Feminismus, Alice Schwarzer und Transsexualität

Im Rahmen des Diskussion zum Artikel „Bundesverfassungsgericht, Transsexualität und Geschlecht“ ging es um die Einstellung des Gleichheitsfeminismus zur Transsexualität:

Ich meinte (es ging um Butler):

Sie sagt ja gerade, dass es keine Dualität gibt, weder bei den Geschlechtern noch zwischen Körper und Geist. Alles ist Gesellschaft, nichts Natur.

Sinn des Kampfes ist es den Leuten die Natürlichkeit der Geschlechter als Konstruktion vorzuführen und damit letztendlich die Konstruktion aufzulösen. In der Gesellschaft bestimmen ja die Herrschenden die Regeln, die sie gleichzeitig als Instrument so gestalten, dass die Beherrschten sich an sie halten wollen, es also selbst quasi nicht erkennen können. Sie müssen demnach den Irrweg vor Augen geführt bekommen.

Dabei sind Transsexuelle eigentlich hinderlich, denn diese wollen ja gerade nur von einer auferlegten Rolle in die andere springen und damit diese Rolle indirekt bestätigen.

Wenn eine Transsexuelle sagt, dass sie sich als Frau fühlt und daher eine Frau sein will, obwohl dem Phänotyp nach männlich, dann denkt sie schon in den falschen Kategorien. Sie sollte einfach sein wollen und nicht weiblich sein wollen.

Kommentatorin Andra meinte ein paar Kommentare später:

Transidente Menschen haben natürlich eine Geschlechts-identität! Diese ist „zufällig “ genau entgegen ihrem Hebammengeschlecht. Das wird inzwischen auch Feministinnen klar.

Auf meine Nachfrage hierzu verwies Andra auf einen Beitrag von Alice Schwarzer zu Transsexuellen:

Schwarzer schreibt an eine befreundete Feministin, nach dem diese sich über eine transsexuelle Kontaktanzeige in der EMMA aufregte, weil „die“ dort nicht reingehören, weil sie keine Frauen sind. Alice sah dies anders.

Sie verwies zunächst darauf, dass man „nicht als Frau geboren, sondern zur Frau gemacht wird“, also die zentrale Aussage von Simone de Beauvoirs „Das andere Geschlecht

Wir werden nicht als Frauen geboren, wir werden dazu gemacht. Beauvoirs Credo bleibt Kern jeder feministischen Analyse.

Da würde man einem Nichtfeministen zwar vorhalten, dass er verkennt, dass es keinen einheitlichen Feminismus gibt, aber da der Gleichheitsfeminismus die überwiegende Strömung ist, passt es durchaus.

Wollen wir sozial oder erotisch oder intellektuell oder psychisch ausbrechen aus der Frauenrolle, stoßen wir auf Widerstand, Spott und Gewalt. Wer weiß das besser als du und ich, als wir Feministinnen?

Erst einmal noch die Opferrolle betonen und schön abstrakt bleiben. Das dies für die Männerrolle durchaus auch gelten kann (Schwule werden wahrscheinlich häufiger zusammengeschlagen als Lesben) kann man hier erst einmal ausblenden, weil es ja um Mann –> Frau Transsexuelle geht.

Unser Ziel ist, in aller Schlichtheit und Vermessenheit, die Menschwerdung von Frauen und Männern. Endlich männlich und weiblich sein können und dürfen! Dafür kämpfe ich.

Die „Menschwerdung von Frauen und Männern“ meint hier, dass die Menschen aus den jeweiligen Rollen ausbrechen können und nicht mehr als Männer oder Frauen leben müssen, sondern einfach als Menschen. Also eine geschlechtsneutrale Welt gewissermaßen. Es ist allerdings etwas günstiger als eine allgemeine moralische Formel formuliert.

Nicht immer geht unsere Auflehnung gegen die Halbierung von Menschen in Männer und Frauen (und gegen die Herrschaft der einen über die anderen) nur über den Kopf. Oft haben wir ausbrechenden Frauen selbst Biographien, die es uns erleichtern, das Aufgesetzte der Rollenzuweisung zu erkennen, an den Stangen des Käfigs der Weiblichkeit zu rütteln.

Wieder die Kampfrhetorik, man darf vermuten, dass die Herrschaft hier klassisch über das Patriarchat ausgeübt wird.

Nun gibt es aber darüber hinaus Lebensläufe und -bedingungen, die einen sehr frühen, sehr tiefen Zweifel in bezug auf die geforderte Geschlechtsidentität pflanzen. Irgendeine Weiche ist „falsch“ gestellt worden.

