Rechtsstaat und Vergewaltigung: Warum Udo Vetter und Nadine Lantzsch evtl an einander vorbeireden

Eine immer wieder aktuelle Debatte innehalb der Geschlechterdiskussion ist die Frage, wie man Vergewaltigungen verhindern kann. Für diese Diskussion scheint es zwei Ansätze zu geben.

1. Vergewaltigung als Einzeltat

Die eine Position sieht eine Vergewaltigung als Einzeltat eines Menschen an, der sich damit erkennbar gegen die sozialen Regeln stellt und in dem Wissen handelt, eine Unrechtstat zu begehen. Die Abschreckung erfolgt dadurch, dass die Vergewaltigung mit empfindlichen Strafen belegt ist. Es wird also der selbe Abschreckungsmechanismus verwendet, der auch ansonsten Menschen innerhalb der Gesellschaft von Unrechtstaten abhalten soll. Da die Tat ein Verstoß gegen die vorgegebenen gesellschaftlichen Normen darstellt muss lediglich dieser Verstoß geandet werden. Es finden dabei bei der Überprüfung dieses Verstoßes bestimmte Grundsätze Anwendung, die sowohl einem Mißbrauch der Staatsgewalt gegenüber dem Bürger vorbeugen als auch einem mittelbaren Mißbrauch der Staatsgewalt durch den Bürger über eine Falschanzeige. Aus dieser Betrachtungsweise heraus kann es sinnvoll sein, potentiellen Opfern zu einem Verhalten zu raten, dass sie vor Tätern, die die gesellschaftlichen Normen übertreten, schützt.

2. Vergewaltigung als Machtinstrument

Die zweite Auffassung folgt poststrukturalistischen Ansätzen und ordnet die Vergewaltigung in einen Machtkampf zwischen den Gruppen Mann und Frau ein. Dabei ist die Vergewaltigung ein Mittel der Gruppe Mann um Macht über die Gruppe Frau zu erlangen. Dazu errichtet sie eine Kultur, aus der heraus der Einsatz dieser Machtmittel wahrscheinlicher erfolgt, eben indem die Sexualität der Gruppe Frau eingeschränkt wird und die Frau innerhalb dieser Machtgruppe als ein Objekt der sexuellen Befriedigung dargestellt wird. Aus diesen Sichtweisen heraus begeht der Täter dann die Vergewaltigung und setzt damit gleichzeitig genau das um, was die Gruppe Mann (oder deren Anführer im Sinne einer hegemonialen Männlichkeit) benötigt um sein Machtmittel aufrechtzuerhalten.

Der effektivste Weg zur Reduzierung oder gar Beseitigung von Vergewaltigungen ist damit eine gesellschaftliche Beeinflussung, die sich gegen die damit verbundenen Machtstrukturen richtet, also gegen hegemoniale Männlichkeit bzw. das Patriarchat oder die Phallokratie. Dazu ist es erforderlich das Machtmittel zu erkennen und als solches unwirksam zu machen. Dazu gehört dann eben auch, dass eine Vergewaltigung stets geandet wird, aber auch eine Umerziehung der potentiellen Täter, nämlich der Männer, indem sie Lernen die Strukturen, die die Vergewaltigungskultur bilden, effektiv und gerade auch bei sich selbst zu bekämpfen. Da die Vergewaltigung ein Machtmittel ist erscheint auch zugleich jede Maßnahme, die eine Nichtbestraftung eines Täters zur Folge hat, als weiteres Machtmittel zur Absicherung des anderen Machtmittels. Wenn das Rechtsstaatsprinzip also die Verurteilung von Vergewaltigern erschwert, dann muss er Teil des Machtapparats, also der Vergewaltigungskultur sein. Die Aufhebung dieses Prinzips für die Vergewaltigung verhindert in diesem Kontext andere Vergewaltigungen, weil es die Vergewaltigungskultur selbst bekämpft, die auf den Säulen „Erleichterung der Vergewaltigung durch Schaffen eines entsprechenden Klimas“ und „Nichtbestrafung der Vergewaltigung“ besteht. Im Rahmen der Gruppeninteressen der Frau kann das eh zu unrecht eingesetzte Machtmittel „Vergewaltigung“ eben nur durch eine Lockerung des Rechtsstaats bekämpft werden und dass dabei einzelne Falschbeschuldigte auf der Strecke bleiben ist irrelevant, weil die andere Seite bei Einsatz des Machtmittels „Vergewaltigung“ auch keine Rücksicht auf die Opfer nimmt.

Hinweise gegenüber dem Opfer, doch bitte vorsichtig zu sein, sind vergleichbar damit, jemanden, dessen Kopf man regelmäßig unter Wasser drückt den guten Hinweis zu geben, doch bitte zu lernen länger die Luft anzuhalten.

3. Abgrenzungen

Das ist dann letztendlich auch der Grund, warum die Diskutanten in der Debatte um den Rechtstaat aneinander vorbeireden.

Die juristisch geprägten Diskutaten auf der einen Seite kommen von der ersten Position:

Die feministisch geprägten Diskutanten auf der anderen Seite argumentierten (wenn auch in abgeschwächter Form) von der zweiten Position aus.

Nur vor diesem Hintergrund, ist das feministische Argument, dass der Rechstaat von Männern geschaffen wurde, nachvollziehbar. Es verweist eben gerade darauf, dass es ein Machtinstrument der Männer ist, dass auf den Fall Vergewaltigung bezogen die Gruppeninteressen der Frau nicht hinreichend berücksichtigt.

Das setzt allerdings eben voraus, dass man davon ausgeht, dass die Männer zunächst das bereits unfaire Konzept des Machtmittels der Vergewaltigung eingesetzt haben und die geforderte Ausnahme vom Rechtsstaatsprinzip nur die Antwort hierauf ist, die dann zwangsläufig als Konter notwendig ist.

Etwas anderes noch Antje Schrupp, die den männlichen Rechtsstaat ganz differenzfeministisch auf Männer zugeschnitten sieht.