Nadine Lantzsch und ihr Aufruf zur Solidarität im Feminismus als Versuch des Out-Groupings von Kritik

Anscheinend hat Nadine Lantsch mit ihrer Auffassung, dass Kinder triggern und ein Ausdruck von Heteronormativität sind doch einiges an Widerstand bekommen.

Sie nimmt dies aber natürlich nicht als Anlass, ihre eigene Haltung einmal kritisch zu hinterfragen, sondern fordert stattdessen in dem Artikel „Radikalität und Solidarität im feministischen Netz“ eben diese Solidarität unter Feministinnen ein.

Ich finde es eigentlich recht anschaulich für klassische Gruppendynamiken und Gruppenkämpfe.

Dabei beginnt sie damit, erst einmal darzustellen, wie sehr sie Teil der Gruppe „Netzfeminismus“ ist, was sie dieser gibt und was sie von dieser bekommt, sie stellt also dar, dass sie Teil einer In-Group ist, die sie möglichst weit zieht, eben der gesamte Netzfeminismus.

Dann aber die düstere Nachricht:

Seit einiger Zeit gewinne ich den Eindruck, dass sich durch diese Entwicklungen des queer-/feministischen Aktivismus im Netz Dynamiken zeigen, die ich mit Entsolidarisierung und Spaltung beschreiben würde. Während letzteres durchaus nötig ist, um politisch handlungsfähig zu bleiben (warum sollte ich mich einer Gruppe zugehörig fühlen, die meine Perspektiven unsichtbar macht?), habe ich mit ersterem so meine Bauchschmerzen.

Spaltung findet sie dabei ganz okay, wobei sie aus meiner Sicht eher Spezialisierung meint. Aber die mangelnde Soldarität wird dann wie folgt bemängelt:

Solange Queer-/Feminismus kein gesellschaftlicher Status Quo, keine Selbstverständlichkeit ist, nicht das Denken aller Menschen durchzieht, ist eine aktive Abgrenzung davon eher schädlich. Das heißt nicht, dass ich alles gutheißen muss, sondern ich sollte darauf schauen, wo und wie ich Kritik übe. Warum sollte ich dafür die FAZ als Plattform nutzen? Statt eines feministischen Blogs? Solidarität heißt auch, die Möglichkeit von Bündnissen offen zu lassen. (…)  ch habe meine Position als Bündnispartnerin wahrgenommen, Kritik habe ich dennoch an dieser Aktion, zumindest an weiten Teilen der Inhalte. Ich muss diese aber nicht in Mainstreammedien äußern, die meine Perspektive sowieso verflacht und antifeministisch rezipieren und damit den Backlash- und Postfeminismusdiskurs weiter befeuern, sondern ich kann das auf meinem Blog tun, wo ich die Regeln bestimme oder das Gespräch mit den Initiator_innen suchen. Allerdings heißt auch hier das Gebot der Stunde Solidarität. Ich sollte mir nämlich Gewahr sein, dass ich zwar Teil einer queer-/feministischen Gruppe bin, ergo meine Kritik auch immer eine innerfeministische ist, mein Blog aber auch von Leuten gelesen wird, die Feminismus scheiße finden, ablehnen oder gar bekämpfen.

Man solle also nicht richtig kritisieren, sondern nur auf bestimmte Zusatzaspekte aufmerksam machen, die der andere übersehen hat. Das setzt natürlich voraus, dass man sich in den Grundlagen einig ist. Echten Widerspruch kann es mit dieser Position nicht geben.

Soll es aber auch nicht.

