialwissenschaften grundlegend anders verfasst sind als die Naturwissenschaften. Hayek hat dementsprechend auch direkt Position bezogen gegen Versuche die Sozialwissenschaften in ein, wie man damals im Nachhall des Wiener Kreises sagte, positivistisches Wissenschaftsmodell zu integrieren. Bei Hayek spielt natürlich auch ein politischer Hintergrund mit hinein. Seiner Ansicht nach war das Versuch Sozialwissenschaft positivistisch aufzufassen, maßgeblich dafür verantwortlich, dass man an die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Makroplanung glaubte – wie sie damals in der Sowjetunion versucht wurde. Und Hayek als Liberaler war bekanntlich ein Gegner dessen und suchte folglich nach Argumenten, warum hierbei ein grundlegendes Problem besteht. Allerdings ist Hayek nicht der einzige, der solche Argumente vorgebracht hat – Dilthey und Husserl für die Geisteswissenschaft bzw. die Psychologie haben ähnliche Überlegungen angestellt, die dann von Psychologen der phänomenologischen Psychologie auch weiterverfolgt wurden. Mainstream ist das nie geworden, weil sich mit naturwissenschaftlichen Methoden natürlich die Hoffnung einer kausalen Kontrolle bestimmter Faktoren verbindet. Andererseits hat die Psychologie bis heute kein einheitliches mathematisiertes Standardmodell.

        Sehr informativ zu Sellars Angriff auf den „Myth of the Given“:

        http://plato.stanford.edu/entries/sellars/#4

        Wie man sicht da letztlich entscheidet ist wohl offen. Aber jede Seite hat ihre spezifischen Probleme.

    • Abgesehen davon, dass ich an dieser Stelle mal wieder den Skeptiker spielen musste, scheint das Buch von Wilson aber sehr interessant zu sein – auch weil er offenbar den schönen Begriff „consilience“ geprägt hat, um gewissermaßen das Zusammenwachsen verschiedener Theorieansätze zu beschrieben.

      Das Buch von Wilson kommt also definitiv auf meine Liste der interessanten Bücher.

      Abgesehen davon gibt es auch von Hayek eine interessante Aufsatzreihe von 3 Aufätzen mit dem Titel „Scientism and the Study of Society“, die das ganze historisch betrachtet, sowie ein Buch mit dem Titel „The Counter-Revolution in Science“, das von einigen Verfechtern des Radikalliberalismus auch kostenlos online zu beziehen ist (wie man ohnehin erwähnen muss sind Libertäre in der Verteilung ihrer geistigen Produktionsmittel erstaunlich kommunistisch). Leider ist das Buch etwas langatmig, die Artikel sind besser, aber m.W. nicht umsonst zu beziehen.

  10. „Und wie Du bei Bourdieu auf Idealismus kommst, entzieht sich meiner Kenntnis.“ Glaub ich nicht. Deiner Kenntnis entzieht sich eher was denn unter „philosophischem Idealismus“ verstanden wird.
    „Aber ich denke, eine weitere Auseinandersetzung zu diesem Thema scheint zumindest für mich sinnlos zu sein.“
    Das ist eine sehr interessante Aussage- dieses Zeigen auf den Anderen ohne positive zu Argumentieren.
    Wo bitte bringst DU ein verifizierbares Argument z.B. zu der philosophischen und erkenntnistheoretischen Position Bordieus in einer konkreten Untersuchung? Nirgends. Nur Namedropping. Wissenschaft ist aber keine Boulevardzeitung.

    • @Dummerjan

      Du schreibst:

      Glaub ich nicht. Deiner Kenntnis entzieht sich eher was denn unter “philosophischem Idealismus” verstanden wird.

      Und:

      as ist eine sehr interessante Aussage- dieses Zeigen auf den Anderen ohne positive zu Argumentieren.
      Wo bitte bringst DU ein verifizierbares Argument z.B. zu der philosophischen und erkenntnistheoretischen Position Bordieus in einer konkreten Untersuchung? Nirgends. Nur Namedropping. Wissenschaft ist aber keine Boulevardzeitung.

