Es war abzusehen, dass in Folge des Kachelmann Falls das Thema Falschbeschuldigung, Vergewaltigung, Mißbrauch mit dem Mißbrauch etc auftauchen würde.
Die Mädchenmannschaft (Magda) und der Mädchenblog (Dodo) verweisen beide auf einen Taz-Artikel, in dem es heißt:
Eine 2009 an der Londoner Metropolitan University erarbeitete europäische Vergleichsstudie zu sexueller Gewalt geht davon aus, dass es in Deutschland jährlich zu rund 3 Prozent Falschbezichtigungen kommt. Die Ziffer mag bei Prominenten höher liegen – doch auch das rechtfertigte mitnichten die in der Öffentlichkeit verbreitete Annahme, Frauen tätigten regelhaft unzuverlässige Aussagen und müssten daher besonders hart in die Mangel genommen werden.
3% ist extrem niedrig. Da interessiert diese Studie natürlich.
Die einzige Studie des besagten Institutes, die ich gefunden habe wurde von Liz Kelly durchgeführt.
Liz Kelly führt Studien aus feministischer Perspektive durch und hat eine sehr weite Vorstellung von sexueller Gewalt:
„Sexual violence includes any physical, visual, verbal or sexual act that is experienced by the woman or girl, at the time or later, as a threat, invasion or assault that has the effect of hurting her or degrading her and/or taken away her ability to control intimate contact.‘
Also jede Handlung, sogar jedes Wort, das von ihr zur Zeit der Handlung oder auch später in irgendeiner Weise verletzt. Zu den Problemen dieses weiten Begriffs hatte ich in dem Beitrag „Einvernehmlicher Sex ist es, wenn keiner es bedauert“ schon mal etwas geschrieben.
Liz Kelly zu Vergewaltigung:
There is no clear distinction . . . between consensual sex and rape, but a continuum of pressure, threat, coercion and force. The concept of a continuum validates the sense of abuse women feel when they do not freely consent to sex . . . .“
Man kann also bereits erhebliche Zweifel haben, ob sie für eine solche Studie überhaupt noch die nötige Neutralität aufbringt.
Wie kommt die Verfasserin des Berichts der Taz nun auf die 3%?
In der Studie heißt es zunächst:
Die aufgeschlüsselten Daten zeigen, dass die Verurteilungsquote von Vergewaltigung für den Zeitraum von 2001 bis 2006 bei 13% liegt (…)
Gegen weniger als die Hälfte der einvernommenen Verdächtigen wurde Anklage erhoben (43 von 74). Die meist von der Staatsanwaltschaft verfügte Einstellung des Verfahrens (33 von 40) wurde meist mit dem Mangel an Beweisen begründet. In der Hälfte der Fälle (n=19) wurde in Frage gestellt, ob sich die Tat ereignet hat. (S. 7)
Die Staatsanwaltschaft stellt also in der Hälfte der Fälle, in denen der Täter ermittelt werden konnte in Frage, ob sich die Tat ereignet hat, geht also wohl von einer Falschbeschuldigung aus.
Es geht weiter:
In gut einem Viertel der Fälle wurde ein Hauptverfahren eröffnet (28 von 100). 23% der Angeklagten wurden verurteilt and 4% wurden freigesprochen. Die Verurteilungsquote des Stuttgarter Samples liegt um 10% höher als jene des nationalen Samples. Dieser Unterschied wirft die Frage auf, ob es sich um einen Effekt eines verzerrten Samples handelt (z.B. Überrepräsentation von verurteilten Fällen und Unterrepräsentation von nicht geklärten Fällen) oder ob die Stuttgarter Behörden erfolgreicher in der Strafverfolgung von Vergewaltigung sind.
Weitere Forschung wäre notwendig, um diese Diskrepanz erklären zu können.
Nachdem also die Staatsanwaltschaft in 50% der Fälle in denen der Täter ermittelt werden konnte von einer Falschbeschuldigung ausgeht, werden 4% freigesprochen und 23% verurteilt. Beim Rest wird das Verfahren demnach anderweitig eingestellt.
Als Falschbschuldigungen werden bei Mädchenmannschaft und Mädchenblog nur die 3% angesehen, die wohl eigentlich die 4% Freisprüche sind. Die Studie selbst sagt dies aber so nicht. Sie geht vielmehr zunächst davon aus, dass 23% verurteilt werden. Beim Rest haben wir gerade mit der Aussage, dass die Staatsanwaltschaft 50% für falsch hält und weitere 4% freigesprochen werden und dann noch eine große Anzahl anderweitig eingestellt wird, die Schuld dort also auch nicht erwiesen ist, ein hohes Potential für Falschbeschuldigungen.
P.S.: Ich denke nicht, dass diese Zahlen es in die Kommentare der Mädchenmannschaft oder des Mädchenblogs schaffen. Wer wettet dagegen?
Ergänzung: JP hat mich in den Kommentaren darauf aufmerksam gemacht, dass die 3% sich aus den festgestellten Falschanschuldigungen ergeben, die sich aus jeweils 1% in den drei Ermittlungsphasen zusammen setzen. Freisprüche wurden nicht berücksichtigt, ebenso wenig wurden Einstellungen aus sonstigen Gründen berücksichtigt. Die 3% sind insoweit wenig aussagekräftig und allenfalls ein Mindestsatz.