Wie man Kritik vorbringt wird dann näher ausgeführt

Dementsprechend muss ich entweder geschützte Räume dafür aufsuchen (eine E-Mail schreiben zum Beispiel) oder, wenn ich will, dass möglichst viele solidarische Menschen meine Kritik mitbekommen, mein Blogpost entsprechend verfassen. Ich muss immer das “Draußen” mitbedenken in diesem Internet. Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die alles durchziehen und aufpassen, in welchen Diskurs ich mich reinsetze mit meiner Kritik (…) Ich kann den Ableismus an Kiyaks Aussagen kritisieren und mich trotzdem solidarisch mit ihr zeigen. Einerseits, weil ich es nicht zulassen kann, dass ein Unterdrückungsverhältnis gegen das andere ausgespielt wird (und damit Bündnisse und Solidarität zu Recht verhindert werden) und andererseits ich marginalisierte Sprechpositionen nicht unsichtbar machen will. Warum? Weil ich durch die Unsichtbarmachung den rassistischen Diskurs unterstütze, der ja tagtäglich marginalisierte Sprechpositionen in die Peripherie drängt.

Also ist die Devise: Interne Kritik doch bitte leise, in „geschützten Räumen“, wo sie keiner mitbekommt, am besten hinter verschlossener Tür.

Dabei verweist sie auf den gemeinsamen Feind: Es ist also ein Appell doch bitte die Reihen der vorher dargestellten In-Group fest zu schließen, indem man darauf hinweist, dass diese ja schließlich unter Beschuß ist. Also der alte Mechanismus: Innenpolitik stabilisiert man am besten, indem man sie mit außenpolitischen Problemen überdeckt. Wer seine In-Group disziplinieren will, der braucht eine Bedrohung der In-Group von außen.

Im nächsten Schwenker versucht sie dann Radikalismus als notwendigen Bestandteil der In-Group zu definieren und auf diesem Weg eine Ausgrenzung aus dieser zu verhindern:

Da mein Eindruck ist (wie oben beschrieben), dass queer-/feministischer Aktivismus im Netz nun stärker im Mainstream rezipiert wird oder Einfluss auf den Mainstream ausübt, ist es wichtig darauf zu achten, an wem und woran ich als Queer_Feminist_in Kritik übe und wie ich diese Kritik formuliere. Ich habe weiterhin den Eindruck, dass hier zwei Entwicklungen parallel verlaufen: Einerseits bietet das geöffnete Türchen in den Mainstream die Möglichkeit, dort radikale Positionen unterzubringen, wovon ja viele rege Gebrauch machen. Andererseits sehen einige durch radikale Positionen das geöffnete Türchen in Gefahr und fangen an, sich aktiv von diesen Positionen abzugrenzen, sich mit diesen Positionen (die ja weiterhin prekäre und marginalisierte (Sprech-)Positionen sind) zu entsolidarisieren. Zweitere Entwicklung halte ich für gefährlich. Es ist ein Buckeln nach oben und Treten nach unten. Ein verinnerlichtes Teile-und-Herrsche-Prinzip, das bedient wird und wahrscheinlich auf eigenen Abwehrmechanismen gründet und letztlich nur reaktionäre, sexistische, rassistische, homophobe, transphobe und andere Unterdrückungsverhältnisse stützt.

Hier sagt sie im Prinzip „Wer gegen meine Position ist, stellt sich gegen den Feminismus und unterstützt dessen Feinde“. Kritikern wird also vorgehalten, dass sie mit ihrer Kritik Teil der Out-Group werden.

Dann versucht sie ihre Meinung weiter in der In-Group zu verankern: Nunmehr wandelt sich eine radikale Ansicht von einer Meinung, die man nur leise kritisieren soll, die eher am Rande stehen mag, aber doch Teil des ganzen ist, zu einem wesentlichen Teil der In-Group:

Keine radikalen Positionen zu vertreten, heißt immer auch, sich ein bisschen anzubiedern, Kompromisse einzugehen und Gefahr zu laufen, sich mit beispielsweise sexistischen Positionen gemein zu machen und damit beispielsweise Heteronormativität weiter zu stützen. Was im Endeffekt auch heißt, marginalisierte Sprechpositionen unsichtbar zu machen, wenn nicht gar weiter zu gefährden.

