Ich sitze in bunter Runde mit Freunden und Bekannten zusammen. Das Gespräch kommt auf ein kürzliches Weggehen und von dort zu einer dort getroffenen Frau, die nach Meinung zweier der weiblichen Anwesenden unglaublich schöne Brüste hatte. Von dort aus geht das Gespräch in die Richtung, dass Frauen weibliche Schönheit wesentlich eher genießen können als Männer männliche Schönheit.
Eine der Frauen dazu:
„Das verstehe ich auch nicht an vielen Lesben: Wenn ich auf Frauen stehen würde, dann würde ich doch erst recht das Feminine mögen, das Elegante und das Weibliche. Aber die laufen rum und verhalten sich wie Männer! Schon der Kleidungsstil ist meist fürchterlich! Und die Frisuren! Und kein bisschen zurechtgemacht!“
Die anwesenden Damen waren sich einig, dass sie gut verstehen könnten, wenn Frauen Frauen anziehend finden, aber sie würden SO niemals rumlaufen.
Ich habe kurz pränatales Testosteron in die Runde geworfen, aber wollte den Abend nicht zu technisch werden lassen, so dass wir auf ein anderes Thema wechselten.
Dennoch finde ich die Aussagen interessant:
- Die biologischen Theorien zur Homosexualität erklären das aus meiner Sicht sehr nachvollziehbar. Danach gibt es Zentren für die Attraktivitätsmerkmale und Zentren für das typische Geschlechtsverhalten. Beide können separat voneinander gestaltet werden, wobei diese Gestaltung durch pränatales Testosteron erflogt. Da die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass höheres pränatales Testosteron eine bestimmte Ursache hat, die längere Zeit anhält, ist es auch wahrscheinlich, dass beide Zentren bis zu einem gewissen Grad betroffen sind, so dass viele Lesben männlichere Verhaltensweisen aufweisen werden als heterosexuelle Frauen, wenn auch feminine Leseben und sehr männliche heterosexuelle Frauen möglich sind. Ist das Verhalten erst einmal über das pränatale Testosteron auf eine gewisse Weise ausgestaltet, dann ist es nicht mehr änderbar. Vielen männlicheren Lesben werden daher männlichere Verhaltensweisen mehr entgegenkommen. Sie werden sich hingegen in den weiblicheren Verhaltensweisen nicht so wohl fühlen. Deswegen wird auch eine Erziehung, die sich an ihrem Phänotyp orientiert, dort weniger Fuß fassen können.
- Nach den queeren / gleichheitsfeministischen Theorien hingegen erscheint mir dies ein gewisser Bruch zu sein, der einige Verrenkungen erfordert. Auf der einen Seite haben wir die Normen der Gesellschaft, die durch die Phallokratie /die hegemoniale Männlichkeit/die Heteronormativität hervorgerufen werden. Sie pressen Männer und Frauen in strikte Geschlechterrollen, wobei das Geschlecht und das Verhalten durch Sprache geformt wird. Weil man sprachlich definiert, was eine Frau ist, muss sich eine Frau nach dieser Definition verhalten. Abweichendes Verhalten wird – gerade im sexuellen Bereich – durch Abwertung und Mißbilligung gestraft. Wir übernehmen diese Werte für unsere jeweilige Rolle und verinnerlichen diese so, dass wir ein Abweichen selbst als falsch empfinden. Diese Rolle ist so stark, dass sie Frauen beispielsweise daran hindert eine „Nichtfrauenzeitschrift“ zu kaufen, denn sie können nur Zeitschriften kaufen, die für Frauen gemacht sind, weil dies sprachlich so definiert ist. Dies nur als Beispiel für die Stärke des aufgebauten Rollendrucks. Dies alles scheint aber nicht mehr zu gelten, wenn eine Frau bezüglich eines Teilbereichs aus dem Normengefüge ausbricht.Bei einer Abweichung der sexuellen Orientierung bricht die Frau auch sehr häufig aus den übrigen Normen aus und verhält sich vergleichsweise männlich. Hier könnte die Theorie davon ausgehen, dass der Wechsel der sexuellen Orientierung einen Dammbruch gleich kommt, der auch die übrigen Normen hinwegspült. Oder man könnte darauf abstellen, dass sich die lesbischen Frauen gerade weil sie bereits in einer Angelegenheit, nämlich der sexuellen Orientierung, entgegen den Normen verhalten einen gewissen Druck erfahren, sich auch im übrigen nach den anderen Normen zu verhalten, um so wenigstens einem bestimmten Rollenbild zu entsprechen. Aber das lässt ja gerade außer acht, dass die Normen durch die Gesellschaft erzwungen werden und eine geringere Abweichung lesbische Frauen auch einer geringeren Abwertung preisgeben würde, die Änderung sie gerade für viele erst erkennbar macht und sie dem Normendruck aussetzt. Eigentlich müßte man eher überkompensatorisches Verhalten erwarten, um Zweifel auszugleichen und den Normendruck zu reduzieren, der ja jede einzelne Abweichung bestraft. Zudem spricht dagegen, dass Lesben sich ja meines Wissens nach uneingeschränkt als Frauen sehen, diese Geschlechtszuweisung also für sich so in Anspruch nehmen, wonach der Theorie nach dann auch die Regeln der Gesellschaft für sie gelten müssten und sie den Druck erfahren müßten, sich als Frau zu verhalten bzw. durch die Sprache so geprägt werden müßten. – Ich vermute, dass das abweichende Verhalten eben gerade als Erweckungstheorie, als ausbrechen aus dem Konstrukt der Geschlechterrolle gewertet wird, was diese Theorien sicherlich gerade für viele Lesben interessant macht. Aber ich verstehe trotzdem nicht, wie diese Flucht aus der Geschlechterrolle ermöglicht wird, wenn andererseits aufgrund des Phänotyps die weibliche Rolle strikt zugewiesen wird und andere Frauen daraus nicht entfliehen können, ja noch nicht einmal eine „Nichtfrauenzeitschrift“ kaufen können. Ist Sex so wichtig, dass es ein Schlüsselelement in der Wirksamkeit der gesellschaftlichen Normen ist? Und wie entfaltet Sex diese Macht, wenn es insgesamt einfacher wäre, lesbisch und verhaltensweiblich zu sein? Oder erzwingen gar bestimmte Normen, dass eine Lesbe sich männlicher verhalten muss (also Zuweisung bestimmter Normen innerhalb der Homosexualität, die abweichend von der Heterosexualität bestehen und damit ja eigentlich wieder gegen den Gedanken der Heteronormativität sprechen würden)?