In den Kommentaren zu dem Artikel „Warum Darwin wichtig ist“ kam eine Debatte zum Fun & Care Kindergarten auf. Die eine Seite sieht es als Abbau von Ängsten vor zu engen Geschlechterrollen, die andere Seite als Umerziehung der Kinder gegen ihre Biologie.
Ich zitiere mal aus der Selbstdarstellung des Kindergartens:
Geschlechtssensible Pädagogik basiert auf der Kenntnis, dass das Geschlecht eines Menschen Einfluss auf die Lerngeschichte hat und die Ausbildung von Fähigkeiten und Fertigkeiten beeinflusst. Kinder lernen von Geburt an, ihrer Geschlechterrolle zu entsprechen. Daher sind wir bestrebt, bei Buben und Mädchen zu beobachten, inwiefern sie bereits in Hinblick auf gesellschaftliche Rollenvorstellungen sozialisiert sind.
Unsere Ziele:
Wir wollen bewusst die Handlungsspielräume der Mädchen und Buben erweitern und dadurch wirkliche Chancengleichheit schaffen (in Hinblick auf Fähigkeiten und Fertigkeiten, Berufswahl, PartnerInnenschaft, Kindererziehung..). Wenn Kinder bestimmte geschlechtsuntypischen Vorkenntnisse nicht schon früh spielerisch sammeln, ist es für sie als Erwachsene oft schwierig, Alternativen zu einer vorgegebenen Rolle zu finden, selbst, wenn sie dies wollen.
Wir wollen den Kindern auch neue und v.a. zum gängigen Rollenstereotyp alternierende Möglichkeiten bieten. So können Sie ihr Leben eher nach ihren persönlichen Vorlieben und Talenten gestalten, anstatt weitgehend den gesellschaftlich vorgegebenen Modellen von Männern und Frauen zu folgen. Dies bedeutet, dass sie aus einer größeren Vielfalt von Möglichkeiten wählen können, weil sie über mehr Fertigkeiten und über ein offeneres Bild von Männern und Frauen verfügen.
Unser Ziel ist allerdings nicht die Gleichmacherei, wir wollen nicht Buben verweiblichen und Mädchen vermännlichen. Für uns steht die Individualität des jeweiligen Kindes im Vordergrund. Dies bedeutet vor allem, dass wir versuchen Einschränkungen des Denkens oder des Handelns, die rein das Geschlecht des Kindes betreffen, zu vermeiden.
In Folgenden werden dann „besondere Förderungen“ dargestellt, bei denen es um Prinzessinnenkleider und Nagellack für Jungs und Selbstbewußtseinskurse für Mädchen geht.
Meiner Meinung nach baut die geschlechtssensible Pädagogik zunächst erst einmal auf falschen Grundlagen auf. Ich denke der Satz „Daher sind wir bestrebt, bei Buben und Mädchen zu beobachten, inwiefern sie bereits in Hinblick auf gesellschaftliche Rollenvorstellungen sozialisiert sind“ macht deutlich, dass man das Geschlecht eher sozial herleitet als sich über die Wirkung von pränatalen Testosteron und anderen biologischen Faktoren Gedanken zu machen. Die Ausrichtung dürfte hier in den Erklärungen für die Geschlechterrolle eher beim Genderfeminismus sein, was dann natürlich bei einigen Leuten die Warnglocken anspringen lässt.
Die Frage bei der Bewertung wird aber letztendlich sein, inwieweit das Konzept praktisch durchgesetzt wird. Wenn den Kindern die Möglichkeit gegeben wird, so zu sein, wie sie wollen, auch wenn dies der gesellschaftlichen Erwartung entspricht, dann spricht für mich nichts dagegen, wenn sie auch mal ausprobieren, wie es ist sich die Nägel zu schminken.
Wenn hingegen ein gewisser Druck aufgebaut wird – und sei es durch subtile, freundliche Art, doch bitte rosa Kleider als Junge schön zu finden, dann ist es etwas anderes.
Natürlich sind viele Geschlechterpositionen kulturell bedingt. Rosa könnte auch eine Männerfarbe sein und auch Männer haben als Adelige stark verzierte Kleidung und Absatzschühchen getragen um ihren Status, ihren Reichtum und dem Umstand, dass sie nicht laufen oder arbeiten müssen, zu betonen (sowie sich größer zu machen).
Aber dennoch sollte man gleichzeitig noch bedenken, dass Geschlechtszugehörigkeit, auch kulturelle, nicht per se schlecht ist. Sie geben halt und dieser Halt kann sich dann in einer entspannteren Haltung dem Geschlecht gegenüber auswirken. Ich hatte den passenden Abschnitt in „geschlechtsneutrale Erziehung“ zitiert.
