Steven Pinker stellt eine interessante Betrachtung an, warum wir in bestimmten Situationen sehr emotional und nicht sachlich denken. Dabei geht es insbesondere um Gefühle wie Rache, Ärger, Vergeltung aber auch Liebe.
Der Ansatz ist der Folgende:
Das Gehirn des Menschen ist darauf ausgelegt zu kalkulieren, wie die andere Person reagiert und dessen vermutliche Reaktion in seine Aktion einzuplanen. Dies ist simple Spieletheorie und unser Gehirn stellt viele dieser Überlegungen und insbesondere auch die Auswahl der typischen Strategien zur Reaktion unterbewußt an und vermittelt uns das Ergebnis der Kalkulationen über entsprechende Emotionen. Bei einer Berechnung des Verhaltens der Gegenseite müßen die Kosten einer Handlung für die Gegenseite und deren Nutzen aus dieser Handlung ermittelt werden.
Hat beispielsweise eine Sache einen Wert von 20.000 €, der Verkäufer muss allerdings dringend verkaufen, weil er Geld braucht, und zwar 15.000 € innerhalb einer Woche,sonst droht ihm ein Schaden von zusätzlichen 30.000 €, dann ist das Wissen darum, dass es keinen anderen Kaufinteressenten innerhalb dieser Woche geben wird für den Verkäufer viel wert. Er weiß dann, dass der andere für 15.000 € an ihn verkaufen muss und kann einen höheren Preis als reinen Bluff ansehen.
Der Verkaufer kann trotz dieser Situation seine Position verbessern, wenn er die Kosten bzw. die Nutzen des Geschäfts für sich selbst erhöht, sich also eigentlich potentiell schadet. Er kann beispielsweise eine Wette mit einem Dritten abschließen, dass er ihm 50.000 € gibt, wenn er es nicht schafft, die Sache für mindestens 20.000 € zu verkaufen. Nun verhält es sich genau andersrum. Ein Abschluß des Vertrages für unter 20.000 € ist für den Verkäufer nachteiliger als gar kein Vertrag.
Der Nachteil für den Verkäufer aus der Wette ist innerhalb der Verhandlung ein Vorteil, weil der andere nun nicht mehr darauf vertrauen kann, dass der andere etwas für ihn bezogen auf das Geschäft eigentlich nachteiliges macht.
Das gleiche geht auch mit Nachteilen, die nicht in Geld bestehen. Wer öffentlich erklärt, dass er ein dummer Idiot ist, wenn er das Haus für unter 20.000 € verkauft, der festigt seine Position ebenfalls, weil der andere annehmen kann, dass er gesellschaftlicher Scham entgehen will.
Ein etwas deutlicheres Mittel ist der Flugzeugentführer, der seinen Sprengstoffgürtel so konzipiert, dass er bei einem Handgemenge losgehen wird. Auch er macht deutlich, dass er bereit ist die Nachteile (hier seinen eigenen Tod mit allen anderen Passagieren) in Kauf zu nehmen, wenn man ihn (nur) angreift.
Die Gegenpolitik von Staatsoberhäuptern eine „Keine Verhandlungen mit Terroristen, egal was diese androhen“-Politik zu betreiben geht ebenfalls in diese Richtung, da sie mit deren öffentlicher Erklärung Gesicht verlieren, wenn sie dann trotzdem verhandeln.
Der Höhepunkt einer solchen Strategie war der kalte Krieg und die atomare Abschreckung. Die Erklärung und das Potenital, dass man jeden Angriff mit einem atomaren Gegenangriff, der den sicheren Tod aller Menschen auf der Erde bedeutet und der nicht zu verhindern ist, beantworten wird. In dieser Taktik ist es günstig den Gegenschlag möglichst sicher zu machen aber keine sonstigen Sicherungen von Städten etc vorzunehmen. Denn nur wenn man selbst katastrophale Folgen hat können einem die Folgen des eigenen Atomschlages egal sein.
Dies wird auch in „Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“ deutlich, wo es eben gerade darum geht, dass die Russen ein automatisches Gegenschlagssystem entwickelt haben, dass sie selbst nicht stoppen können.Damit machen sie deutlich, dass sie nicht bluffen, weil sie es selbst nicht in der Hand haben, ob ein Gegenschlag eingeleitet wird. Hieraus entsteht in dem Film natürlich das Problem, da der Erstschlag bereits nicht von dem kommt, gegen den sich das Gegenschlagssystem richtet und das das Gegenschlagssystem erst auf einer Parade vorgestellt werden sollte.
Genau dieser Automatismus könnte bei starken menschlichen Emotionen greifen. Die Drohung ist „Hintergeh mich nicht bzw. tue mir nichts an, denn ich bin so gebaut, dass ich mich dann nicht kontrollieren kann, die Gefühle übernehmen und ich werde mich ungeachtet der Kosten rächen, vergeltung suchen oder die Geschäftsbeziehungen mit dir abbrechen“
Liebe ist die Zusicherung, dass man chemisch so gebunden ist, dass einem eine Trennung Schmerzen bereiten würde, man also eine solche nicht anstrebt. Es kann gleichzeitig die Zusicherung sein, dass man so verliebt ist, dass man jeden angreift, der sich ihr/ihm in sexueller Weise nährt, weil man es eben nicht mehr kontrollieren kann.
