Oslo, Breivik und Narzissmus

Oslo ist eine wunderschöne Stadt, die in jedem Fall eine Reise wert ist.

Im Frogner Park die Skulpturen anschauen und danach auf der Wiese zu grillen, einen Ausflug zur Sprungschanze machen, die vorgelagerten Badeinseln besuchen, die Burg am Hafen besichtigen oder bei Königs im Park liegen, all das macht Oslos besuchenswert. Schade, dass nunmehr Oslo eher als Terrorziel in Erinnerung bleiben wird.

Die tragischen Vorfälle von Olso sind in ihrer Intensität mit den vorfällen vom 11.September sicherlich nicht zu vergleichen, aber dennoch für die Betroffenen unglaublich tragisch und mein Mitgefühl ist mit jedem, der dort verletzt wurde und mit den Angehörigen der Toten. Die Tat ist schrecklich und erscheint uns unreal.

Ich glaube, dass sie durch reale Zustände vor Ort nicht gerechtfertigt ist, weil in einem freien, demokratischen Land eine Durchsetzung von Meinungen mit Waffengewalt kein zulässiges Mittel sein darf. Das mag in einer Diktatur anders sein, aber eben nicht in einer Demokratie. Ich glaube auch nicht, dass man aus der Handlung Einzelner auf eine Unterdrückung oder schlechte Zustände in einem Land schließen kann („wie muss ihn die Unterdrückung durch irgendjemanden belastet haben, damit er so handelt“). Man kann aus dem Vorhandensein einer extremen Einzeltat nicht schließen, dass es in der Gesellschaft eine starke Unterdrückung in einem bestimmten Aspekt oder eine Ungerechtigkeit gibt. Es war eben der Wahnsinn / die Ideologie eines Einzelnen, die insoweit wenig über die Gesellschaft aussagt. Er ist in meinen Augen kein Opfer, schon gar nicht eines Feminismus, sondern ich vermute eher erhebliche Mitgefühl– und Empathiedefizite, die ja bei Psychopathen häufig vorliegen.

Einzelne Menschen können extreme Meinungen aufbauen und sich dieses Gedankengebäude fern ab jeder Realtität schön und plausibel denken, weil unser Gehirn so aufgebaut ist, dass es unangenehme Fakten ausblenden kann und Puzzelstücke in ein System einfügen kann, wenn es irgendwie passt. Eine Einzeltat legt keine Unterdrückung der Bevölkerung dar, gerade nicht, wenn sie so extrem ist. Sie kann natürlich dennoch Ausdruck eines Zustandes sein, der auch von einer gewissen Anzahl anderer Personen als schlecht bewertet wird, aber dessen Bewertung ergibt sich dann nicht aus der Extremtat selbst, sondern es müßte geprüft werden, inwieweit sich die Motive der Tat auch in anderweitiger Kritik niederschlagen. Eine so extreme Tat ist meiner Meinung nach gerade bei einer Einzelperson ein Hinweis auf erhebliche mentale Probleme, die eine solche Tat begünstigen.

Hierzu habe ich einen interessanten Spiegelartikel gefunden, der mögliche Diagnosen darlegt:

Wie schafft es ein Mensch, über eine so lange Zeitspanne so kaltblütig zu bleiben? Amokforscher kennen das Phänomen. Es ist ein biologisches Programm, Experten nennen es kalte Aggression. „Der Täter befindet sich in einem Jagdmodus“, erklärt Jens Hoffmann, Leiter des Instituts Psychologie und Bedrohungsmanagement in Aschaffenburg, der in Breivik nichts anderes als einen Amokläufer sieht. „Er handelt kalkulierend und planend, die Emotionen sind komplett ausgeschaltet.“ Breivik jubelte lediglich, er habe Siegesrufe von sich gegeben, schilderte eine Überlebende. Andere hörten, wie er „ich töte Euch alle“ schrie.

Im Gegensatz zur kalten Wut stünde die heiße Aggression, so der Psychologe: Fühlt sich ein Mensch akut bedroht, reagiert er impulsiv, kann nicht klar denken, die Herzfrequenz steigt, die Muskeln spannen sich an. Nach dem Wut- oder Gewaltausbruch, sobald die Bedrohung vorüber ist, klingt dieser Zustand aber sehr rasch ab.

Nicht so bei der kalten Aggression. „Während des Jagdmodus empfindet der Täter keinerlei Bedrohung. Deshalb kann er klar denken und fokussiert handeln“, sagt Hoffmann im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. „Diesen Zustand kann er beliebig lang aufrechterhalten.“ Prinzipiell sei dieser Jagdmodus in jedem Menschen biologisch verankert, erklärt der Psychologe. Einst benötigten ihn die Menschen für die Jagd nach Fleisch. Breivik aktivierte ihn, um Menschen zu jagen.

(…)

Was im Gehirn von derartigen Gewaltverbrechern vorgehen mag, ist nur schwer zu erfassen. Nicht nur Psychologen gehen dieser Frage nach, auch Neurobiologen suchen nach Antworten. Vor einem Jahr entdeckten US-Forscher um Joshua Buckholtz von der Vanderbilt University einen besonders ausgeprägten Mechanismus im Gehirn krankhaft antisozialer Menschen: Es dürstet nach Belohnung – in unnatürlich gesteigerten Ausmaßen und um jeden Preis.

