„Warum hassen Feministinnen die Evolutionspsychologie so sehr?“

Volkmar Sigusch schreibt im „The European“ in dem Artikel „Let’s talk about sex baby“  über Evolutionspsychology. Er beginnt mit der Frage, warum Feministinnen die Evolutionspsychologie so sehr hassen und begründet dies im Folgenden.

Der Hass auf evolutionstheoretische Ansätze aus dem Feminismus und die dabei bestehenden Fehlvorstellungen war ja schon häufiger hier Thema

Zuerst greift er ein Standardgegenargument auf:

Dabei übersehen die Wissenschaftsspekulanten, dass es bei all dem, was sie zu erörtern suchen, nicht um Geschlechtlichkeit, Sexualität und Liebe im heutigen kulturellen Sinne und damit um Subjektivität und Individualität geht, sondern um Fortpflanzung und Arterhaltung im biologischen Sinne. Spuren der Emotionen haben sich natürlich nicht materiell in Fossilien niederschlagen können. Alle Aussagen über das Leben der Jäger und Sammler sind logischerweise unbegründbare Vermutungen.

Dabei übersieht er aber, dass man durchaus mehr machen kann als unbegründete Vermutungen anstellen. Zunächst einmal spricht vieles dafür, dass sich die wesentliche Körperchemie und damit der Mensch in der vergangenen Zeit nicht wesentlich verändert hat. Denn nach der Out of Africa Theorie hat sich der Mensch von Afrika aus über die Welt verbreitet und genetische Analysen zeigen, dass dabei kein wesentlicher Rückfluss an Genen stattgefunden hat. Da die Menschen auf der Welt in ihrer Sexualität recht gleich sind, können wir vermuten, dass die Menschen schon damals so waren wie heute. Hierfür sprechen auch die archäologischen Funde, die zeigen, dass sich der Mensch seit der Steinzeit nicht so wesentlich verändert hat.

Demnach müssen die wesentlichen Veränderungen innerhalb der Steinzeit ergeben haben.

Die wesentlichen Verhaltensweisen spricht Sigusch wie folgt an:

Gewissermaßen natürlich sei, dass Männchen dominant sind und Weibchen sich um den Nachwuchs sorgen. Wie Männchen ihren Samen verspritzen, Promiskuität oder sexuelle Gewalt – all das sei angeboren.

Auch hier kann man wieder gut begründete Annahmen machen.

Das Weibchen sich um den Nachwuchs sorgten und hierfür optimiert sind ergibt sich eigentlich bereits aus einigen leicht überprüfbaren Umständen:

  • Menschen sind Säugetiere mit einer sehr langen Tragezeit und einer sehr großen Unselbständigkeit des Nachwuchs
  • Dieser benötigt daher eine sehr große Unterstützung über eine lange Zeit
  • Frauen stellen die Nahrung für das Kind über die Muttermilch bereit
  • Väter können sich aufgrund der langen Zeit zwischen Befruchtung und Geburt der Versorgung besser entziehen als Frauen

Aus all dem folgt bereits, dass Frauen in der Steinzeit mehr mit Kinderbetreuung zu tun haben mussten und demnach auch (über ihren Nachwuchs)  entsprechend selektiert wurden. Des weiteren zeigt auch ein Vergleich mit unseren nächsten Verwandten recht deutlich, dass auch unsere Entwicklungsgeschichte hierzu passt. Hinzu kommen weitere biologische Faktoren, die ebenfalls dafür sprechen, beispielsweise das im Schnitt stärkere Ansprechen der Frauen auf das Kindchenschema. Hierzu hatte ich bereits zwei Artikel:

Dort wird auch behandelt, dass Kinder um so niedlicher sind um so mehr Östrogene der Betrachter im Blut hat, so dass Frauen im Schnitt Kinder wesentlich niedlicher finden.

Dominanz ist ein weiteres Stichwort, bei dem ebenfalls vielerlei Belege vorhanden sind. Zum einen zeigen sich beim Menschenmann deutliche Zeichen einer intrasexuellen Konkurrenz, etwas die höhere Körperkraft und die höhere Körpergröße. Zudem ergeben Tests, dass Männer im Vergleich zu Frauen Wettbewerbsorientierter sind. Zudem formen Männer wesentlich schneller als Frauen Hierarchien in einer Gruppe, was bereits bei Kindern zu beobachten ist. Jungen zeigen zudem bereits früh wesentlich mehr Toben und Rauen („Rough and tumble Play“) als Mädchen, was, da das Spielverhalten eine Vorbereitung auf die Erwachsenenwelt ist, ebenfalls ein Anzeichen für eine hohe intrasexuelle Konkurrenz ist. Hinzu kommt eine Entwicklungsverzögerung bei Jungen, die etwas später „erwachsen“ werden als Mädchen, was ebenfalls bei intrasexueller Konkurrenz typisch ist, da so die Jungen etwas länger aus der Konkurrenz herausgehalten werden und Erfahrungen sammeln können. Wenn es aber eine starke intrasexuelle Konkurrenz gibt, die zu Hierarchien führt, dann wird man auch eine Selektion für Dominanz erwarten können. . Es ist zudem zu erwarten, dass sich dieses Merkmal aufgrund seiner Wichtigkeit auch in der intersexuellen Selektion niederschlägt. Eine Frau, die auf dominante Männer steht, hat eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass auch ihre Kinder dominant sein werden.

