Das etwas hochkomplexes und kulturabhängiges wie die Sprache auf biologischen Grundlagen beruhen kann, zeigt sich an Pigdinsprachen und Kreolsprachen
Pidginsprachen sind Sprachen, die entstehen, wenn Leute keine gemeinsame Sprache sprechen und sich irgendwie verständigen müssen. Sie sind ein Mischmasch dieser Sprachen ohne eine vernünftige Grammatik oder Struktur. Diese kann man aber sehr einfach in eine solche Sprache einbringen: Man braucht nur ein paar Kinder, die diese als Muttersprache erlernen. Die Kinder entwickeln automatisch aus dem Pigdin eine „Muttersprache“, eben ein Kreol.
Steven Pinker führt dies in „The Language Instinct“ wie folgt aus:
When speakers of different languages have to communicate to carry out practical tasks but do not have the opportunity to learn one another’s languages, they develop a makeshift jargon called a pidgin. Pidgins are choppy strings of words borrowed from the language of the colonizers or plantation owners, highly variable in order and with little in the way of grammar. Sometimes a pidgin can become a lingua franca and gradually increase in complexity over decades, as in the „Pidgin English“ of the modern South Pacific. (Prince Philip was delighted to learn on a visit to New Guinea that he is referred to in that language as fella belong Mrs. Queen.) But the linguist Derek Bickerton has presented evidence that in many cases a pidgin can be transmuted into a full complex language in one fell swoop: all it takes is for a group of children to be exposed to the pidgin at the age when they acquire their mother tongue. That happened, Bickerton has argued, when children were isolated from their parents and were tended collectively by a worker who spoke to them in the pidgin. Not content to reproduce the fragmentary word strings, the children injected grammatical complexity where none existed before, resulting in a brand-new, richly expressive language. The language that results when children make a pidgin their native tongue is called a creole.
Das ist eine bemerkenswerte Fähigkeit des Gehirns, die nach der dort vertretenen Ansicht eben auf eine Universalgrammatik schließen läßt, die kulturell nur mit den entsprechenden Wörtern und bestimmten Ausgestaltungen der Regeln versehen wird.
Es spricht deutlich gegen einen „Blank Slate„, sondern für eine Vorformatierung des Gehirns. Wir werden nicht einfach durch Sprache gestaltet, sondern finden einiges bereits in unserem Gehirn vor, was dann durch Kultur ausgestaltet wird. Anzeichen dafür, dass wir eine gewisse Vorformatierung haben, ergeben sich meiner Meinung nach aus vielen Studien, gerade auch im Geschlechterbereich (zu Unterschieden in den Sprachfähigkeiten vgl. „Sprache und Unterschiede im Gehirn von Mann und Frau„).
Ist es absicht dass sämtliche darauffolgenden arbeiten die anderes nahe- oder die angesprochene these widerlegen hier unterschlagen werden?
Immerhin ist das Buch von von 1994, die arbeit auf der es beruht von 90 und früher.
Seit dieser zeit wurden so gut wie alle dort aufgestellten thesen über kausalität mehrfach und unabhängig voneinander entkernt und die these der „Universalgrammatik“ in dem hier implizierten sinne ist nahezu vollständig widerlegt.
Die ganze debatte darum (und andere biologistischen ansätze die sie hier vertreten noch dazu) ist alles andere als neu, weit ab von anerkannt und zudem thema in einigen fachbereichen fast aller universitäten in deutschland. Das hier so unkritisch zu verbreiten halte ich für relativ peinlich.
Ich würde ihnen dazu empfehlen sich mal die entsprechenden arbeiten dazu von Maggie Tallerman, Geoffrey Sampson oder Michael Tomasello anzuschauen. Wenn sie das thema wirklich interessiert und sie nicht nur hinter bestätigung einer bioideologie her sind könnten sie ja auch mal eine Universität in ihrer nähe besuchen die den fachbereich Kognitionspsychologie bietet.
Bei unentschlossenheit tun es aber auch Standardwerke zur Kognitionswissenschaft – Sprache oder notfalls jede Feldstudie zur entwicklung von sprache der letzten jahre, weltweit.
Bitte mehr wissenschaftliche Sorgfalt, sonst verbreiten sie hier weiterhin widerlegtes und stark umstrittenes „fachwissen“ von vorgestern.
(Und: Nein, die Deutsche Wikipedia ist keine aktuelle & zuverlässige Quelle für diesen Themenkomplex, besuchen sie die Unibib. ihres vertrauens.)
@EvdM
Ich hatte es bei Pinker gelesen und fand es ganz überzeugend.
Was sind denn die Argumente für eine „nahezu vollständige Widerlegung“?