Ein weiterführender Artikel dazu, ebenfalls aus dem Spiegel:

Bei der Belohnung im Hirn spielt Dopamin eine wesentliche Rolle, denn der Botenstoff löst Glücksempfindungen aus. In ihrer Studie untersuchten die Neurobiologen das Gehirn von Probanden, die als Psychopathen eingestuft waren. In einem ersten Test bekamen die Versuchspersonen Amphetamine verabreicht. Ähnlich wie Kokain, Nikotin oder auch Alkohol führt die Droge dazu, dass Dopamin im Gehirn ausgeschüttet wird.

Die fMRT- und PET-Scans zeigten zweierlei: Im Vergleich zu gesunden Probanden schütteten die psychisch auffälligen Patienten nach der Amphetamin-Einnahme fast viermal mehr Dopamin aus. In einem zweiten Test wurde den Probanden gesagt, sie könnten Geld verdienen, indem sie einfache Ausgaben lösen. In diesem Fall beobachteten die Forscher im Nucleus accumbens – derjenigen Hirnregion, die mit einer Belohnung über die Ausschüttung von Dopamin in Verbindung gebracht wird – der psychopathischen Testpersonen eine sehr viel höhere Aktivität als bei den anderen Versuchsteilnehmern.

„Wegen dieser übertriebenen Dopamin-Reaktion können Psychopathen, wenn sie die Chance für eine Belohnung erkennen, ihre Aufmerksamkeit möglicherweise nicht mehr auf etwas anderes lenken – bis sie das haben, was sie wollen“, sagt Buckholtz. „Psychopathen sind so stark zu einer Belohnung – dem Zuckerbrot – hingezogen, dass es das Gespür für Gefahr oder Angst vor der Peitsche besiegt“, erklärt der Co-Autor David Zald.

Ein Artikel in der Süddeutschen legt die Kriterien für einen Narzissmus dar:

  • Sie halten sich selbst für großartig, einzigartig und besonders wichtig.
  • Sie sind arrogant und hochmütig.
  • Sie haben den Anspruch, dass andere ihre eingebildeten Erfolge und Talente gebührend wahrnehmen und sie entsprechend bewundern müssten.
  • Sie nutzen andere hemmungslos aus.
  • Sie phantasieren über Erfolge und Macht.
  • Häufig sind diese Menschen neidisch auf andere oder glauben, andere seien neidisch auf sie.
  • Und sie zeigen eine mangelhafte Fähigkeit zur Empathie – weshalb die Persönlichkeit dieser Menschen manchmal Überschneidungen mit der antisozialen/dissozialen Persönlichkeit aufweist.

 Diese Selbstüberschätzung kann in einen mörderischen Wahn münden, wie zum Beispiel der Prozess um das Satanisten-Paar von Witten 2002 gezeigt hat. Das junge Ehepaar hatte 2001 einen Bekannten in ihre Wohnung gelockt und umgebracht. Die Psychiater bescheinigten beiden eine „erhebliche narzisstische Persönlichkeitsstörung“, die sich in „überbordender Selbstbezogenheit und Selbstzentriertheit“ gezeigt hatte. Beiden wurde aufgrund der „zutiefst zerstörten, zerrütteten Persönlichkeit“ eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit zugestanden.

Narzissmus scheint auch einen biologischen Anteil zu haben:

Livesley et al. concluded, in agreement with other studies, that narcissism as measured by a standardized test[49] was a common inherited trait.[50] Additionally, in similar agreement with those other studies, it was found that there exists a continuum between normal and disordered personality.

The study subjects were 175 volunteer twin pairs (ninety identical, eighty-five fraternal) drawn from the general population. Each twin completed a questionnaire that assessed eighteen dimensions of personality disorder. The authors estimated the heritability of each dimension of personality by standard methods, thus providing estimates of the relative contributions of genetic and environmental causation.

Of the eighteen personality dimensions, narcissism was found to have the highest heritability (0.64), indicating that the concordance of this trait in the identical twins was significantly influenced by genetics. Of the other dimensions of personality, only four were found to have heritability coefficients of greater than 0.5: callousness, identity problems, oppositionality and social avoidance.

Ich denke auch, dass die narzisstische Selbstüberhöhung hier sehr wahrscheinlich ist. Diese braucht letztendlich einen Gegner, von dem sie sich abgrenzen kann, eine Ideologie, innerhalb derer derjenige einen besonderen Platz hat, eine Betrachtung aus der heraus der Platz in der eigenen sozialen Gruppe höher in der Hierarchie ist. Eine erhebliche Reduzierung von Mitleid scheint mir auch nötig, um solche Aktionen durchführen zu können. Eine eingeschränkte Empathie, die einem vom Leid der Opfer abschneidet und sie einen als notwendige Opfer in einer Strategie sehen läßt. Eine so eingeschränkte Empahtie, dass man nicht erkennt, dass Leute die Tat als grausam und falsch, unabhängig von den Motiven , bewerten werden. Ist das eine Entschuldigung der Tat? Meiner Meinung nach nicht. Breivik konnte nach allem was wir wissen planen und rational denken. Er hat so zielgenau geplant, dass eine Wahnsinnstat, ein Schuldausschließungsgrund aufgrund Unzurechnungsfähigkeit, unwahrscheinlich ist. Er handelte nicht im Auftrag höherer Mächte, die ihm etwas befohlen haben oder sah die Opfer selbst als Angreifer. Er hat sie unter dem Gesichtspunkt der politischen Botschaft, die er senden wollte ausgewählt. Aber dennoch können biologische Zustände bei ihm vorliegen, die die Tat begünstigt und vielleicht erst ermöglicht haben. Breivik musste nicht durchdrehen. Er hätte sein Leben auch friedlich leben und seinen Narzissmus anders befriedigen können. Es ist eben kein biologischer Determinismus, aber eine Veranlagung, die ein solches Verhalten begünstigt und erleichtert.