Ein interessantes Interview zum freien Willen in der Süddeutschen:
Dass es keinen freien Willen im klassischen Sinn gibt, heißt ja noch lange nicht, dass unser Gehirn so vorhersagbar ist wie ein Räderwerk. Auch die betreffenden Neurobiologen lassen etwas Freiheit und Raum für Kreativität. Nein, ich denke, das Einzige, wogegen sie zu Recht Sturm laufen, ist die dualistische Idee, derzufolge es einen von der Materie losgelösten Geist gibt, der Entscheidungen treffen kann. (…)
Die Physik weiß seit hundert Jahren, dass die Welt nicht streng deterministisch ist. In jedem System gibt es ein Hintergrundrauschen, teils durch Quanteneffekte bedingt, immer aber auch durch die thermische Bewegung. Das macht es prinzipiell unmöglich, den Lauf der Welt exakt vorauszuberechnen. Wir glauben nun, in unseren Versuchen Hinweise gefunden zu haben, dass das Gehirn dieses Hintergrundrauschen nutzt und je nach Bedarf verstärken kann. Wie das funktioniert, wissen wir bisher nicht, aber ich stelle es mir im Prinzip als eine Art Zufallsgenerator mit regelbarem Verstärker vor.(…)
Zum Zufallsgenerator kommt eine Selektionsebene hinzu. Entscheidung wäre dann ein zweistufiger Prozess: Erst werden Verhaltensoptionen generiert, dann wird mit Hilfe des Willens eine Auswahl getroffen.(…)
Studien zeigen, dass auch viele menschliche Entscheidungen hinterher vom Bewusstsein rationalisiert werden. Da wir nicht wissen, wie das Bewusstsein funktioniert, können wir auch nicht wirklich sagen, welchen Einfluss es hat. Klar ist nur, dass manches schon wegen der Laufzeiten bestimmter Nervensignale längst entschieden ist, bevor das Bewusstsein eingreifen kann. Aber hier wird nun noch mal der Unterschied von meinem Begriff und dem landläufigen Verständnis deutlich: Freier Wille nach meiner Definition ist unabhängig vom Bewusstsein!(…)
Mit der Willensfreiheit haben wir einen Begriff, der ausdrückt, dass wir Verhaltens- oder Entscheidungsoptionen haben. Andere Kollegen bezweifeln, dass das Rauschen eine zentrale Rolle spielt. Es Freiheit zu nennen, sei doch reichlich übertrieben. Ich hoffe allerdings, dass wir mit unseren Forschungen zeigen können, dass es eine zentral ins Gehirn eingebaute Funktion ist. Wenn ich neuronale Mechanismen für die Variabilitätskontrolle finde, dann wäre das ein Hinweis darauf, dass es eben kein Nebeneffekt ist, sondern ein von der Evolution selektiertes, bedeutsames Merkmal. Meine Hypothese ist sogar, dass es die Hauptaufgabe des Gehirns ist, die Balance zwischen Freiheit und Determinismus zu finden.(…)Wahrscheinlichkeiten sind äußerst selten genau null oder eins. Wie groß Ihre Chance war, hängt natürlich davon ab, ob Sie zum Beispiel schokoladensüchtig sind oder jemand mit der Pistole Sie gezwungen hat. Aber ganz auszuschalten ist die Variabilität nie.
Also im Endeffekt eine Vorauswahl aufgrund unbewußter Prozesse und eine Entscheidung zwischen diesen, wobei wir durch bestimmte Wünsche noch etwas „in eine Richtung geschubst werden“ (indem der Entscheidungsspielraum größer oder kleiner ist).