Und auch das Männer „ihren Samen verspritzen“ ist gut belegbar. Die Grundlagen hierfür sind in der Sexual Strategies Theory dargelegt. Wesentliches Element ist, dass die Männer aufgrund der geringeren Kosten des Sex eher auf Masse setzen können als Frauen. Das daher auch sexuelle Gewalt eine Strategie sein kann, die evolutionär begünstigt wird, liegt eigentlich auf der Hand, insbesondere wenn man bedenkt, dass Evolution keine Moral hat und Biologie nicht gut sein muss, da dies ein naturalistischer Fehlschluss wäre.

Weiter heißt es:

Auf einmal ist die komplexe Welt wieder ganz einfach gestrickt: Männer sind genetisch festgelegte untreue Frauenbefruchter, und Frauen sehnen sich genetisch nach Monogamie. Wundersam beruhigend ist dieser anachronistische evolutionspsychologische Reduktionismus.

Der Reduktionismus liegt hier eher in der Beschreibung der Theorien, die eben nicht auf dem aktuellen Stand ist. Auch Männer haben ein Interesse an Treue, weil sie zum einen bei einer festen Partnerin eher sicherstellen, dass sie auch wirklich in ihren Nachwuchs interessieren und weil Untreue die Partnerschaft gefährden kann. Aber natürlich haben sie ein lockeres Verhältnis zu Sex, wie leicht an zB dieser Studie zu sehen ist. Aus dieser wird auch deutlich, dass Frauen in der Tat wesentlich weniger Partner wollen und eher als Männer eine feste Partnerschaft als Idealzustand ansehen. All das bedeutet aber nicht, dass Frauen treu sind. Sie können natürlich ebenfalls untreu sein und sich so evolutionstechnisch sowohl einen Versorger sichern als auch die Gene eines anderen Mannes, der andere Vorteile bietet. Das Frauen nicht von Natur aus treu sind zeigen bereits die Hoden und das Sperma des Menschenmannes, beide sind auf Samenkonkurrenz ausgelegt, die es bei absoluter weiblicher Treue eben nicht geben würde.

Seine weiteren Argumente:

Doch warum kann unser sexuelles und geschlechtliches Verhalten nicht mehr mit Urinstinkten erklärt werden? Weil zwischen der Steinzeit und dem Endkapitalismus ein Abgrund klafft. Weil wir seit Jahrhunderten in einem sexuellen Zeitalter leben und um Geburtenregelung, freie Liebe, sexuelle und geschlechtliche Emanzipation kämpfen. Weil bei uns Fortpflanzung und Sexualität nicht mehr zusammenfallen. Weil der Mensch von Natur gesellschaftlich ist und folglich sein Sexual- und Geschlechtsleben auch.

Erst einmal: Wie gerade dargestellt kann man das Verhalten mit Urinstinkten erklären. Sodann: Der Abgrund ist kleiner als er denkt. Erst in neuerer Zeit haben wir effektive Verhütungsmethoden entwickelt, zu kurz um so wesentliche Punkte wie unsere Sexualität zu ändern. Das Fortpflanzung und Sexualität nicht mehr zusammenfallen ändert daran nichts: Im Gegenteil, ohne Fortpflanzung kann eine evolutionäre Veränderung gerade nicht stattfinden. Unser System bewirkt aber nicht, dass Menschen, die verhüten und dennoch hemmungslosen Sex haben, sich mehr fortpflanzen, so dass eben der Genpool davon nicht betroffen ist.

Weiter geht es mit:

Das natürliche Moment am Sexuellen lässt sich vom gesellschaftlichen prinzipiell nicht abscheiden − im Sinne von primär und sekundär, von vorausgegeben und gemacht, von richtig und falsch.

Natürlich stehen hier Gesellschaft und Biologie in einem engen Zusammenhang. Wie wir unsere Sexualität ausleben können und was erlaubt ist bestimmt in vielen Fällen die Gesellschaft. Dennoch bestimmt die Biologie weiterhin, was wir eigentlich wollen und die Gesellschaft hat auch die Unterschiede zwischen Mann und Frau in diesem Bereich nicht verschwinden lassen. Wer glaubt, dass Sex etwas gesellschaftliches ist, der lasse sich eine chemische Kastration verpassen und schaue sich die Auswirkungen auf sein Sexualleben an. Natürlich kann die Biologie keine Wertung vornehmen – das wäre wieder ein naturalistischer Fehlschluss – aber sie bestimmt, was uns Lust bereitet und was nicht. Auch in Zeiten und Gegenden, in denen zB Homosexualität verboten ist, setzen sich Homosexuelle darüber hinweg, weil sie aus biologischen Gründen Lust auf Sex mit einem Mann haben. Die Biologie setzt hier der Gesellschaft grenzen. Sie kann den Akt zwar verbieten, aber das Begehren nicht abschalten.