      Kommentar:

      Nach reiflicher Überlegung des von Dir Gesagten bin ich wieder einmal zu folgendem Schluss gekommen:

      „Hier ist so alles falsch, dass nicht einmal das Gegenteil richtig ist.“ 🙂

      • Angesichts des folgenden Zitats (Übersetzung)
        „[d]ieser wirtschaftswissenschaftliche Kapitalbegriff reduziert die Gesamtheit der gesellschaftlichen Austauschverhältnisse auf den bloßen Warenaustausch, der […] vom Eigennutz geleitet ist.“ aus
        Bourdieu, Pierre: Die verborgenen Mechanismen der Macht. Hamburg: VSA-Verlag, 1992, 50
        welches
        1. eine ökonomische Aussage bewertet und
        2. angesichts der Tatsache dass z.B. Gary Becker und Jacob Mincer bereits in den 50 er einen wesentlich weiteren Kapitalbegriff für Bildungskapital verwendeten als der hier von Bodrieu kritisierte und
        3. dass der „blosse Warenaustausch“ eben nun mal Untersuchungsgegenstand der Ökonomie ist und daher
        per Definition darauf reduziert ist – also von vornherein nicht „total“ ist
        kann man nicht umhin zu konstatieren dass Bordieu ökonomische Aussagen trifft, welche schlichter Unsinn sind.

        Insofern ist der Einwand, dass Bordieu als Soziologe keine ökonomischen Aussagen trifft gegenstandslos.
        Und diese ökonomischen Aussagen sind fehlerhaft, sowohl die Definition als auch deren Anwendung betreffend.

        Sobald Bordieu die beobachtende Empirie verläßt erzählt der gute Mann ökonomischen Unsinn, und konzeptionell ist er ein verschwurbelter philosophischer Idealist – ein purer Geist im luftleeren Raum.

      • @Dummerjan

        Du solltest Deine hochgeistigen Flatulenzen nicht hier vergeuden, sondern unbedingt ein Buch schreiben, in dem Du darlegst, dass Bourdieu einfach von nix eine Ahnung gehabt hat, worüber er schrieb.
        Ich bin überzeugt, dass wird ein sozialwissenschaftlicher Knüller! 😀

      • @Dummerjan

        dass der “blosse Warenaustausch” eben nun mal Untersuchungsgegenstand der Ökonomie ist und daher
        per Definition darauf reduziert ist

        Das ist ja das Problem mit der „Ökonomie“: Ihr Gegenstand ist eine Fiktion. Denn der bloße Warentausch existiert nicht und hat nie existiert. Oder wann hast Du das letzte Mal eine Ware bloß getauscht? Normalerweise ist dabei Geld im Spiel. Und Geld ist keine simple Ware sondern ein soziales Verhältnis, in dem das menschliche Individuum zum ökonomischen Gesamtsystem steht. Interessanterweise wird vom Geld aber in nahezu allen makroökonomischen Modellen abstrahiert – jedenfalls im Mainstream – auch wenn Paul Krugman bspw. kürzlich ein Working Paper geschrieben hat, in dem er versucht Kreditdynamik in seine Modelle zu integrieren. Bisher war das eher nicht vorhanden. Abgesehen von bestimmten Ausnahmen jenseits des Mainstreams im sog. Post-Keynsianismus, wo mir gerade zwei Leute einfallen, die auch mathematische Modelle in dieser Richtung entwickelt haben.

        Wenn nun die Ökonomie ein Begriff von Kapital hat, bei dem alles Kapital ist vom Stromkabel, über die CNC Fräse bis zum Gebäude in dem das alles besteht inkl. den Menschen, die darin arbeiten – dann stellt sich die Frage, wie wertvoll so ein Begriff ist. Dazu darf man nicht vergessen, es gibt ja eine wesentliche innerökonomische Kontroverse über den Kapitalbegriff. Die sog. „Cambridge Capital Controversy“, die sicher interessant ist, leider aber selbst Ökonomen heute kaum noch bekannt.

        http://en.wikipedia.org/wiki/Cambridge_capital_controversy

  11. „Das ist ja das Problem mit der “Ökonomie”: Ihr Gegenstand ist eine Fiktion. Denn der bloße Warentausch existiert nicht und hat nie existiert.“
    Das ist ja das Problem der Physik: Der Massepunkt hat nie existiert. Oder hat man schon mal einen Massepunkt gesehen.
    Das ist ja das Problem der Chemiie: Die Elektronenschalen exisiteren nicht.

    Usw usf.
    Dass ein bestimmtes Modell abstrahiert ist doch trivial. Modelle sind Abstraktionen. Relevant ist, ob damit die zu erklärenden Phänomene abgebildet werden und damit praktische Prognosen möglich sind, die auch falsifizierbar sind.

    Und wenn ich mir so ansehe, wieviele Finanzkrisen wir hatten und vergleich wieviele Flugzeuge abstürzten (ohne Prognose), Tsunamis ausbrachen (ohne Prognose) , Erdbeben usw usf. dann befindet sich die Ökonomie nicht in schlechtester Gesellschaft, was die mangelnde Güte ihrer Prognosen betrifft.

    Und wenn ich eben dies oder das von Bordieu zur Ökonomie lese, dann finde ich dort weder eine falsifizierbare Aussage oder Prognose, sondern
    nicht überprüfbare oder nicht operationalisierbare Begriffe.