Jetzt ist also, nachdem erst besänftigt wurde, die Kritik eine Gefährdung der direkten Ziele der In-Group und damit eine Schädigung dieser.

Daraufhin folgt der Gegenangriff:

Ich habe Verständnis dafür, wenn nicht alle radikale Perspektiven aktiv unterstützen und beklatschen, weil sie andere Strategien politischen Handelns für sinnvoller bzw. gewinnbringender erachten, nur: für wen? Das kann gerne transparent gemacht werden, statt Objektivität zu postulieren oder den einen richtigen Weg für alle zu wollen. Ich habe allerdings kein Verständnis dafür, wenn hier auf Kosten vieler Politik für wenige gemacht wird.

Nunmehr ist die radikale Position nicht mehr radikal, sie ist ein Weg, der neben anderen steht und damit direkter Inhalt der Ansichten der In-Group.

Die Kritik wird dann mit weiterem Outgrouping in Verbindung gebracht:

Zumal sich teilweise in Zeiten des Streits und Widerspruchs auch mit Leuten zusammengeschlossen wird, die ganz offen antifeministische, rassistische oder sexistische Einstellungen pflegen und hofieren. Das ist unsolidarisch und schadet letztlich allen queer-/feministischen Aktivist_innen im Netz.

Würde mich ja mal interessieren, ob ich auch damit gemeint war. Ich hatte ja sowohl bei Kathrin als auch über Twitter einiges dazu gesagt.

Im weiteren wird dann die Gegenposition noch etwas herabgewürdigt und eine Opferposition ausgebaut:

Ich möchte daher zum Schluss nochmal daran erinnern, dass Solidarität auch ohne aktiven Zuspruch bekundet werden kann, Spaltungen notwendig und gut sind und eigene Abwehrreflexe nicht immer in geifernden Texten enden müssen, die eigentlich nur aussagen, dass marginalisierte Positionen doch bitte leise sein sollen. Wenn ich schon nicht an meinen eigenen Lücken arbeiten will, dann kann ich mich immerhin darauf ausruhen, dass es angesichts der Wirkmächtigkeit gesellschaftlicher Machtverhältnisse keine negativen Konsequenzen nach sich ziehen wird. Eher im Gegenteil. Oder einfach mal gar nichts sagen und mich auf das konzentrieren, was mir politisch wichtig ist.

Also: Die Kritik an ihr, gerade noch radikal, war ein geifernder Angriff, mit der eine marginalisierte Position (sie) ruhig gestellt werden sollte.

Der Text endet mit einer Klarstellung, dass sie eigentlich nur den Gruppeninteressen dienen will und alle solidarisch sein können.

Lantzschi baut also einen Text auf, indem sie ihre Position als Teil der feministischen In-Group zu definieren, Kritik an ihr als Unterstützung der Out-Group und schwächung der In-Group.

Eine Gegenstrategie wäre nun, entweder klarzustellen, dass sie mit ihrer Position nicht mehr Teil der feministischen In-Group ist bzw. eine echte Spaltung darzustellen zwischen radikalen Positionen, denen man sich nicht zugehörig fühlt und eigenen, gemäßigteren Positionen- Das aber dürfte die interne Kritikfähigkeit des Feminismus überfordern. Es bleibt also nur, darzustellen, dass man mit der Kritik an ihr nur die In-Group schützen will und das Problem herunterzuspielen, eben als Differenz in einem Punkt und Betonung der beiderseitigen sonstigen Verankerung in der In-Group. Der Spannungspunkt bleibt dabei natürlich bestehen, er wird nur verdeckt.

Was eigentlich schade ist. Eine deutliche Distanzierung von Lantzschi und anderen radikalen Feministinnen hin zu einem gemäßigteren Feminismus würde der Bewegung sicherlich gut tun und wieder Gespräche ermöglichen.