Geoffrey Sampson führt ja an, dass es einfach nicht belegbar ist, dass es so ist. Aber da sind meiner Meinung nach die Creolsprachen ein recht guter Beleg. Pinker führt ja auch ein Beispiel an, bei dem genau dies gut dokumentiert wurde, nämlich bei den Taubstummensprachen.
Wenn es reine Kultur ist, dann wäre es für mich wenig verständlich, warum gerade Kinder Creolsprachen schaffen, Erwachsene dies aber nicht hinbekommen, sondern im Pidgin bleiben.
Es ist eine enorme Leistung, die Kleinkinder vollbringen: Das Erlernen einer Sprache durch reines zuhören. Aufgrund der Bedeutung von Sprache ist der evolutionäre Wert bestimmter Regeln hierfür, die dies ermöglichen enorm.
Das Sprache eine große biologische Komponente hat wird auch daran deutlich, dass Sprachlernfähigkeiten ein deutliches Zeitfenster haben. Wir lernen sie als Kinder am besten, ab einem gewissen Alter wird es etwas schwieriger.
hier ist auch noch eine interessante Studie dazu (2003)
http://www.nature.com/?file=/neuro/journal/v6/n7/full/nn1077.html&filetype=pdf
Und:
@EvdM
Inwiefern zB. Chomsky’s „Universalgrammatik“ überholt oder sogar widerlegt sein sollte, erschließt sich mir nicht. Die Auseinandersetzungen werden immer noch, in neuesten Fachpublikationen zwischen Epigonen einzelner Richtungen geführt. Teilweise kritisch z.B. in Kambartel/Stekeler-Weithofer: Sprachphilosophie, 2005, 113ff.
Es bestreitet doch niemand, dass man in der Linguistik beispielsweise „alternative“ Konzeptionen, weg von den naturalistischen Ansprüchen der Grammatiktheorie entwickelt hat, wie z.B. Gazdar’s „Generalisierte Phasenstrukturgrammatik“ oder Kay’s „Functional Unification Grammer“, dennoch ist es vermessen zu behaupten, „“Universalgrammatik” in dem hier implizierten Sinne ist nahezu vollständig widerlegt.“
Dies zeugt von Unwissenheit und Überheblichkeit. Ein Eindruck, der durch Ihr Auftreten hier – „notfalls jede Feldstudie zur entwicklung von sprache der letzten jahre, weltweit“ – nur bestätigt wird.
Vielleicht sollten Sie einmal die Unibibliothek Ihres Vertrauens, fern den Genderinstituten und Frauentürmen Deutschlands besuchen. Schaden würde es sicher nicht.
Die Theorie eines „Blank Slate“ ist nicht haltbar, finden Sie sich damit ab oder nicht. Allein schon die Common-Sense-Erkenntnis, dass kleine Kinder über ostensiv-referentielle Handlungsanleitungen lernfähig sind – Wittgensteins Beispiele in den PU sind ja klassisch hierzu -, bestätigt Christian bis zu einem bestimmtend Grade.
Was du hier an Grammatiken anführst, ist ganz orthogonal zur Frage, ob es eine Universalgrammatik gibt. Du zählst hier Beschreibungsformate auf, die man ganz unabhängig davon nutzen kann, welcher Theorie des Spracherwerbs man anhängt. Die Universalgrammatik ist kategoriell etwas ganz anderes als die Reihe an formalen Systemen zur Erzeugung von Sätzen. (vgl. Syntax und Universal grammar)
@ Zhen
Das sehe ich anders. So weit ich mich erinnere, vertrat Kay die Auffassung u.a. in „FUNCTIONAL UNIFICATION GRAMMAR:
A FORMALISM FOR MACHINE TRANSLATION“, dass sich die Relationscharakterisierungen, wie sie in der FUG vorgenommen wurden, in ein Rahmenwerk einpassten, welches einen Teil dessen, was heute unter Semantik subsumiert wird, beinhaltet.
Da Semantik nun immer noch von der Bedeutung der Zeichen handelt, stellt sich die Frage, inwiefern diese Bedeutung systemimmanent erklärbar ist – die Bedeutung von Bedeutung.
Kay muss dies, in meinen Augen, wenngleich er es wohl nicht verfolgt hat, system“intern“ erklären, was eben einen Gegensatz zu einer „Universalgrammatik“, wie sie Chomsky vertritt, darstellt.
Daher ist dieses Beispiel in meinen Augen durchaus angebracht.