Die Weiche hat meist die Form von zuviel oder zuwenig Testosteron im richtigen Moment. Schwarzer hält sich hier sehr vage, sie sieht aber nach dem, was sie zuvor darstellt, wohl eher eine gesellschaftliche Weiche in der Biographie. Transsexuelle werden demnach nicht als Transsexuelle geboren, sondern zu Transsexuellen gemacht, durch die Gesellschaft?

Resultat: ein biologisch „männliches“ Wesen mit einer „weiblichen“ Seele. Oder ein biologisch „weibliches“ Wesen mit einer „männlichen“ Seele. Menschen also, die in ihrem Körper eine „falsche“ Seele haben, die zwischen den Geschlechtern sind, Transsexuelle.

Schwarzer kommt letztendlich zum gleichen Ergebnis wie die Biologie, auch wenn diese nicht von der Seele, sondern eher von einer anderen Geschlechteridentität im Rahmen des Gehirngeschlechts sprechen würde. Welche Vorstellungen Frau Schwarzer von der Arbeitsweise des Gehirns hat – edler Wilder, unbeschriebenes Blatt oder Geist in der Maschine? – macht sie zwar nicht deutlich, aber ob sie unter der Seele das nun beschriebene Blatt versteht oder eher den Geist in der Maschine, macht letztendlich ja auch keinen Unterschied.

 

In dieser Gesellschaft gibt es eine Schublade „Frau“ und eine Schublade „Mann“, dazwischen nichts. Darunter leiden nicht nur die Transsexuellen. Darunter leiden die meisten Frauen (und einige Männer). Für Transsexuelle aber eskaliert der Konflikt bis zur Neurose: sie wenden sich selbstzerstörerisch gegen den eigenen Körper.

Das die Schubladen häufig zu klein bemessen werden und man mehr darauf hinweisen sollte, dass die Ausprägung bestimmter Fähigkeiten bei Mann und Frau zwar verschieden ist, es sich aber um zwei Normalverteilungen mit unterschiedlichen Mittelwert, handelt, deren Träger überlappen, und nicht um Unterschiede, die immer zwischen jeder Frau und jedem Mann bestehen., würde ich auch so sehen. Das darunter die meisten Frauen (und nur einige Männer) leiden allerdings nicht. Viele Frauen mögen die Unterschiede zwischen den Geschlechtern durchaus und würden nicht tauschen wollen. Sie sind lieber Frau als Mann und würden sich als Mann eben genau so unwohl fühlen wie Transsexuelle sich in ihrem eigenen Körper unwohl fühlen. Das eine ist in diesem Fall die Kehrseite des anderen.

Die Existenz des Transsexualismus beweist: Die Seele ist stärker als der Körper – sie bestimmt die Geschlechtsidentität. Der Körper ist nur Vorwand für diese Zuweisung.

Da müsste man erst einmal definieren, was eigentlich Seele und was Körper ist. Ist Frau Schwarzer eigentlich religiös oder verwendet sie den Begriff eher unbedarft? Die Seele ist in biologischer Hinsicht eben auch Körper. Ein bestimmter Teil des Körpers, und von diesem eben wieder ein bestimmter Teil, eben der passende Gehirnabschnitt, der die Geschlechteridentität speichert hat, entscheidet über unser Empfinden. Meiner Meinung nach lässt sich allerdings die Wahrnehmung eines Körpers auch nicht so einfach von dem Geschlecht, dass man ihm gedanklich zuweist, trennen. Viele unser biologischen Reaktionen auf das andere Geschlecht erfolgen eben auf diesen Körper. Und da wir dazu neigen, in Kategorien zu denken, legen wir auch automatisch gewisse Ordner für Mann und Frau an und sind bei einem starken abweichen hiervon überrascht, was eben bei Transsexuellen gerade zu den Problemen führt.

Dass den meisten Transsexuellen der neue Ausweis nicht genügt, sondern dass sie auch einen „neuen“ Körper wollen, ja ihnen das Voraussetzung zum Weiterlebenkönnen scheint – das ist schlimm.

Hier kommt dann der Unterschied, den ich schon oben angesprochen habe. In einer gleichheitsfeministischen Welt brauchen Transsexuelle keine Geschlechtsumwandlungen mehr. Das sie sie brauchen liegt nur an der Gesellschaft, die sie nicht leben lassen will, wie sie sind, nämlich als Männer, die sich eben weiblich benehmen (bei Mann –> Frau Transsexuellen). Sie wären insoweit so etwas ähnliches wie sich sehr weiblich verhaltene Schwule, die ja auch ein sehr weibliches Verhalten zeigen, ohne das sie eine Geschlechtsanpassung durchführen lassen. Mit einer fortschreitenden Toleranz in der Gesellschaft würde daher Transsexualität als „Problem“ verschwinden.

