Der Blick

Eine Freundin schickt eine Email. Ob ich ihr auf dem Rückweg von der Arbeit etwas vorbeibringen könne, sie sei krank, sie würde auch Kaffee und Kuchen bereitstellen, den Käsekuchen nach dem Geheimrezept ihrer Mutter? Es liegt auf dem Weg und wir haben uns eh eine Weile nicht gesehen. Ich lasse mir versichern, dass der Kuchen frisch ist, dann steht dem Treffen nichts mehr im Weg.

Als sie die Tür öffnet sieht man schon, dass es ihr nicht richtig gut geht. Sie hat ein schwarzes, weiches  Baumwohloberteil und ein paar kurze Shorts an, die Sachen in denen sie sonst immer schläft. Ihr Haar ist nicht geglättet, wie sonst, sondern in einer Naturkrause, die ihr gut steht, die sie selbst aber hasst. Vielleicht weil die Haare zusehr ihre Herkunft betonen und sie eher in der Menge aufgehen möchte, vielleicht weil glatte Haare modischer sind. Würde man die Stunden auflisten, die sie in ihrem Leben mit einem Glätteeisen in der Hand verbracht hat, man wäre erstaunt, wie sie überhaupt noch andere Sachen geregelt bekommt. Ihre Lebenslage ist an ihren Haaren ablesen, kommt sie vom Weg ab, brechen auch die Haare in alle Richtungen auf. Der etwas verschmierte Mascara wäre als weiterer Hinweis gar nicht nötig gewesen.

„Ein neues Glätteeisen stand aber nicht auf der Liste?“ sage ich und reiche ihr die Tüte. Es ist ein Running Gag sie etwas mit ihrem Haar aufzuziehen. „Ich dachte du magst es kraus?“ sagt sie und geleitet mich in die Küche. Die Shorts sind etwas weit, verbergen ihren Hintern, aber ich habe seine runde Form noch gut in Erinnerung. Der dunkle Stoff geht in ihre braunen Beine über.

In der Küche ist der Tisch schon gedeckt. Ich setze mich, sie gibt mir etwas Kuchen. „Keine Sahne?“ „Doch, noch im Kühlschrank.“ Sie holt sie heraus. Wunderbar. Ein leichtes Vanillearoma. Während ich das erste Stück esse schaue ich an, ziehe eine Augenbraue hoch. Sie fängt an zu erzählen. Warum die Männer so sind. Es lief eigentlich alles gut, aber er sei so unzuverlässig! Sie war ein paar Tage krank und er habe sich kein bisschen gekümmert, sei Party machen gegangen und die Nächte auch weg gewesen. Keine Ahnung was er gemacht hat und wo er gewesen sei. Und dann sei er für eine Stunde vorbeigekommen und habe sich entschuldigt, er habe so viel zu tun, er sei eben so, er rede gern mit Leuten und habe die Zeit vergessen. Irgendwie sei das doch auch nicht das richtige oder?

Ich werde mich hüten, mich da einzumischen. Ihn loben könnte kontraproduktiv sein. Ihn runtermachen auch. Sie soll sich selbst entscheiden. Ich zucke die Achseln. „Er verpasst jedenfalls einen guten Käsekuchen“. Sie schmunzelt etwas.  „Macht mich total fertig. Bin heute gar nicht aus dem Bett gekommen“ teilt sie mir dann mit. „Ach tatsächlich?“ Ich schaue einmal an ihr hoch und runter. „Ja, irgendwie ist es nicht mehr wie am Anfang. Ich glaube, heute komme ich aus dem Bett nicht mehr raus.“ Sie schaut nach unten.  Dann geht der Blick langsam hoch, direkt zu mir, in meine Augen. „Machst du heute noch was?“ Und mit diesem Satz sind ihre Augen bei den meinen angekommen und bleiben dort. Sie ist süss, so leicht verheult und verletzlich. Die Augen sind noch etwas größer als sonst und große Augen kann ich schwer widerstehen. Leicht von unten scheinen sie herauf, rufen um Liebe, ein Auflebenlassen des Damals, etwas Bestätigung und versprechen Sex deutlicher als es ihr Mund könnte. Ich kenne diesen Blick bei ihr.

Es wäre einfach sie rüberzuwinken, sie in den Arm zu nehmen und ihr zu sagen, dass alles gut wird, ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken und ihr dann ebenfalls in die Augen zu schauen, wie um ihr Trost zuzusprechen. Dann den Kopf etwas schief legen und einen Millimeter vor rücken und schauen, ob sie es imitiert, die Lippen leicht öffnet. Oder einer der Klassiker: „Würdest du mich gern küssen?“ oder „Du riechst so verdammt gut, es ist echt schwer dich jetzt nicht zu küssen“ Von dort an wäre es so einfach.

Aber Fremdgehen im Freundeskreis ist nicht die beste Option. Gerade Frauen erzählen häufig, zumindest ihren besten Freundinnen. Selbst wenn man selbst schweigt wie ein Grab. Ich habe es selten anders erlebt. Sie ist zu aufgewühlt. Außerdem kenne ich ihn etwas, über sie, wie man Freunde von Freundinnen kennt. Ich habe bei ihm ein paar mal Bier getrunken, bevor wir mit einer Gruppe losgezogen sind. Männerkodex und so.

„Hab gleich noch ein Treffen.“

„Oh….werde wohl noch etwas fernsehen“

„Wird schon wieder. Wenn du noch was brauchst…?“

Wir verabschieden uns. Ich gehe im letzten Sonnenschein nach Hause.

2 Gedanken zu “Der Blick

  1. Hallo Christian,

    leider habe ich keine andere Möglichkeit als diesen Kommentar gefunden, um Ihnen zu schreiben.

    Ich würde Sie gerne auf unsere Homepage Paperblog (http://de.paperblog.com) aufmerksam machen. Wir möchten mit unserem Projekt ein alternatives Online-Medium aufbauen, indem wir die besten Artikel von Blogs zusammenstellen und veröffentlichen.
    Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihre Beiträge eine Bereicherung für unsere Leser des Ressorts Liebe & Co bzw. Sexualität wären und würde mich freuen, wenn Sie sich als einer unserer Autoren einschreiben.

    Bei Fragen oder Anmerkungen schreiben Sie mir gerne eine Email!

    Herzliche Grüße,

    Johanna

    johanna@paperblog.com

  2. Pingback: Heteronormativität II « Alles Evolution

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