Epistemisches Privileg

epistemisches Privileg – oder wie man vermeintliche Nachteile in Macht umwandelt

Leser IchIchIch weist in einem Kommentar auf den Begriff des epistemischen Pivilegs hin.

Der Begriff bedeutet – aus dem griechischen kommend – das „Wissensprivileg“. Gemeint ist damit, dass eine nichtprivilegierte Gruppe leichter erkennen kann, welche Privilegien bei anderen bestehen als die privilegierte Gruppe. Den wem die Privilegien verwehrt sind, wer von etwas ausgeschlossen ist, der bemerkt dies eher als derjenige, der es als selbstverständlich voraussetzt.

Aus diesem Wissensvorsprung heraus soll dann also derjenige, der nichtprivilegiert ist, die Privilegien benennen können. Er soll des weiteren auch die „Diskurshoheit“ bezüglich der Gespräche über diese Privilegien haben, da er ja die bessere Einsicht hat und der andere seine Privilegien ncith erkennt.

Das dieses Prinzip nur dann funktionieren kann, wenn alle Beteiligten absolut objektiv, ehrlich und selbstlos, jedenfalls nicht auf einen eigenen Vorteil hin ausgerichtet sind und das damit das epistemische Prinzip oder vielmehr die Berufung darauf ein Machtmittel sein kann, wie es stärker kaum sein kann, ergibt sich daraus sehr schnell: Schließlich kann man damit beliebige Einwände der Gegenseite übergehen und lediglich seinen eigenen Standpunkt als maßgeblich bestimmen, wenn man nur annimmt, dass der andere ein Privileg hat oder dies auch nur behauptet.

Ein theoretisches Gespräch zeigt dies schnell:

A: „Du hast das Privileg der Sorte 1, ich erkenne es an dir, denn ich habe es nicht“

B: „Nein, ich bin nicht Privilegiert.“

A: „Es war klar, dass du das sagst, du kannst es selbst nicht erkennen. Glaub mir du hast das Privileg“

B: Aber ich habe dadurch, dass ich dieses oder jenes mache selbst bestimmte Nachteile und ich verwehre dir ja auch nicht, dies oder jenes zu machen, du machst es nur nicht so gerne, sondern statt dessen jenes oder welches.

A: „Ach, das Privileg versperrt dir so stark den Blick, es ist beängstigend. Gut, dass ich bereits eine Vielzahl von Maßnahmen erkenne, die dir das Privileg nehmen und mir helfen.“

B: „Aber das ist ungerecht. Ich sagte ja gerade, dass ich nicht privilegiert bin, warum soll ich die Maßnahmen gegen mich ergehen lassen?“

A: „Weil ich es sage und du nichts dagegen sagen kannst, weil du das Feld nicht überblickst. Du musst akzeptieren, dass meine Meinung richtig ist“

B: „Mist“

Es ist auch ein sehr gutes Mittel um eine Immunisierung gegen Kritik zu bewirken. Denn bei kritik kann darauf verwiesen werden, dass man diese, sofern sie nicht aus der nichtprivilegierten Gruppe selbst kommt, nicht ernst nehmen muss und mit der subjektiven Erfahrung, die daraus folgt, Bestandteil der Gruppe zu sein, beiseite wischen.

Bei Kritik aus den eigenen Reihen ist wohl das übliche Mittel, dass man darauf verweist, dass diese die eigene Gruppe hintergehen. Wiederum zeigt sich, wie wichtig das Kriterium der Gruppenidentität für den gemeinsamen Kampf ist. Denn durch den Ausschluss aus der Gruppe fällt eben auch die Berufung auf das epistemische Privileg weg (obwohl dieses ja eigentlich nach wie vor zB beim Kriterium Geschlecht weiterbesteht).

Konzepte wie hegemoniale Männlichkeit gehen in die gleiche Richtung, da sie ein Privileg zuweisen und alle die dies unterstützen als Nutznießer des Systems aus der Gruppe der dagegen ankämpfenden ausschließen.

Es erlaubt zudem eine Selbstüberhöhung, weil es gerade auf die eigene Wahrnehmung ankommt. Das eigene Fühlen wird damit zum Maßstab der objektiven Welt.