Hinzu kommt, dass sexuelle Selektion dazu geführt hat, dass uns von der (auch kulturellen) Norm abweichende Verhalten stark auffallen. Anziehend auf das andere Geschlecht wirkt normalerweise bei Männern männliches Verhalten und bei Frauen weibliches Verhalten. Das ist bei Kindern noch relativ egal, aber ein Junge, der mit 14 in einem rosa Kleid in der Schule rumläuft müsste schon ansonsten unglaublich männlich rüberkommen oder entsprechenden Status haben, um von den Mädchen als interessant wahrgenommen zu werden (Peacocking ist ein Konzept, dass etwas in diese Richtung geht).
Damit will ich nicht sagen, dass man Jungs noch mehr in die Geschlechterrolle drücken soll. Man sollte sich nur bewusst machen, dass es keineswegs nur Vorteile hat, wenn er lernt sich auf eine sehr weibliche Art zu verhalten. Zumal es aufgrund der biologischen Vorprägung eh eher schief gehen wird.
Wenn ein Kind natürlich Präferenzen in diese Richtung hat, dann soll es sie allerdings meiner Meinung nach durchaus ausleben können.
Der Kindergarten bietet damit durchaus einige interessante Seiten: Männliche und weibliche Betreuung, die Möglichkeit zu experimentieren und zu schauen, was einem gefällt. Wenn das sensibel gehandhabt wird und nicht zuviel „Umerziehung“ geplant ist und das ganze unter Berücksichtung der biologischen Grundlagen erfolgt, dann kann es durchaus neue Erfahrungen bieten, gerade wenn Kinder, die vom Geschlechtsschema abweichen, hier untergebracht werden.
Geschlechtssensible Pädagogik scheint drei Ansätze zu haben, die verschieden sind:
Differenzansätze: Frauen und Männer werden als grundsätzlich verschieden angesehen: Aus sozialer Sicht gesehen, durch unterschiedliche Lebensbedingungen und Sozialisation. (Bsp.: Buben bekommen blaue Kleidung, Mädchen bekommen rosa Kleider.) Differenzansätze wenden sich gegen Strukturen die Ungleichheit herstellen.
Gleichheitsansätze: Frauen und Männer sind aus Sicht der Geschlechtssensiblen Pädagogik gleich. Schlussfolgernd aus dieser grundsätzlichen Gleichheit der Geschlechter wird männliche Herrschaft kritisiert, Gleichberechtigung und gleicher Zugang zu gesellschaftlichen Machtpositionen gefordert. Gleichheitsansätze beziehen sich auf die rechtliche Ebene und bekämpfen Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts.
Konstruktivistische Ansätze: Konstruktivistische Ansätze kritisieren die Zweigeschlechtlichkeit als Konstrukt aus der Erfahrung heraus, dass es immer wieder Menschen gäbe, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht (siehe Transgender) zuordnen ließen. Die Kernaussage ist, dass Frauen und Männer Konstrukte sind. Das Geschlecht eines Menschen wird zwar mit der Geburt zugewiesen (biologisches Geschlecht), doch die Zuweisung zu einem Geschlecht ist ein lebenslanger Prozess der tagtäglich aktiv inszeniert wird über: Haltung, Gang, Kleidung, Schmuck, Sprache und anderes. Dekonstruktivistische Ansätze wollen den engen Rahmen weiblicher und männlicher Eigenschaftszuschreibung aufspüren und sprengen.
Der erste Ansatz scheint mir dabei zwar falsch (siehe oben) aber auch nicht zwangsläufig gefährlich zu sein, der zweite und der dritte sind hingegen durchaus gefährlich, weil sie eben gerade auf eine Umgestaltung aufbauen. Man müsste hier mehr über die Art des Ansatzes und die Praxis in dem Kindergarten wissen, um ihn genauer einordnen zu können.
Allerdings sehe ich bei dem konkreten Ansatz nach den Informationen von der Homepage durchaus die Gefahr der Umerziehung, die dann auch nachteilig für die Kinder sein kann. Das Prinzip scheint mir nach dem, was man dort liest, etwas zu sehr auf eine bewusste Aufweichung der Geschlechterrollen ausgelegt zu sein (was bei den allermeisten Kindern nicht klappen wird) und vieles männliche eher negativ zu sehen.
Ein Versuch der Dekonstruktion dieser Kinder ist sicherlich nicht in ihrem Interesse.