    Und zum Verständnis des Warenaustauschs als ´gesellschaftlichem Verhältnis empfehle ich doch mal einfach die Erste seite des Kapital Band 1 von Karl Marx zu lesen – damals war das wenigstens eine einigermassen neue Sicht (auch wenn man das schon bei Saint-Simon findet).
    Manchmal – das ist eher ein Stossseufzer als konkrete Kritik – scheint eher mangelnde Kenntnis der Fachgeschichte Grundlage für die Diskussion zu sein.

    • Naja, wenn die Physik von der Zeit abstrahieren würde, so dass sich der Massepunkt nicht mehr bewegen würde, dann wäre das in etwa vergleichbar mit der komparativen Statik markoökonomischer Modelle. Das Problem ist ja nicht, dass es Angebot und Nachfrage nicht gibt – sondern, dass diese nicht so zusammenkommen, wie das gewöhnlich dargestellt wird, mit den schönen Kurven, die sich irgendwo schneiden. Damit abstrahieren diese Modelle aber eigentlich nicht von bestimmten Teilen der Realität, sondern von der Dynamik der Realität selbst. Wie man damit kausale Prozesse erforschen will, ist mir schleierhaft.

      Man stelle sich mal vor man hat in der Physik ein nichtlineares System und greift willkürlich zwei Zustände heraus, die man dann vergleicht ohne die Gleichungen des Systems in Abhängigkeit von der Zeit zu betrachten. Diese Metapher macht, denke ich, recht anschaulich was mit den Modellen schief läuft, die man im Studium der Makroökonomie m.W. bis zum Master hauptsächlich lernt.

      Und wenns dann dynamisch wird, wird wieder von wesentlichen Punkten abstrahiert. Ein schönes Beispiel aus Heijdra (2009), Foundations of Modern Macroeconomics, p.502, Fn. 3: „In this chapter we make use of the method of comparative dynamics. This method loglinearizes the non-linear model and tackles the issue of dynamics in the (much easier to analyze) linear world.“ Gut nicht? Vielleicht haben wir gerade von der Finanzmarktkrise abstrahiert? In dem Kapitel geht es übrigens um „Real Business Cycles“.

      Um das in die Physik zu transponieren: Würden wohl die nichtlinearen Effekte physkalischer Systeme erhalten bleiben, wenn ich sie nach der „method of comparative dynamics“ behandeln würde?

      Diese Geschichte mit der Abstraktion ist zwar richtig, aber eben nicht zutreffend was das Problem angeht. Es ist eben nicht so, wie ein gewisser Milton F. mal behauptet haben soll, dass man haufenweise falsche Annahmen machen kann, Hauptsache die Vorhersagen stimmen. Ich denke Theorien sollten sehr wohl Einsicht in die kausalen Relationen eines Gegenstandbereichs ermöglichen. Denn wie soll ich den Gegenstandbereich ansonsten kontrolliert beeinflussen können? Wie das aber möglich sein soll, ohne dass die Strukturbeziehungen zwischen den Gegenständen in der Theorie auch nur im entferntesten eine Ähnlichkeit mit der Wirklichkeit aufweisen, das magst Du mir gern erklären. Du hast ja mal das Beispiel einer Landkarte gebraucht. Das ist ein sehr schönes Beispiel, weil die Landkarte ja gerade eine bestimmte relevante – nämlich für das Problem den Weg von A nach B zu finden – Ähnlichkeit mit dem auf der Karte abgebildeten Stück Land hat.

      Und wenn ich mir so ansehe, wieviele Finanzkrisen wir hatten und vergleich wieviele Flugzeuge abstürzten (ohne Prognose), Tsunamis ausbrachen (ohne Prognose) , Erdbeben usw usf. dann befindet sich die Ökonomie nicht in schlechtester Gesellschaft, was die mangelnde Güte ihrer Prognosen betrifft.

      Wenn Flugzeuge abstürzen ohne Prognose ist das sicher etwas anderes als wenn die Wirtschaft abstürzt mit falscher Prognose, oder? Es gibt viele Dinge, für die es keine Prognosen gibt, aber in früheren Zeiten hat man Propheten wegen falscher Prognosen erschlagen. Angesichts der Tatsache, dass Ökonomen in unserer Gesellschaft Macht und Einfluss haben, sollte man erwarten können, dass sie halbwegs wissen, was sie sagen. Und wenn man sich Aussagen von Ökonomen anschaut, die kurz vor der Krise getroffen wurden stellt man fest (ich jedenfalls): Bis auf wenige Ausnahmen lagen sie alle daneben. Also ich würde sagen: Wenn eine Wissenschaft zum wiederholten Male nicht in der Lage ist derartig relevante Prozesse in ihrem Untersuchungsgebiet zu erklären (immerhin sind jetzt eine Menge Leute in Spanien arbeitslos, die Staatsverschuldung steigt etc… ganz schön teuer alles) und es vielmehr Tendenzen gibt dieses Versagen wegzuerklären, dann stimmt etwas nicht. Bei den Tsunamis und den Erdbeben besteht m.W. eher das Problem, dass uns die Prozesse unzugänglich sind. Aber im Rahmen dessen, was uns zugänglich ist, funktioniert manches schon: Das Tsunamifrühwarnsystem in Japan hat z.B. durchaus funktioniert – es haben nur nicht genug Leute darauf gehört.

