In dem Buch „The Origins of virtue“ stellt Matt Ridley dar, wie die Tugend entstanden sind. Genauer geht es darum, wie ein selbstloses Verhalten biologisch erklärbar ist.
Das Grundproblem ist dabei, dass erste Modele immer dargelegt haben, dass es günstiger ist, nicht tugendhaft, sondern nur auf seinen eigenen Vorteil hin ausgerichtet zu sein. Fortschritte ergaben sich dann aus modernen Überlegungen zur Spieletheorie, nach der kooperatives Verhalten dann erfolgreich sein kann, wenn die Spieler das Spiel wiederholt spielen können und dabei insbesondere unkooperatives Verhalten bestrafen können. Ein Spieler, der solange kooperativ ist, wie auch der andere Kooperativ ist und evtl. sogar den ein oder anderen Fehler (also unkooperatives Verhalten) verzeiht, kann die Vorteile eines kooperativen Verhaltens nutzen, ohne sich zu sehr der Gefahr auszusetzen, dass er ausgenutzt wird.
Weitere Mechanismen, die der Herstellung eines kooperativen Verhaltens zugänglich sind, wären Entrüstung über unkooperatives Verhalten, das Schämen für solches Verhalten, die Bestrafung des unkooperativen Verhaltens bis hin zum Ausschluss aus der Gesellschaft etc. So könnte also ein „Gerechtigkeitsgefühl“ entstanden sein, dass eine Leistung auf ihren Wert hin überprüft und insbesondere auch nachhält, ob die Gegenseite Leistungen erwidert und faire Gegenleistungen bringt.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre eine Strategie, bei der man stets kooperativ ist, auch wenn man die andere Person nie wieder sieht, eine Werbemaßnahme, die sagt, dass man so kooperativ ist, dass man selbst ohne Aufsicht entsprechendes Verhalten zeigt. Dies wäre dann eine Werbemaßnahme gegenüber anderen Personen, die dann mit einem eher selbst kooperativ sind.
Einen interessanten Ausflug macht Ridley dann in das Feld der Kooperation innerhalb der Gruppe. Bei den meisten Tieren nutzen insbesondere die Männchen Kooperation innerhalb der Gruppe aus, um in der Hierarchie aufzusteigen (etwa indem das Alphamännchen durch zwei andere Männchen gemeinsam vom Thron gestoßen wird) oder Fortpflanzung zu ermöglichen.
Bei Delphinen beispielsweise indem sie zu dritt ein Weibchen in die Enge treiben und dann im Prinzip in Geiselhaft nehmen um sie zu vergewaltigen oder bei Affen indem ein ranghöheres Männchen von einem Weibchen zu zweit weggejagd wird um sie dann zu begatten oder als große Männchengruppe für Revierkämpfe, in denen ein regelrechter Krieg gegen benachbarte Affen geführt wird, zB um deren Weibchen ins eigene Revier zu bekommen oder das Revier auszuweiten.
Zusammenarbeit auf der Gruppenebene wird also im Tierreich immer wieder beobachtet, erfordert aber nach den dortigen Beobachtungen immer wieder eine Abgrenzung der Gruppe nach einem gemeinsamen Kriterium. Ameisen mögen höchst soziale Tiere bei einer Betrachtung des eigenen Ameisenhaufens sein, aber sie arbeiten nicht mit anderen Ameisenhaufen zusammen, sondern bekriegen sie.
Ridley meint nun, dass dieser Gruppeneffekt auch bei Menschen besteht. Auch wir brauchen eine Gruppe, der wir uns zugehörig fühlen und eine Gruppe, die im Gegenzug „die Anderen“ sind, damit eine Zusammenarbeit möglich ist. Ohne dieses verbindende Element der Gruppenzugehörigkeit würde Altruismus innerhalb einer Gruppe dem einzelnen keine Vorteile mehr bringen, da sie beliebig wird (das mag aufgrund der heutigen Gruppengröße zB bei einer Nationalität zwar auch ein sehr subjektiver Abgrenzungsgrund sein, aber dennoch wird die Einschätzung eines Gruppenvorteils aufgrund unserer Denkweise nach wie vor benötigt. Deswegen – so Ridley – gäbe es in allen menschlichen Gruppen Elemente um einen Gleichklang, eine Gleichheit, ein verbindendes Element herzustellen.
Ein Beispiel wäre Musik, bei der sich alle im Takt dieser bewegen, Uniformen, Märsche, alles bei der eine Synchronisation erreicht wird. Auch Religion könne diese Funktion erfüllen, indem sie eine Abgrenzung herbeiführt, etwa in Gläubige und Heiden (in einem kurzem Ausflug legt er dabei dar, dass die Regeln der meisten Religionen innere Regeln sind, die der Glaubensgemeinschaft dienen und dort Kooperation stärken sollen und nicht zwingend gegenüber „den anderen“ anzuwenden sind – etwa das christliche Gebot, dass man nicht töten soll, dass ansonsten in einem Widerspruch zu den sehr kkriegerischen Handlungen des alten Testaments und den unzähligen Tötungen dort im Namen Gottes stehen würde).
Weitere moderne Anwendungen wären die Fußballfans eines Vereins, die sich eben auch einer gewissen Gruppe zugehörig fühlen und sich so zu Fans anderer Vereine abgrenzen. Ridley stellt dar, dass jede Gruppe eine Gegengruppe braucht um sich selbst definieren zu können. Weil solche Gruppenbildung im Tierreich insbesondere bei Männern beobachtet wird, die so die Kooperation nutzen um in Hierarchien aufzusteigen oder ihre Fortpfanzungschancen zu erhöhen wäre demnach auch verständlich, warum gerade Männer solche Gruppenzugehörigkeiten benötigen. Fußballfans wären demnach nichts anderes als der Wunsch der jeweiligen Fans halt in einer Gruppe zu finden um sich nicht alleine mit anderen Gruppen messen zu müssen.
Sieht man dabei Sport als ritualisierten Wettkampf an, macht es noch viel mehr Sinn, dass überall auf der Welt Männer ein höheres Interesse daran haben sich einer der Männergruppen zuzuordnen, die diese ritualisierten Wettkämpfe austragen. Kurzum, es erklärt, warum Männerfußball ein Millionengeschäft ist während Frauenfußball im vergleich vor sich hindümpelt. Frauengruppen benötigen ihre Gruppen weniger für eine Behauptung im Konkurrenzkampf, sondern sie können von vorneherein eher auf weniger Wettbewerb ausgerichtet sein, weil sie üblicherweise keine Revierkämpfe führen müssen und auch keine Männer für die Fortpflanzung in Zusammenarbeit monopolisieren konnten (vgl. auch Sport und Konkurrenzkampf: Unterschiede zwischen Mann und Frau)
Natürlich bedeutet das nicht, dass Frauen kein biologisches Interesse an Gruppenbildung und Ausgrenzung anderer haben. Sie haben dies durchaus schon deswegen,weil ein Fremder außerhalb der Gruppe eben auch immer eine Gefahr darstellt, da Fremde weniger kooperatives Verhalten gegenüber Mitgliedern anderer Gruppen zeigen müssen.
- vgl. auch Oxytocin und die Gruppenzugehörigkeit