Meiner Meinung nach hat das System folgende Fehler:

1. Es mag sein, dass der Nichtprivilegierte seine subjektiven Beeinträchtigungen besser beschreiben kann.

Dies bedeutet aber nicht, dass er dadurch ein besseres Verständnis dafür ausbaut, weil bei einer subjektiven Beeinträchtigung nur das eigene Denken und Fühlen zugrundegelegt wird. Auch der Nichtprivilegierte müßte zunächst abgrenzen, was tatsächlich ein Privileg des anderen und was vielleicht nur bessere Fähigkeiten oder bessere Vorgehensweisen sind. Aus seiner eigenen subjetktiven Wahrnehmung herauszusteigen kann mitunter schwieriger sein als eine Wahrnehmung von außen. Der Nichtprivilegierte müßte mit anderen Nichtprivilegierten sprechen um zu sehen, ob die Erfahrungen übereinstimmen. Damit ist er dann abgesehen von einem gewissen Anfangsvorteil in der gleichen Position, wie ein Privilegierter.

2. Wenn jemand etwas nicht macht, dann fehlt im die Sicht auf die (vermeintliche) Privilegierung.

Als Beispiel:

Ein Junge sieht Soldaten in schicken Uniformen auf einer Parade und denkt sich, dass er gerne Teil dieser aus seiner Sicht privilegierten Gruppe, die Anerkennung erfährt, wäre. Ein Soldat, der gleichzeitig das Schlachtfeld und ein danach gut gefülltes Militärhospital kennt wird hingegen die Nachteile besser erkennen.

Oder etwas weniger militärisch:

Wer nur das Gehalt und das Ansehen eines hohen Wirtschaftslenkers kennt, der wird sich in den Job wünschen und möglicherweise annehmen, dass eine Gruppe, die einen geringeren Teil dieser Wirtschaftslenker stellt, nichtprivilegiert ist, die Gruppe, die hingegen den höheren Teil stellt, privilegiert ist. Der Betrachter von außen erfährt aber nicht, wie es ist eine 70+ Stundenwoche zu haben und keine Zeit mit seinen Kindern zu verbringen, also die Kosten eines solchen Jobs, die für einige relevant sind, für die anderen nicht

Sprich: Zum Feststellen eines Privilegs gehören eigentlich zwei Sichten: Die des vermeintlich Privilegierten und die des vermeintlich Nichtprivilegierten. Den was aus der einen Sicht ein Privileg sein kann, kann aus der anderen Sicht keines sein.

3. In der Geschlechterdebatte kommt ein weiterer Punkt dazu:

Männer und Frauen sind innerhalb der Gruppen sehr heterogen. Innerhalb der Gruppe bestehen viele Unterschiede, die eine einheitliche Sicht behindern.  Es bestehen auch starke Unterschiede in den Vorstellungen bei der Lebensplanung.

Viele Männer sind beispielsweise bereit wesentlich mehr Arbeit in den Aufbau von Status zu stecken und daher auch eher an Karriere interessiert. Sie mögen Konkurrenzkampf in der Sache.

Viele Frauen hingegen bewerten Statusaufbau niedriger und sind mehr an guten zwischenmenschlichen Kontakten und Zeit mit persönlichen Kontakten sowie an einer guten Work-Life-Balance interessiert.

Hier „Karriere“ als Privileg aufzubauen, weil mehr Männer als Frauen Karriere machen, bedeutet seinen ersten Schritt nicht getan zu haben, nämlich zu ermitteln, was die angehörigen der Gruppe, die nicht privilegiert sein soll, überhaupt will und wie ihre Erfahrungen sind

4. Lösungstrategien erfordern nicht unbedingt die persönliche Erfahrung, sondern eine genaue Analyse der Ursachen und Handlungsmöglichkeiten.

Hier droht durch das Abstellen auf die eigene Person wieder eine zu kurze Betrachtung. Denn welchen Anteil andere daran haben und was sie machen müssen und wollen, um Benachteiligungen anderer abzubauen ist nicht immer leicht zu bestimmen. Gerade wenn man derjenige ist, der von einer Maßnahme die Vorteile haben soll geschieht es leicht, dass man sich mehr Vorteile zuschustert oder Maßnahmen vorschlägt, die die andere Seite nicht mittragen will, kann oder muss . Das läßt dann wieder Raum für einen umfangreichen Opferstatus des Nichtprivilegierten.

Insbesondere ist zu erwarten, dass der Nichtprivilegierte zum Ausgleich solche Maßnahmen stärker gewichtet, die von den Privilegierten zusätzliche Maßnahmen erfordert, gegenüber solchen Maßnahmen, die ihn belasten würden.

Ein Beispiel aus der Geschlechterdebatte:

Eine Frauenquote und die Forderung nach familienfreundlicheren Unternehmen macht Frauen Karriere angenehmer. Man könnte auch verlangen, dass sie andere Studienfächer studieren (Maschinenbau, Ingenieurswesen etc), verstärkt die Kinderbetreung an Dritte abgeben oder sich Partner suchen, die diese übernehmen, verstärkt Überstunden machen etc