Kay hat also einen Formalismus zur maschinellen Übersetzung entwickelt. Dass so ein Formalismus auch eine Semantik beinhaltet, versteht sich von selbst. Den Zusammenhang zum Spracherwerb und zu Entwicklungsphasen des Gehirns sehe ich nicht. Mathematische Modelle haben generell auch irgendeine Art Semantik, so etwa auch die Aussagenlogik. Wenn du dich für Modelle begeisterst, kannst du dir ja mal die Montague-Grammatik ansehen. 🙂
@ Zhen
Tue ich das, mich für Modelle begeistern? Eigentlich nicht, das sind nur Bereiche, welche mir im Studium mehr oder weniger begegnet sind. Dass ein Formalismus eine Semantik beinhaltet! und nicht selbst, systemintern geriert, versteht sich von selbst. Kay interpretiere ich jedoch in zweiter Richtung, was deine Einwände bedeutungslos macht. Letztlich läuft es wieder auf -ismen hinaus.
Die Aussagenlogik handelt nun nicht von der Bedeutung der Zeichen sondern von Aussagen, Urteilen als Träger von Wahrheitswerten, zumal man die Aussagenlogik (klassisch) auch als Junktorenlogik auffassen kann.
@ Terminatus
*Dies zeugt von Unwissenheit und Überheblichkeit. Ein Eindruck, der durch Ihr Auftreten hier – “notfalls jede Feldstudie zur entwicklung von sprache der letzten jahre, weltweit” – nur bestätigt wird.*
Helas, it’s a genderist.
Die Ignoranz (in Sachen Biologie) ermöglicht die Arroganz, die Arroganz konserviert die Ignoranz. Eine Win-Win-Situation.
Und diese reizende Kombination führt dann zur Top-Down-Impelementierung ihrer durch Gender-Argot abgesicherten realitätsbefreiten Ideologie.(„Um Gottes Willen, wir könnten verstanden werden!“ – Bloß das nicht).
Zumal „lies erstmal XYZ bevor du mitreden kannst“ ein ziemlich billiger rethorischer Trick ist.
Chomsky hat sicherlich viel Kritik einstecken müssen für seine Theorie, aber dass sie „fast vollständig widerlegt“ sei, ist auch nicht mein Eindruck. Ich weiß zumindest von einem befreundeten Computer-Linguisten, dass nach wie vor viel Forschung dazu betrieben wird.
Der Blank Slate darf sicherlich eher als „vollständig widerlegt“ gelten als die Universalgrammatik.
Ein interessanter Einwurf:
http://www.wissenschaft.de/wissenschaft/news/260968.html
„Alle Sprachen der Welt haben eines gemeinsam: Nomen und Verben sind die beiden grundlegenden Kategorien jeder Grammatik. Wie und wo das Gehirn diese Basiselemente des Sprechens verarbeitet, interessiert schon seit längerem viele Wissenschaftler. Beispielsweise ist aus Studien mit Hirngeschädigten bekannt, dass viele entweder ausschließlich Verben aussprechen können oder aber nur Nomen beherrschen – je nachdem, welche Gehirnregion nicht mehr richtig funktioniert.
Nun ist es dem Neuropsychologen Caramazza und seinem Team gelungen, diejenigen Hirnregionen, die bei der Verarbeitung von Verben und Nomen eine Rolle spielen, klar zu identifizieren und gegeneinander abzugrenzen.“
Was „Kultur“ nicht alles hervorbringen kann. Blank Slate eben 🙂
Die Belege für eine Universalgrammatik sind recht stark. Die Universalgrammatik ist dabei ein Ausgangszustand im Gehirn, der aus symbolhaftem Input eine Sprache mit Lexikon und Grammatik erzeugt. Der Prozess geht von einem Zeitpunkt vor der Geburt bis mitten in die Pubertät. Das spricht dafür, dass Sprache wie andere Organe wächst, nach einem engen Zeitplan gebaut wird. Die Grammatikregeln müssen genetisch kodiert sein und im Gehirn vorliegen, da sie so komplex sind, dass sie am bloßen Input nicht abgelesen werden können.
Für Argumente gegen die Blank-Slate-Theorie lohnt sich der Klassiker von Chomsky „Review of B. F. Skinner Verbal Behavior“ (1959), in dem er die Erlernbarkeit von „verbalem Verhalten“ in Frage stellt.
Ein deutsch grundiertes Kreol hat sich doch auch im deutschen Sprachraum längst durchgesetzt. Aber natürlich bin ich da hoffnungslos konservativ…
genau das ist das problem: deine meinung. sie ist die eines doxosophen.
@hottehü
Was sind denn das für Lucianische Beleidigungen? Bitte daran denken: Der Ton sollte sachlich und freundlich sein. Ich sehe nicht, dass ich dich vorher beleidigt habe.
Na dann erklär uns doch einmal den Unterschied zwischen „meinen“ und „wissen“ in Hinblick auf Christians Beitrag. Da bin ich jetzt einmal gespannt.
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