Essentialismus und die Geschlechterdebatte

Ich überlege gerade, welche Rolle Essentialismus in der Diskussion der Geschlechter spielt. Mir scheint der Einfluss könnte relativ groß sein

1. Was ist Essentialismus

Essentialismus ist eine philosophische Denkrichtung, nach der jede Gruppe durch notwendige Eigenschaften bestimmt ist. Ein Objekt/Wesen ist nur dann Bestandteil dieser Gruppe, wenn es (zumindest) diese Eigenschaften hat.

Es gibt demnach eine Essenz jedes Wesen, quasi das was Beispielsweise einen Hasen ausmacht, den prototypischen, idealen Hasen.

Demnach stellt sich die Frage, wie man die Kriterien, die die Essenz bilden, näher bestimmt. Ist ein Löwe mit Streifen noch ein Löwe oder bereits ein Tiger? Enthält also die Essenz eines Löwen als Merkmal ein nichtgestreiftes Fell?

2. Welche Verwirrungen folgen daraus?

a) Viele (Gleichheits-)Feministen glauben Biologen sind Essentialisten. Sind sie aber nicht im klassischen Sinne.

 Die derzeitige Hauptmeinung in der Biologie vertritt zum einen nicht, dass alle Männer und Frauen eine bestimmte Essenz des männlichen oder weiblichen haben, sondern, dass bestimmte Eigenschaften innerhalb der Gruppe Männer bzw. Frauen stärker ausgestaltet sind, dass aber diese Eigenschaften nicht essentiell sind, sondern jeweils für sich Normalverteilungen bilden, bei denen die Geschlechter verschobene Mittelwerte haben, bei einem der Geschlechter also mit im schnitt, aber nicht für die Einzelperson, höheren Eigenschaftswerten zu rechnen ist (die natürlich bei der Gruppe Mann oder der Gruppe Frau höher sein können).

Zudem wird auch weiter innerhalb des Körpers differenziert: Der Phänotyp kann männlich, das Gehirngeschlecht hingegen weiblich sein. Die verschiedenen Entwicklungsschritte machen eine Vielzahl von Vermischungen möglich. Biologie hat eben gerade keine Essenz, sondern nur Häufungen. Durchmischungen bestimmter Eigenschaften sind dabei unproblematisch und entwerten diese Häufungen bei den Geschlechtern nicht. Es kann gar verschiedene Definitionen von Mann und Frau, etwa nach Phänotyp, Genotyp etc geben.

Zudem liegt es im System der Evolution, dass es Veränderungen gibt, keine Essenzen. Männer und Frauen können vor 300.000 Jahren anders gewesen sein als heute, sie brauchen nicht auf eine „Essenz“ des Mannes Rücksicht zu nehmen (was sie als Gruppe ja auch nicht können). Essentialismus ist gerade der wohl deutlichste Feind der Evolutionstheorie. Wer davon ausgeht, dass es eine „Essenz“ eines zB Menschen gibt, dem fällt der Gedanke, dass sich der Mensch aus einem Eizeller über Fische, Echsen, Säugetiere Primaten hin entwickelt hat und all diese Einteilungen eigentlich falsch sind, weil es nur einen kontinuierlichen und sehr langsamen Übergang, aber kein klares Stadium gibt, bei dem man sagen kann, dass das Tier oder der Mensch jetzt fix ist und damit eine Essenz hat.

Natürlich ist Evolution gewissen Gesetzmäßigkeiten unterworfen.

Solange das Kind eine enorme Betreuung braucht und im Bauch der Frau aufwächst wird eine Selektion, die Frauen wahlloser bei der Auswahl ihrer Sexualpartner macht als Männer wenig Chancen haben. Eine solche Selektion ist dann allenfalls durch menschliche „Zucht“ durch eine Kultur möglich, die die Selektionsnachteile „Sex kann zu Schwangerschaft führen“ und „Promiske Frauen erhöhen das Risiko, dass Versorgungsleistungen des Mannes auf fremde Gene erbracht werden“ aufhebt (etwa über Verhütungsmittel und eine Staatsfinanzierung, wobei dies nur dann eine Änderung bewirken wird, wenn dann Frauen, die sich so Verhalten und Männer, die dies akzeptieren, mehr Nachkommen haben). Das ist aber keine Essenz, weil die Ausprägung dieser evolutionären Lage eben auch verschieden sein kann und eine Entwicklung erfolgen kann.

b) Essentialismus im Feminismus

 Gleichheitsfeministen gehen von einer Essenz Mensch aus, die dann durch kultur gestaltet wird und lehnen Geschlechtsmerkmale als Essentiell ab. Sie vertreten allerdings bezüglich dieser Kultur einen gewissen essentialismus.Sie vertreten teilweise einen gewissen Essentialismus bezüglich der Vergangenheit (Männer und Frauen waren immer so wie sie sind, es gibt im Mainstreamfeminimus keine Betrachtungen, die vor dem modernen Menschen einsetzen).

Differenzfeministen sehen eine Essenz von Mann und Frau. Sie bestimmen diese häufig ideologisch. Zudem wird dabei dann häufig verkannt, dass es eben keine klare Eigenschaft, sondern nur Häufungen gibt.

3. Ein mögliches Warum

Essentialismus ist eine philosphsches Konzept und steht damit den Genderwissenschaften und dem Strukturalismus näher als biologische Konzepte. Es wird daher gedanklich eher aufgegriffen als die tatsächlich vertretenen Meinungen, schon weil man sich dafür in die biologischen Theorien einarbeiten müßte. Der Essentialismus taugt insoweit auch eher als Feindbild.

Essentialismus dürfte im übrigen aber auch der Art entgegenkommen, wie wir Dinge wahrnehmen. Innerhalb der Lebensspanne eines Menschen tritt keine so große Entwicklung ein, dass wir Gehirnstrukturen erlangen mussten, die evolutionäre Vorgänge erfassen konnten. Es reichte vollkommen aus, wenn wir einen Löwen als Löwen erkannten. In Kategorien und Einteilungen zu denken liegt uns daher mehr.