(Theoretisch kann man so auch die gesamte Steuerung des Gehirns so sehen. Es wird ein Bewußtsein geschaffen, dass keinen Zugriff auf die grundlegenden Steuerungen des Körpers hat. Auf diesem Weg sagen die Gene imaginär „Tue, was in der Vergangenheit dazu geführt habe, dass wir weitergegeben werden oder du wirst Schmerzen/Unwohlsein/Langeweile/unerfüllte Lust empfinden. Ernsthaft, wir können es nicht steuern, dein Unterbewußtsein ist so aufgebaut, dass es in jedem Fall eintritt, du machst also besser was wir wollen“. Also reagieren wir auf Schmerzen, Emotionen etc., weil wir über ihren Eintritt nur eingeschränkt, nämlich über zB mit Rauschmitteln im weiteren Sinne, verhandeln können.)
Dieser uns eingebaute Grundsatz, dass wir eine Kosten-/Nutzenrechnung des Verhaltens der anderen Seite anstellen, kann natürlich kulturell ausgenutzt werden, indem man die Kosten gestaltet. Rache und Vergeltung wurden beispielsweise auf den Staat verlagert, so dass der Einzelne sie nicht mehr androhen muss. Der Staat muss nunmehr die Drohung aufrecht erhalten, dass er Übeltäter unabhängig von ihrer Position und Stellung bestrafen wird und dabei gerecht vorgehen wird. Das führt dazu, dass der Einzelne seine Position nicht unnötig ausbauen muss, weil er darauf bauen kann, dass die Position des Staates den anderen abhält. In Gegenden, in denen der Staat schwach ist oder zumindest lange genug schwach war um eine entsprechende Kultur zu entwickeln, die eine Verantwortung des einzelnen vorsieht, seine Position aufzubauen und den Gegenschlag zu garantieren beobachtet man hingegen Kulturen, die gesellschaftliche Verpflichtungen zu einem Gegenschlag aufbauen, deren Nichteinhaltung zu Beschämung und gesellschaftlichen Ansehensverlust führt. Üblicherweise läuft dies über den Beriff der Ehre und des Ehrverlusts.
- Ein Mafiaboss, der außerhalb des Gesetzes steht, muss deutlich machen, dass er jemanden, der ihn betrügt, selbst bestrafen wird und dies hart und unverzüglich.
- Der Süden Amerikas (also der USA), der in den Kolonialzeiten noch wenig Recht hatte, mußte andere Verhaltenskodexe entwickeln, als der schneller zivilisierte Norden, weswegen heute noch Reste dieses Ehrenkodexes in der Gesellschaft dort fortbestehen.
- Wenn in Ghettos überall Gefahr droht, der die Polizei nicht Herr werden kann, dann kann der Besitz einer Waffe und ein Ehrenkodex, der ihn dazu anhält diese bei Konfrontation einzusetzen, eine Spirale der Gewalt vergleichbar dem Hochrüsten des kalten Krieges bedeuten.
Der gleiche Gedanke spielt auch in Bereichen eine Rolle, die einer gesetzlichen Regelung oder einer Strafe durch den Staat nicht zugänglich sind oder bei denen der Schaden durch eine gesetzliche Regelung nicht wettgemacht werden kann:
- Wenn eine Scheidung Ehrverlust bedeutet, dann machen sich beide verletzlicher und damit deutlich, dass sie die Bindung ernster nehmen. –
- Wenn ein Ehemann gehalten ist, einen Liebhaber seiner Frau zum Duell zu fordern, dann überlegen es sich Liebhaber eher, ob sie das Risiko eingehen.
- Wenn eine Frau außerehelichen Sex ächtet, dann erhöht sie die Kosten für sich für ein solches Verhalten und macht es damit ihr Versprechen, sich nicht so zu verhalten, glaubwürdiger
In den beiden letzten Fällen ist der Schaden, eine mögliche Schwangerschaft oder der Verlust der Beziehung, durch eine gesetzliche Regelung nicht abzufangen, insbesondere wenn die Möglichkeiten einer Verhütung und Abtreibung gering sind und eine Scheidung weitere Ächtung bedeutet. Da Männern die Schutzfunktion zugewiesen ist und sie im Zweifelsfall die kriegerische Auseinandersetzung führen müssen, müssen diese innerhalb intrasexueller Auseinandersetzungen auch eher bereit sein Gewalt anzuwenden. Hieraus entsteht ein nicht geringes Konfliktpotential.
Gegenreaktion ist eine Abrüstungspolitik, also das deutlich machen, dass man den anderen nicht verletzen will. Das gefährliche daran ist dann natürlich zu schnell abzurüsten und so dem anderen einen Anreiz zum Angriff zu geben, weil er die Folgen nicht mehr fürchten muss. Deswegen setzen Abrüstungsstrategien auf vertrauensbildende Maßnahmen und Transparenz.
Auch die Positionen innerhalb des Feminismus zu Vergewaltigungsprozessen kann man so sehen. Nach deren Auffassung vertritt der Staat die Vergeltungsposition nicht abschreckend genug. Es sollte statt der bisherigen Position ein strengerer Mechanismus gelten. Statt“wenn wir dir eine Vergewaltigung nachweisen können, dann werden wir dich hart bestrafen“ soll die Androhung noch unmittelbarer werden nämlich „Wenn dich jemand einer Vergewaltigung beschuldigt und du nicht nachweisen kannst, dass du es nicht warst, dann werden wir derjenigen Person glauben und dich bestrafen.“ Durch diese Erhöhung der Drohkulisse erhofft man sich dann einen abschreckenden Effekt. Die Drohung auch unschuldige Einzusperren, soll weiter abschrecken, weil sie zeigt, wie vehement man diese Tat bekämpfen will.