Das betont Schwarzer im nachfolgenden Absatz auch gleich noch einmal:

In einer vom Terror der Geschlechtsrollen befreiten Gesellschaft wäre Transsexualismus schlicht nicht denkbar. Transsexualismus scheint mir der dramatischste Konflikt überhaupt, in den ein Mensch auf dem Weg zum „Mannsein“ oder „Frausein“ in einer sexistischen Welt geraten kann. In diesem Konflikt haben die Transsexuellen selbst keine Wahlmöglichkeit mehr: ihr Hass auf den „falschen“ Körper ist weder durch Argumente noch durch Therapien zu lösen. Transsexuelle sind zwischen die Räder des Rollenzwangs geraten. Einziger Ausweg scheint ihnen die Angleichung von Seele und Körper. Preis: die Verstümmlung des Körpers. Und: die Zerschlagung aller sozialen Zusammenhänge.

Also: Transsexuelle (Mann –> Frau) sind keine geistigen Frauen, sondern einfach Menschen, die auf eine bestimmte Art leben wollen. Warum dies gerade innerhalb des Rollenklischees des anderen Geschlechts erfolgt liegt nicht an der Biologie, sondern am gesellschaftlichen Zwang.

(…)Oft sind sie engagierte Feministinnen. Was mich nicht überrascht. Wer schließlich hätte schmerzlicher am eigenen Leibe erfahren, was es heißt, „keine richtige Frau“ zu sein?

Mich überrascht es eigentlich schon. Auch wenn es vordergründig nicht verwundert, dass jemand, der das Geschlecht wechselt, für dieses bestimmte Vorteile erreichen will und Nachteile abbauen will, passen die Theorien eher nicht zusammen. Dies ist bei Schwarzer, die weniger auf Dekonstruktion abzielt, vielleicht noch nicht so deutlich wie bei Butler, aber dennoch treten bei einer genaueren Beschäftigung doch deutliche Unterschiede in der Theorie hervor. Bei einer Erreichung des einer gleichheitsfeministischen Ordnung hätten Mann –> Frau Transsexuelle eher eine schlechtere Position. Die Abneigung wird auch im folgenden von Schwarzer selbst noch einmal beschrieben:

In den Frauenzentren, vor allem in den Lesbengruppen, reagierten viele abwehrend auf die Transsexuellen. Nein, „solche“ hätten in der Frauenbewegung nichts zu suchen, das wären ja gar keine richtigen Frauen, die hätten schließlich Jahrzehnte männlicher Sozialisation hinter sich… Das war der Tenor heftiger, interner Debatten Anfang der 80er Jahre.

Schwarzer Gegenplädoyer lautet wie folgt:

Siehst du denn nicht, dass Carmen nicht nur eine Schwester ist wie alle anderen, sondern sogar eine, die zu uns herabgestiegen ist? Denn ein Mann, der Frau wird, hat einiges zu verlieren in einer Männergesellschaft, das weißt du doch nur zu genau. Und eine biologisch männliche Transsexuelle ist dann auch objektiv Frau, wenn sie Körper und/oder Pass geändert hat. Sie kann ihr Frausein von nun an ebenso wenig aufkündigen wie du und ich. Und wenn du sie nun zurückstößt, machst du genau dasselbe wie der Rest der Gesellschaft: du denkst in den unerbittlichen Kategorien „Mann“ und „Frau“.

Wie die Transsexuelle ja in der Regel auch. Schließlich will sie ja gerade Frau sein und nicht die Grenzen aufweichen.

Schön finde ich das „Herabsteigen“, das wieder dem Opferfeminismus entspricht. Sie steigt als Paria herab, zu der Schar der Verdammten, den Ausgestoßenen der Gesellschaft, kurz: den Frauen. Es ist ein solidarischer Akt, in dem sie alle Vorteile des Mannseins aufgibt und sich in den dunklen Pfuhl des Frau seins begibt. Interessant aber, dass sie nicht darauf eingeht, dass Männern hier die Frauenrolle verboten ist. Oben hatte sie ja noch erklärt, dass Frauen eher unter ihrer Rolle leiden als Männer, so dass dies zunächst ein kleiner Widerspruch ist

Es erstaunt auch vor diesem Hintergrund eigentlich, dass mehr Männer diesen dunklen Weg nach unten gehen als Frauen den hellen Weg nach oben (das Verhältnis ist laut Wikipedia 3:1), denn im umgekehrten Fall würden ja nach dieser Logik ein paar Frauen den Weg ans Licht antreten und in das herrschende Geschlecht aufsteigen. Es wäre demnach davon auszugehen, dass diese Überläufer oder Kriegsgewinnler, die Frau-Mann-Transsexuellen, einfach nur aufsteigen wollen.