      Abgesehen davon ist es ja auch so, dass es sehr wohl Theorien gibt, die den aktuellen Kollaps halbwegs plausibel erklären können. Viele sind nicht mathematisiert – die bekannteste ist sicherlich die von Hyman Minsky. Aber es gibt tatsächliche ein paar Leute, die daran anknüpfend sich auch mathematische Gedanken gemacht haben. Der Australier Steven Keen z.B.. Auch die österreichische Schule der Nationalökonomie hat mit ihrer Konjunkturtheorie eine halbwegs plausible Erklärung. Und auch der gute alte Karl Marx wusste auch schon so einiges mehr über die heutige Krise als das Lehrbuch der „Modern Macroeconomics“. Eines haben diese Theorien übrigens alle gemeinsam: Es sind keine Gleichgewichtstheorien. Stellt sich also die Frage, warum das alles nicht zur Kenntnis genommen wurde? Vielleicht weil man sich zu sehr selbst belobigt hat?

      Und zum Verständnis des Warenaustauschs als ´gesellschaftlichem Verhältnis empfehle ich doch mal einfach die Erste seite des Kapital Band 1 von Karl Marx zu lesen – damals war das wenigstens eine einigermassen neue Sicht (auch wenn man das schon bei Saint-Simon findet).
      Manchmal – das ist eher ein Stossseufzer als konkrete Kritik – scheint eher mangelnde Kenntnis der Fachgeschichte Grundlage für die Diskussion zu sein.

      Gibt es eigentlich irgendeinen objektiven Grund, warum Du den Mund immer so voll nimmst? 😀 Erste Seite Karl Marx Kapital Band 1: „Die Ware ist zunächst ein äußerer Gegenstand, ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt.“ Von Warentausch steht da gar nichts auf der Seite. Der Wert der Ware wird dann, eine Seite später, als soziale Beziehung eingeführt. Vielleicht ist Dir bei der Lektüre dieses Werkes aber aufgefallen, dass Marx immer solche Formeln der Art W-G-W und G-W-G aufschreibt, wobei G für Geld, und W für Ware steht. Damit will er andeuten, so scheint mir in aller Bescheidenheit, dass man nicht von Geld als Transmissionssystem der Warenzirkulation abstrahieren sollte, es sei denn man will die Essenz des Ganzen verfehlen. Und für Marx ist klar, dass das Prozesse sind, deren Ablauf Zeit braucht.

      Interessant auch dieses Zitat: „Diese Formen (= die Metamorphosen der Ware als G-W-G und W-G-W) schließen daher die Möglichkeit, aber auch nur die Möglichkeit der Krisen ein. Die Entwicklung dieser Möglichkeit zur Wirklichkeit erfordert einen ganzen Umkreis von Verhältnissen, die vom Standpunkt der einfachen Warenzirkulation noch gar nicht existieren“ (MEW 23, 128) Da sage noch mal einer der alte Karl Marx könnte tatsächlich für die These aus dem Grab geholt werden, der Gegenstand der Ökonomie sei die Warenzirkulation. Nun, mit Sicherheit nicht.

      Wo findet man das eigentlich auch bei St. Simon?

  12. Zum vorherrschenden Feminismus:

    Michael Klein (von den Science Files) hat im Gelben Forum aufmerksam gemacht auf ein 2011 in Großbritannien erschienenes Buch „Exposing Feminism“ des britischen Autors Swayne O’Pie.

    http://www.wgvdl.com/forum/board_entry.php?id=238998

    Ich werd’s mir kaufen, weiß aber noch nicht, wann ich Zeit finde, es zu lesen.

    http://www.amazon.com/Why-Britain-Hates-Men-Exposing/dp/0956821901

    Dem Posting von Michael ist auch zu entnehmen, dass der Autor 78 der rund 430 Seiten zum kostenlosen Herunterladen in’s Netz gestellt hat, natürlich auf Englisch. Wer’s lesen mag:

    http://fightingfeminism.wordpress.com/2012/06/18/free-downloadable-material-from-swayne

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